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„Einschüchterung ist eine Taktik“
Michael Konken       -  Der DJV-Vorsitzende Michael Konken fordert einen wirksameren Datenschutz.
| Der DJV-Vorsitzende Michael Konken fordert einen wirksameren Datenschutz.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 08.11.2013 10:55 Uhr

Vor etwa zwei Monaten brachte die britische Zeitung „The Guardian“ mit Hilfe von geheimen Dokumenten des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden die Ausspähaffäre ins Rollen. Jetzt wurde die Zeitung nach eigenen Angaben von der Regierung in London massiv unter Druck gesetzt. Sie sollte das Material herausgeben oder vernichten – falls nicht, drohten juristische Konsequenzen. Zwei Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes haben im Keller der Zeitung die Zerstörung der Festplatten überwacht, berichtet der „Guardian“-Chefredakteur. Über diesen Vorfall sprachen wir mit Michael Konken, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes.

Frage: Herr Konken, wie bewerten Sie das Vorgehen der britischen Regierung?

Michael Konken: Es ist erschütternd zu sehen, wie die Regierung mit Pressefreiheit umgeht und Druck auf Medien ausübt. Bislang konnte ich mir nicht vorstellen, dass so etwas in einer Demokratie möglich ist. So ein massives Vorgehen kennt man aus Diktaturen.

Zwei Tage vorher wurde der Partner des „Guardian“-Journalisten Glenn Greenwald neun Stunden von der britischen Polizei am Londoner Flughafen festgehalten und verhört. Sie nahmen ihm Computer, Handy und Fotoapparat ab. Die Briten berufen sich auf das Anti-Terror-Gesetz.

Konken: Wir beobachten immer wieder, dass Regierungen und Behörden alles unter dem Schlagwort „Terrorabwehr“ einordnen. In diesem Fall ist brisantes Material an die Öffentlichkeit gelangt. Journalisten haben die Aufgabe, eine Kontrollfunktion auszuüben. Und die britische Regierung würde nicht so handeln, wenn da nicht etwas dran wäre. Ich kann nur hoffen, dass sich die Journalisten nicht einschüchtern lassen.

Müssen Journalisten jetzt auch in Deutschland Angst vor staatlicher Verfolgung haben, wenn sie über Geheimdienst- oder Staatsaffären berichten?

Konken: Auch in Deutschland kommt es immer wieder zur Verletzung der Pressefreiheit. Es ist schon vorgekommen, dass Bürgermeister vom Chefredakteur verlangen, einen besonders unbequemen Redakteur auszutauschen. Es zeigt, dass Politiker heute zunehmend empfindlicher reagiert und nicht mehr mit Kritik umgehen kann. Sie wollen am liebsten unbeobachtet agieren und sich der Kontrolle durch die Medien entziehen.

Hat das vielleicht auch mit der zunehmenden Digitalisierung zu tun?

Konken: Die Medienlandschaft hat sich verändert. Wir finden alle Informationen online wieder, auch aus nicht journalistischen Quellen. Die Gesellschaft ist transparenter geworden.

Welches Licht werfen die Einschüchterungsversuche der britischen Regierung auf die NSA-Affäre?

Konken: Das Motto muss sein: Jetzt erst recht. Wir haben hier offensichtlich in ein Wespennest gestochen. Es ist unsere Pflicht als Journalisten, an der NSA-Affäre weiter dranzubleiben und aufzuklären – auch in Deutschland.

Kanzleramtsminister Ronald Pofalla erklärte die Ausspähaffäre bereits für beendet.

Konken: Seine Erklärung scheint mir wenig glaubwürdig. Es geht ihm darum, vor der Bundestagswahl noch schnell einen Schlussstrich unter das Thema zu ziehen.

Mittlerweile sind etliche Wochen verstrichen, seitdem der Ex-NSA-Mitarbeiter Snowden den Skandal ins Rollen gebracht hat. Was wissen wir eigentlich?

Konken: Wir wissen, dass Daten ausgetauscht und weitergegeben werden. Wir wissen aber nicht, in welchem Umfang, auf welchem Weg und wie wir uns davor schützen können.

Mittlerweile ist bekannt, dass der BND Millionen Daten in die USA schickt – angeblich bereinigt von persönlichen Daten Deutscher. Außerdem zapfen die Briten Glasfaserkabel im Meer an, um unsere Kommunikation zu speichern. Ferner besitzen die USA Spähprogramme namens Prism und XKeyScore. Offensichtlich können sie auch auf amerikanische Dienste wie Facebook und Google zugreifen. Die Bundesregierung versichert, das alles geschehe nicht auf deutschem Boden. Was halten Sie von der Aussage?

Konken: Wir sind alle international ausgerichtet. Wir können uns nicht auf unser Bundesgebiet zurückziehen. Die Daten fließen über Landesgrenzen. Das bedeutet für den Schutz von Informanten: Ohne wirksame Datenverschlüsselung bleibt nur noch die Parkbank, um geheimes Material auszutauschen.

Informanten wie Edward Snowden, Julian Assange und Bradley Manning werden mit aller Härte verfolgt. Was bedeutet das für den Journalismus?

Konken: Wir Journalisten sind auf diese Informationen angewiesen. Wenn wir Missstände an die Öffentlichkeit bringen wollen, brauchen wir Informanten. Doch künftig wird es sich jeder dreimal überlegen, ob er brisantes Material an die Medien weitergibt. Die Einschüchterung ist eine Taktik.

Was bedeutet das für uns Bürger, wenn Journalisten nicht mehr unabhängig arbeiten können oder Informanten eingeschüchtert werden?

Konken: Ohne unabhängigen Journalismus und ohne eine täglich gelebte Pressefreiheit kann eine Demokratie nicht funktionieren. Die Kontrollfunktion muss erhalten bleiben. Sonst wird die Kontrolle von denen ausgeübt, die an der Macht sind, und das Volk kann sich nicht mehr dagegen wehren.

Die NSA-Affäre scheint bei der Wahl aber kaum eine Rolle zu spielen. Warum?

Konken: Es ist eine Art Gleichgültigkeit bei den Bürgern eingetreten. Früher ist man bei einer Volkszählung schon auf die Barrikaden gegangen. Das darf uns Journalisten aber nicht beruhigen. Wir haben die Aufgabe, die Öffentlichkeit für das Thema Datenschutz zu sensibilisieren.

Warum?

Konken: Wir geben unsere eigene Freiheit auf, wenn uns andere durch das Abgreifen unserer Daten in der Hand haben.

Glauben Sie, dass das Vorgehen der britischen Regierung Folgen hat?

Konken: Ich hoffe, dass der „Guardian“ dagegen vorgeht. Doch im Prinzip sind alle Medien solidarisch gefordert. Wenn man sich so etwas gefallen lässt, wird es als Beispiel für künftige Fälle gelten. So höhlt man die Pressefreiheit aus.

Michael Konken

Der 59-Jährige ist seit 2003 Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes. Er unterrichtet Journalismus und Politik an der Universität Vechta und Kommunikation an der Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/ Elsfleth. Michael Konken ist außerdem Autor verschiedener Fachbücher zum Thema Kommunikation. FOTO: DJV

 
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