Wie im Theater geht beim Völkermordtribunal in Kambodscha ein Vorhang auf und gibt den Blick frei auf zwei Alte, die gleich als Verbrecher gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Nuon Chea und Khieu Samphan, 88 und 83 Jahre alt, sind gebrechlich. „Schuldig“ donnert Richter Nil Nonn nach eineinhalb Stunden Urteilsbegründung. Die beiden verziehen keine Miene.
Was sind das für Männer, die laut Gericht als Teil des innersten Zirkels der radikalkommunistischen Roten Khmer den Tod von Zehntausenden Menschen auf dem Gewissen haben? Nuon Chea, der keiner Fliege was zuleide tun konnte, wie seine Frau nach 55 Jahren Ehe als Zeugin zu Protokoll gab. Er spiele gerne mit seinen Enkeln. Khieu Samphan, der seine Kinder in den 70er Jahren in den Schlaf wiegte, wie seine Frau So Socheat sagte. Er habe sogar die Windeln gewaschen.
Fast könnten einem die beiden alten Männer leidtun. Bis die von ihnen verantworteten Gräueltaten zur Sprache kommen: Babys zerschmettert, weil ihre stillende Mutter tot zusammengebrochen war, Kinder erschlagen, weil sie weinten, Kranke erschossen, weil sie dem Gewaltmarsch nicht gewachsen waren. Insgesamt kamen unter der Rote-Khmer-Herrschaft von 1975 bis 1979 rund 1,7 Millionen Menschen ums Leben – durch Zwangsarbeit, Hungersnöte, Folter und Mord. Der Anführer, „Bruder Nummer eins“ Pol Pot, ist seit 1998 tot. Aber die Angeklagten seien als Teil des Führungszirkels mitverantwortlich gewesen, urteilt das Gericht.
Doch die Verurteilten sind sich keiner Schuld bewusst. Propagandachef Nuon Chea nennt sich immer noch Volksbefreier, einer der Frieden und Wohlstand für alle wollte. Verbrechen gegen die Menschlichkeit? „Ich liebe mein Volk doch“, sagte er im Prozess. Zwangsvertreibung aus den Städten? „Wir wollten die Leute vor US-Bomben schützen.“ Was ist mit Leichenbergen, die Zeugen gesehen haben? „Lügen.“ Khieu Samphan, ab 1976 Staatspräsident, stilisiert sich als Intellektueller, der leider als Aushängeschild missbraucht wurde. Warum ist der Prozess mehr als 35 Jahre nach dem Sturz des Regimes so wichtig? „Es ist ein Meilenstein für Kambodscha und Opfer in aller Welt“, sagt die Anklägerin Chea Leang. „Es zollt den Opfern den öffentlichen Respekt, der ihnen so lange verwehrt war.“
„Dass die Taten nun dokumentiert sind, dass jetzt über die damalige Zeit geredet wird, dass eine Erinnerungskultur entsteht, das ist das große Verdienst des Tribunals“, sagt vor Ort die EU-Abgeordnete Barbara Lochbihler (Grüne). „Eine Gesellschaft kennt sich selbst nicht, wenn sie keine akkuraten Informationen über und Erinnerungen an seine eigene Geschichte hat“, glaubt Youk Chhang, Direktor des Dokumentationszentrums über die Zeit. Er wurde mit 15 fast zu Tode gefoltert. „Ich bin zufrieden, das ist Gerechtigkeit“, sagt die 76-jährige Sou Sotheavy.