Es ist morgens um elf, und Eric Mbalane hat bereits eine halbe Tonne Wasser geschleppt. Das T-Shirt klebt am hageren Körper, das Gesicht wirkt müde. Zwölf Stunden arbeitet er am Tag. Der 31-Jährige aber wischt sich in der prallen Sonne den Schweiß von der Stirn und sagt nur: „Ich freue mich, dass ich helfen kann.“
Tausende Kapstädter stellen sich an einer natürlichen Quelle im Stadtteil Newlands jeden Tag für Wasser an, in der Mittagshitze sind es an die 80. Der Gelegenheitsarbeiter Mbalane hilft den Gebrechlichen unter ihnen, dass Wasser zum Auto zu tragen. Einige haben Körbe mit leeren Flaschen dabei, andere große Kanister. Eine Viertelstunde dauert es, bis sie, von Sicherheitsleuten beobachtet, maximal 25 Liter abgezapft haben. Wer mehr will, muss sich wieder hinten anstellen. Was bleibt ihnen anderes übrig?
Mbalane sieht sich als „einen Kämpfer gegen Day Zero“, wie er sagt, auch wenn die umgerechnet 15 Euro Trinkgeld am Tag nur für das Nötigste reichen. In apokalyptischem Duktus hat die Stadt nach drei Jahren verheerender Dürre „Tag Null“ als das Datum ausgerufen, an dem die meisten Wasserhähne der Stadt abgeklemmt werden. Aktuell ist dafür, basierend auf den derzeitigen Verbrauch und Regenfällen, der 4. Juni berechnet. Dann werden die Dämme nur noch zu 13,5 Prozent gefüllt sein, an 180 Ausgabestellen müsste die Mehrheit der knapp vier Millionen Einwohner für 25-Liter-Rationen anstehen – ein weltweit einmaliges Szenario für eine moderne Großstadt. Ein logistischer Albtraum noch dazu.
Schon jetzt gelten strenge Restriktionen. Maximal dürfen 50 Liter Leitungswasser pro Person und Tag verbraucht werden – etwas mehr als ein Drittel des deutschen Durchschnittsverbrauchs. Deshalb kommen jeden Tag schon jetzt Tausende zu der Quelle. Einige Familien haben keine Wahl, sie erzählen, der Wasserdruck in ihrer Gegend sei so weit reduziert worden, dass schon jetzt kein Wasser mehr aus den Leitungen kommt. Andere misstrauen – zu Unrecht – der Qualität des Trinkwassers angesichts der niedrigen Wasserstände der Dämme.
In der Schlange fachsimpeln Fremde miteinander über Wasserspartipps, die Stimmung ist noch entspannt. Wer hier einige Stunden zugesehen hat, dem kommen Aussagen der Premierministerin des Westkaps, Helen Zille, fast schon hysterisch vor. Sie hat Ende Januar im Fall von „Day Zero“ vor „Anarchie“ gewarnt. Es drohe die „schwierigste urbane Herausforderung seit Ende des Zweiten Weltkrieges“. Damals war „Day Zero“ noch für April vorhergesagt worden, das Wassersparen der Kapstädter und Einschränkungen für den Verbrauch der Landwirtschaft haben den Stichtag inzwischen um fast zwei Monate nach hinten verschoben. „Großartiges Engagement“, lobte sie inzwischen auf Twitter, „bitte macht weiter.“
Zille hatte den Gemeinschaftssinn ihrer Bürger, von denen viele nach Kräften Wasser sparen, unterschätzt. Manchmal hilft allerdings auch die Stadt nach. Uneinsichtige private Großverbraucher bekommen Strafen von bis zu 400 Euro aufgebrummt und werden zum Einbau von Geräten gezwungen, mit denen die Wasserzufuhr nach Überschreiten des Limits abgeklemmt wird. Vielleicht klappt es ja doch, dass sich die Stadt bis zum Beginn der Regenzeit im Juni retten kann.
Wenn nicht, dann bekäme die Dürre in Kapstadt endgültig weltweite Relevanz. Rom war im letzten Sommer zu Wasserrestriktionen gezwungen, in Mexiko City haben viele Bürger nur zu bestimmten Tageszeiten Leitungswasser. Jakarta verbraucht in erschreckender Geschwindigkeit sein Grundwasser. In Melbourne könnte, wie schon um die Jahrtausendwende, das Wasser bald wieder knapp werden.
In Kapstadt glauben viele Bürger noch immer nicht, dass „Day Zero“ eine realistische Gefahr ist. Generelles Misstrauen gegenüber jeder Form von Regierung ist in Südafrika weit verbreitet. Nur mit Mühe gelang es der am Kap regierenden Demokratischen Allianz, den Ernst der Lage zu vermitteln. Noch Mitte Januar hielt sich nicht einmal jeder Zweite an das damals geltende Limit von 87 Litern pro Tag.
In einem Hinterhof der renommierten University of Cape Town spricht der Hydrologe Piotr Wolski bei einer Tasse Filterkaffee mit sanfter Stimme über harte Wahrheiten. Bis vor wenigen Wochen hat die Stadt die Berechnungsmethode für „Day Zero“ unter Verschluss gehalten, was zu Verschwörungstheorien beitrug. Doch Wolski kommt mit seinen Berechnungen fast auf den gleichen Stichtag wie die Stadt.
„Nur wenn wir radikal Wasser sparen, haben wir eine Chance, bis zur Regenzeit irgendwie durchzugleiten“, sagt er. Wolski hat lange im notorisch trockenen Botswana gelebt. Er verbraucht maximal 25 Liter am Tag.
