(dpa/afp) Ein vermutlich abgeschossenes Passagierflugzeug und 298 Todesopfer, die nichts mit dem blutigen Konflikt zu tun hatten, der unter ihnen tobte: Durch den Absturz einer Boeing 777 der Fluggesellschaft Malaysia Airlines hat die Ukraine-Krise eine neue Dimension erreicht. Noch ist unklar, was genau passierte und wer für den Absturz verantwortlich ist. Alle 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder der Malaysia-Airlines-Boeing waren am Donnerstag ums Leben gekommen. An Bord waren unter anderen 189 Niederländer und vier Deutsche.
Der US-Fernsehsender CNN berief sich auf einen Mitarbeiter der US-Geheimdienste. Nach diesen Informationen zeigt die Auswertung von Satelliten-Aufnahmen, dass eine Boden-Luft-Rakete abgefeuert wurde. Auch US-Vizepräsident Joe Biden sprach von einem Abschuss: „Offenbar wurde das Flugzeug abgeschossen. Abgeschossen. Kein Unfall. Vom Himmel geholt.“
US-Präsident Barack Obama forderte eine sofortige Waffenruhe in der Ukraine. Es müsse eine glaubwürdige internationale Untersuchung des Vorfalls geben, und die Ermittler dürften dabei nicht behindert werden, sagte er am Freitag in Washington. Eine militärische Rolle der USA in dem Konflikt sehe Obama nach wie vor nicht.
Die Rakete, die das Flugzeug abgeschossen habe, sei aus einem von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiet abgefeuert worden. „Wir wissen noch nicht genau, was passiert ist“, räumte Obama ein. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass ein Flugzeug von den Aufständischen abgeschossen worden sei. Die Gruppe habe anhaltende Unterstützung von den Russen erhalten.
Der Absturz der Maschine sei „eine globale Tragödie“ und eine „Schande unaussprechlicher Größe“. Obama bezeichnete den Vorfall als „Weckruf“ für Europa und die Welt. Zu den Opfern zählen nach Informationen des Kölner „Express“ auch zwei Frauen aus Nordrhein-Westfalen. Die Zeitung berief sich auf Sicherheitskreise. Demnach stammt eine Frau aus Westfalen, die andere aus dem Rheinland.
Nach Angaben der prowestlichen Führung der Ukraine haben die Separatisten keine Raketenflugabwehrsysteme vom Typ „Buk“ (Buche) für den Abschuss von Flugzeugen in ihrem Besitz. Das von der sowjetischen Rüstungsindustrie entwickelte Lenkwaffensystem kann Ziele in Höhen bis zu 25 000 Metern treffen. Aus Sicht der Ukraine führt die Spur deshalb nach Russland. Nach jüngsten Angaben aus Malaysia kamen neben Niederländern und Deutschen auch 44 Malaysier, 27 Australier, zwölf Indonesier, neun Briten, vier Belgier, drei Philippiner, ein Kanadier und ein Neuseeländer ums Leben.
Der Fluggesellschaft war schon nach dem rätselhaften Verschwinden von Flug MH 370 am 8. März vorgeworfen worden, die Ursachen zu verschleiern. Nun flammt die Kritik wieder auf. Eine Großfamilie aus Australien verlor sogar Angehörige bei beiden Flugkatastrophen. Nachdem ein Ehepaar aus der Familie mit Flug MH 370 verschwand, starben nun zwei weitere Familienmitglieder in der Ostukraine.
Rund ein Drittel der Todesopfer sollen Aids-Fachleute auf dem Weg zur 20. Welt-Aids-Konferenz im australischen Melbourne gewesen sein. Unter ihnen der bekannte niederländische Aids-Forscher und frühere Präsident der Internationalen Aids-Stiftung, Joep Lange; der fünffache Vater kam mit seiner Frau ums Leben.
Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums wurden die sterblichen Überreste der Passagiere nach Charkow gebracht. In der etwa 300 Kilometer von der Absturzstelle entfernten Stadt werde ein Labor zur Identifizierung eingerichtet, hieß es.
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