Vor über 3000 Jahren demonstrierten die Felsentempel von Abu Simbel die Macht der ägyptischen Pharaonen, speziell von Ramses II., dem Erbauer der Anlage. Das Heiligtum im Süden des Reiches mit über 20 Meter hohen Kolossalstatuen sollte seine Stellung als göttlich legitimierter Herrscher veranschaulichen, der kleinere Hathor-Tempel an seine Gemahlin Nefertari erinnern. Die symbolträchtigen Bauten verschwanden im Lauf der Zeit fast vollständig im Wüstensand und damit aus dem Blickfeld der Menschen.
Erst 1813 erblickte erstmals ein Europäer, der Orientreisende Jean Louis Burckhardt, Teile der Kolossalstatuen, die aus den Sandmassen herausragten. Ein Jahr zuvor, vor 200 Jahren, hatte der Schweizer auch die Felsenstadt Petra in Jordanien entdeckt. Es war die große Zeit der Erkundungen unbekannter Welten. Es sollte jedoch bis 1909 dauern, ehe der Große Tempel Ramses II. vollständig freigelegt war. Und wieder drohte er zu versinken – dieses Mal im Wasser, und zwar endgültig. Grund war der in den 1950er Jahren geplante Bau des Assuan-Staudammes.
1960 trat die UNESCO auf den Plan und erbat internationale Hilfe zur Rettung der einzigartigen Zeugnisse ägyptischer Baukunst. Die Tempel wurden innerhalb von fünf Jahren, von 1963 bis 1968, zerlegt und auf einen 64 Meter höher gelegenen Standort am Ufer des Nils beziehungsweise des aufgestauten Nassersees wiederaufgebaut – ein logistisches Meisterwerk. Die Gemeinschaftsaktion mit weltweiter finanzieller und technischer Beteiligung von 50 Staaten in Höhe von 80 Millionen US-Dollar gilt als der Auslöser für das „Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“, kurz Welterbekonvention. Sie wurde vor 40 Jahren, am 16. November 1972, von den Mitgliedstaaten der UNESCO in Paris verabschiedet. Bis heute haben über 190 Staaten den völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnet, die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen 1976 ratifiziert, die DDR 1988.
„Die der Welterbekonvention zugrunde liegende Idee beruht auf der Erkenntnis, dass herausragende menschliche Kulturleistungen genau wie einmalige Naturstätten nicht im Besitz einer Region oder Bevölkerungsgruppe sind, sondern gemeinsames Erbe der Menschheit“, betonte Walter Hirche, seit 2002 Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission, kürzlich in seiner Festrede im Kaisersaal der Würzburger Residenz. Er sprach bei der Jahrestagung des Vereins „UNESCO-Welterbestätten Deutschland“. „Ein Besucher aus China oder aus Ghana beispielsweise kann die Würzburger Residenz besichtigen mit dem Gefühl: dies ist UNESCO-Welterbe, ist also ein Erbe, das auch mir 'gehört'.“ Der programmatische Kern des Welterbes sei, dass es beim Fremden auch um etwas 'Eigenes' gehe, so Hirche.
Die Würzburger Residenz ist nicht nur wegen ihres Rufes als schönstes Juwel barocker Baukunst in Süddeutschland ein Ziel von Besuchern aus aller Welt. Sie gehört zu den frühesten UNESCO-Welterbestätten in Deutschland. Der Aachener Dom wurde 1978 als Erster in die Welterbeliste aufgenommen. Die Residenz samt Hofgarten hat dort seit 1981 ihren Platz. Heute gibt es 37 Welterbestätten in Deutschland in den Bereichen Kultur und Natur. Seit Sommer steht das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth auf der begehrten Liste.
