Jubelnd reißt Bernd Lucke die Hände in die Luft, als er bei der Wahlparty der Alternative für Deutschland (AfD) die Bühne betritt. Minutenlang kann der AfD-Chef seine Rede nicht beginnen – zu laut sind die „Lucke, Lucke“-Sprechchöre in einem Hotel in Berlin-Mitte. Vor dem Podium schwenkt ein Parteimitglied eine riesige blaue Flagge mit dem Parteilogo über den Köpfen Hunderter AfD-Sympathisanten. Als Lucke das Wort ergreift, sagt er das, was hier alle denken: „Wir haben ein ganz starkes Ergebnis erreicht“, ruft der Parteichef ins Mikrofon, die ganze Halle kreischt, klatscht, jubelt. „Und wir haben die anderen Parteien wahrhaft das Fürchten gelehrt.“ Selbst, wenn es die Eurokritiker nach den Hochrechnungen am Wahlabend nur ganz knapp nicht in den Bundestag schaffen: Ihr Ergebnis ist eine Sensation.
Lucke nennt es ein Signal an alle anderen Parteien: Deren Politik zur Rettung des Euro werde nicht länger ohne „Widerspruch aus der Mitte einer mündigen Bürgergesellschaft heraus“ hingenommen. Als hätte er das Stichwort gegeben, beweist in diesem Moment eine TV-Grafik zur Wählerwanderung auf zwei großen Leinwänden Luckes Worte: Die Wähler der AfD kommen aus fast allen politischen Lagern. Auch eine starke Gruppe: fast eine Viertelmillion Nichtwähler, die für die Eurokritiker wieder den Weg an die Urnen gesucht haben. Ältere Herren mit Anzug und Einstecktuch lächeln selbstzufrieden, jüngere AfDler mit trendigen, schwarz umrandeten Brillen stoßen die Faust in die Luft.
Einer davon ist Tobias Zeiler, Mitglied im bayerischen Landesvorstand. Er sieht den Wahltag als Beweis dafür, wie groß der Rückhalt der gerade einmal fünf Monate alten Partei in der Gesellschaft ist – und zwar nicht nur in konservativen, rechtspopulistischen Kreisen, wie man ihr immer wieder vorgeworfen habe: Die AfD sei „eine Bewegung, die aus allen Parteien vernünftig und wirtschaftlich denkende Leute vereint“, sagt Zeiler im Gespräch mit dieser Zeitung. Für ihn ist klar: „Mit dem Euro gibt es ein Riesenproblem – und das speisen wir in die Politik mit ein.“
Einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen zufolge entschieden sich zwar nur 14 Prozent der Wähler wegen politischer Inhalte für die AfD – 67 Prozent stimmten vor allem gegen die etablierten Parteien –, doch feststeht auch: Die Partei hat es aus dem Stand heraus geschafft, in der Bundespolitik eine gewichtige Rolle einzunehmen. Selbst die Grünen mussten dafür einen Umweg über die Landesparlamente nehmen, schafften bei ihrer ersten Bundestagswahl im Jahr 1980 gerade einmal 1,5 Prozent. Bernd Lucke fühlt sich auf ganzer Linie bestätigt. Unabhängig vom Einzug in den Bundestag ist er sicher: Mit der AfD werde zu rechnen sein. „Wir haben Entartungen der Demokratie erlebt – und wir haben dagegen aufbegehrt.“
Die AfD hat in allen politischen Lagern Wähler für sich gewonnen, am meisten bei der FDP. 450 000 Deutsche wechselten nach ARD-Angaben von den Liberalen zu der erst im Februar gegründeten eurokritischen Partei. Die zweitgrößte Gruppe unter den AfD-Wählern sind frühere Linke-Unterstützer, 360 000 entschieden sich am Sonntag für die neue Partei. Von der CDU/CSU wanderten 300 000 Wähler zur AfD. Hinzu kamen 240 000 frühere Nichtwähler. Einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen zufolge setzten 67 Prozent der AfD-Wähler aus Frust über die etablierten Parteien ihr Kreuz bei den Eurokritikern, nur 14 Prozent entschieden sich wegen politischer Inhalte für sie. Und: Die AfD hat vor allem im Osten viele Stimmen eingefahren. Einer Hochrechnung des MDR zufolge kam die Partei in den ostdeutschen Bundesländern auf 5,9 Prozent, im Westen dagegen nur auf 4,6 Prozent. Andersherum sah es bei der FDP aus: Sie kam im Westen auf 5,0 Prozent, im Osten dagegen nur auf 2,6 Prozent der Wählerstimmen. Mit Informationen von dpa