Der Verein „UNESCO-Welterbestätten Deutschland“ fördert den Bekanntheitsgrad der einzelnen Objekte und laut eigener Aussage „einen behutsamen und hoch qualifizierten Tourismus im Denkmal-verträglichen Ausmaß“. Bei der Tagung in der Festung Marienberg hoch über Würzburg war dementsprechend die „nachhaltige Nutzung der UNESCO-Welterbestätten im wirtschaftlichen, touristischen und öffentlichen Kontext“ das übergeordnete Thema. Die Vorträge der Referenten zeigten, dass dieses Anliegen viele Facetten hat und durchaus kontrovers diskutiert wird. Sie behandelten neben Tourismus, Marketing und Management auch Fragen der Identifikation. So stellte Professorin Marie-Theres Albert, Inhaberin des UNESCO-Lehrstuhls für Welterbestudien an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus, die These auf, dass viele Welterbestätten einem Wertewandel unterliegen und durch die touristische Vermarktung vom kulturellen Gut zu einer Ware werden, zu Kommerzstätten. Oft wüssten Besucher gar nicht, dass sie ein Welterbe besichtigen. Andererseits seien manche Fremdenführer nicht in der Lage, den historischen Kontext bei ihren Führungen zu vermitteln. Albert betonte, dass zur Nachhaltigkeit aber genau diese Hinweise auf die nicht sichtbaren, aber für die Aufnahme einst mitentscheidenden Attribute einer Kulturstätte gehören, und verweist dazu auf den Wortlaut der UNESCO-Konvention. Darin wird festgehalten, dass der Begriff Kulturerbe und dessen außerordentlicher universeller Wert nicht nur aus künstlerischen, ästhetischen und wissenschaftlichen, sondern auch aus geschichtlichen Gründen definiert ist.
Geschichte ist jedoch nicht allein durchs Anschauen erfahrbar oder ablesbar – Geschichte muss vermittelt werden. Man sieht nur, was man weiß, gilt auch für die Entstehung und Veränderungen der Kultur- beziehungsweise Naturwelterbestätten. Darüber hinaus besteht Geschichte aus veränderlichen Ansichten über die Bedeutung der einzelnen Objekte. So steht in der Welterbekonvention ebenso, „dass das Kulturerbe und das Naturerbe zunehmend von Zerstörung bedroht sind, nicht nur durch die herkömmlichen Verfallsursachen, sondern auch durch den Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, der durch noch verhängnisvollere Formen der Beschädigung oder Zerstörung die Lage verschlimmert“.
Was also vor 40 Jahren für die Aufnahme in die Welterbeliste formuliert wurde, ist nicht in Stein gemeißelt, sondern dem Zeitgeist unterworfen. Deshalb sei neben der fortwährenden Überwachung auch die Vermittlung von Bildung zur nachhaltigen Entwicklung der Welterbestätten wichtig, so Marie-Theres Albert. Die alleinige touristische Vermarktung widerspreche den Zielen der Welterbekonvention.
Mangelndes Verständnis in der Bevölkerung für die Denkmalpflege gehört zu den Erfahrungen von Thomas Weiss, Vorstand und Direktor der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. „Denkmalschutz killt Existenzen!“ – mit diesem Vorwurf protestierten Anwohner des Gartenreiches Dessau-Wörlitz gegen geplante Maßnahmen zum Erhalt des Landschaftsparks an der Elbe und Mulde, das seit 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Es gehe jedoch nicht nur um die Instandsetzung und damit Steigerung der Attraktivität des materiellen Kulturerbes, so Weiss, sondern auch um die Verantwortung gegenüber dem immateriellen – wie „die Stille in den Gärten“. Und es braucht, um den Gesamtaufbau der Anlage erkennen zu können, auch profundes Wissen über die Konzeption des im 18. Jahrhundert in der Zeit der Aufklärung von Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau gegründeten Gartenreiches mit seinen versteckten Symbolen und Hinweisen.
Immaterielle Bedeutung ist auch dem Hildesheimer Dom eigen. Professor Michael Brandt, Direktor des Dom-Museums, verwies in Würzburg auf die Bedeutung der Inhalte eines Kulturgutes, eines Ortes, eines Raumes. Beim Hildesheimer Dom, der wegen einer umfassenden Restaurierung noch bis 2014 geschlossen bleibt, ist aufgrund von Kriegsschäden fast keine originale Bausubstanz mehr vorhanden. Dennoch könne man durch die Gestaltung beziehungsweise Rhythmisierung des Raumes Kirchenbaugeschichte ablesen, die bis ins vierte Jahrhundert zur Basilika Alt-St. Peter in Rom zurückreicht, so Brandt.
Nicht nur die Jahreszahl des Baubeginns, sondern auch, welch Geist einst zum Bau und zur Ausgestaltung der Würzburger Residenz führten: Würzburgs Gästeführer müssen umfassendes Hintergrundwissen haben – und mehr. Über die mehrmonatige Ausbildung wacht Peter Oettinger, Tourismusdirektor der Stadt Würzburg. Er hat das Konzept, das von seinen Kollegen in anderen touristischen Hochburgen gerne auch das „Oettinger'sche Konzept“ genannt wird, mitentwickelt. „Wissen allein genügt nicht, entscheidend ist auch das Wie“, so Oettinger. Dazu zählt der didaktische Aufbau einer Führung, die Atemtechnik beim Sprechen, Organisationstalent und schnelles Erkennen von Problemen und vieles mehr. Peter Oettinger legt Wert auf den „akademischen Anspruch“, die 150 Gästeführer Würzburgs seien beispielsweise Ärzte, Architekten, Rechtsanwälte, Gymnasiallehrer. Bildung, Menschenkenntnis und gut präsentiertes Wissen – das ist Würzburgs Beitrag zur nachhaltigen touristischen Nutzung der UNESCO-Welterbestätte. „Diesbezüglich arbeiten wir mit dem Führungsdienst der Schloss- und Gartenverwaltung eng zusammen.“
Die Welterbe-Idee, die mit der Rettungsaktion der Tempel von Abu Simbel ihren Anfang nahm und seit 40 Jahren in der Welterbekonvention schriftlich fixiert ist, ist also keineswegs „fix“ – auch nicht unveränderlich. Wer es geschafft hat, zum Welterbe zu zählen, darf sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Wer die Kriterien im Lauf der Zeit nicht mehr erfüllt, kann den Titel auch wieder verlieren – wie 2009 das Dresdner Elbtal durch den Bau der Waldschlösschenbrücke. Und neben Denkmälern, Kultur- und Naturstätten gehören heute auch dokumentarische Zeugnisse von außergewöhnlichem Wert zum Welterbe. So gibt es heuer noch ein weiteres Jubiläum. Das UNESCO-Programm „Memory of the World“ wurde vor 20 Jahren ins Leben gerufen. Deutsche Beiträge zum Gedächtnis der Menschheit sind zum Beispiel Beethovens Neunte Sinfonie, die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ und das Motorwagen-Patent von Carl Benz.
UNESCO-Weltkulturerbe
Die Abkürzung UNESCO steht für United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Derzeit sind 195 Mitgliedstaaten in der UNESCO vertreten. Sie hat ihren Sitz in Paris.
Die Mitgliedstaaten der UNESCO verabschiedeten 1972 das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt. Die sogenannte Welterbekonvention trat nach Ratifizierung durch 20 Staaten 1975 in Kraft.
Wer in die „Liste des Welterbes“ aufgenommen wird, entscheiden ein Mal im Jahr die 21 Mitglieder des Welterbekomitees. Die Anerkennung verpflichtet jedes Land, sein Welterbe für kommende Generationen zu erhalten. Als Gegenleistung gibt es von der UNESCO fachliche Beratung und für Staaten, die nur über begrenzte Mittel verfügen, auch finanzielle Hilfen.
Im Jahr 1982 wird die „Liste des gefährdeten Welterbes“ ins Leben gerufen. Als erstes Kulturdenkmal wird aufgrund der besonderen politischen Situation die Altstadt von Jerusalem aufgenommen. Quelle: UNesco