Statistisch ereignet sich am Kap eine derart lang anhaltende Dürre alle 311 Jahre. Die Gegend ist ähnlich trocken wie der Süden Kaliforniens, der regelmäßig mit Dürren zu kämpfen hat. Nicht weit von der Oase Kapstadt schließt sich die Halbwüstenlandschaft der Karoo an. Der für seine grüne Vegetation bekannte Küstenort profitiert von seinem ikonischen Tafelberg, an dem sich die Wolken des Ozeans sammeln und besonders zwischen Juni und September zu heftigen Regenfällen entladen. Darauf war bislang Verlass, die Versorgung basiert deshalb fast ausschließlich auf sechs vom Regen abhängigen Dämmen.
Wolski hat historische Wetteraufzeichnungen analysiert und Daten über schwere Dürren in den 1920er und 1970er Jahren gefunden. „Die Temperatur ist in den vergangenen 100 Jahren gestiegen, die Regenfälle haben, wenn auch weniger signifikant, abgenommen“, sagt er.
Mit anderen Worten: Trockene Jahre werden trockener, die nassen Jahre weniger nass. Das verschärft die Intensität von Dürren. Das Risiko längerer Trockenperioden hat sich mindestens verdoppelt, je nach Berechnungsform sei sogar ein 15-fach höheres Risiko möglich, sagt Wolski. Die Entwicklung entspreche Erkenntnissen in anderen Teilen der Welt, denen zufolge der Klimawandel zu extremeren Wetterausschlägen führt.
Ganz neu ist diese Erkenntnis freilich nicht. Schon 2007 warnte Südafrikas Wasserministerium, dass sich die Stadt nicht länger alleine auf ihre von Regenfällen abhängigen Dämme verlassen könne, sondern vermehrt in die Förderung von Grundwasser und Entsalzungsanlagen investieren müsse. Viele der entsprechenden Investitionen müssen auf nationaler Ebene genehmigt werden – für entsprechende Projekte waren jedoch erst ab 2020 im größeren Stil Budgets freigegeben. Und in Kapstadt nutzte man vorhandene Mittel lieber für andere Projekte wie den Ausbau der Elektrizität und von Unterkünften in den rasant wachsenden Armenvierteln.
Schließlich waren die Dämme im Jahr 2014 nach guten Regenfällen noch prall gefüllt. Die Stadt ließ sich dafür feiern, dass sie trotz 30 Prozent mehr Einwohnern – ein Problem vieler Metropolen – seit dem Jahr 2000 die Kapazitäten nicht erweitern musste. Die vorhandenen Mittel wurden effektiver genutzt. Reparierte Leitungen, die Installation tausender Wasserzähler und erhöhte Tarife sorgten für einen geringeren Pro-Kopf-Verbrauch. Die „C40“, eine Vereinigung von Städten, zeichnete Kapstadt mit einem Preis für gelungene Anpassung an den Klimawandel aus.
Allerdings, sagt Wolski, habe man Anfang 2017 lieber auf Glück als auf Notmaßnahmen gesetzt. Damals waren sich die Meteorologen uneins, wie nass die Regenzeit Mitte des Jahres werden würde. Die Stadt verließ sich auf Experten, die überdurchschnittlich viel Regen prognostizierten. Doch es folgte eines der trockensten Jahre überhaupt. Die Krise offenbart einmal mehr auch die sozialen Kontraste der Stadt, in der die Einkommensunterschiede so ausgeprägt sind wie an kaum einem anderen Ort weltweit. So mancher Großverdiener lässt für umgerechnet 2000 Euro mit Wasser beladene Lkw aus Gegenden Südafrikas ankarren, die nicht von der Dürre betroffen sind – um den Pool aufzufüllen.
Wer es sich leisten kann, lässt mit einem Bohrloch auf seinem Grundstück das Grundwasser anzapfen. Oder versucht sich mit Regentanks von der Wasserversorgung der Stadt langfristig so unabhängig wie möglich zu machen.
Derartige Maßnahmen sind teuer und deshalb vor allem in den Townships unerschwinglich. In den Armenvierteln leben rund 40 Prozent der Bewohner Kapstadts; die Verwaltung hat angekündigt, dass sie hier – wie auch in Krankenhäusern und Schulen – das Wasser nicht abdrehen wird. Eine sinnvolle Maßnahme, schließlich sind die meisten hier schon jetzt auf Gemeinschaftswasserhähne angewiesen.
An einem Vormittag geht Christine Mofomme die 80 Meter von ihrer Hütte zum nächsten Wasserhahn in Imizamo Yethu, einem eng besiedelten Slum mit rund 30 000 Einwohnern. Zwei andere Frauen stehen an. Hier wird gespült, gewaschen und Wasser für die Familie abgeholt.
Mofomme ist sauer. Die Altenpflegerin hat auf Facebook gesehen, wie sich viele wohlhabende Bürger über Autowäscher in den Townships aufregen. Sie würden unverdrossen weiter Leitungswasser zum Reinigen der Taxis verwenden, was längst illegal ist. In einem mehrere hundertmal geteilten Beitrag heißt es, in den Townships werde kein Wasser gespart – schließlich werde es dort kostenlos zur Verfügung gestellt.
„Das ist nicht fair, wir verbrauchen viel weniger als die Weißen in ihren riesigen Häusern und Gärten“, sagt Mofomme. Sie spottet über das Gejammer der Mittelschicht, mit 50 Litern auskommen zu müssen: „Ich habe da wenig Mitleid.“ Die 23-Jährige lebt allein. Alle zwei Tage füllt sie ihren 20-Liter-Kanister auf – mehr verbraucht sie nicht. Wer wie sie jeden Liter tragen muss, der verschwende nichts, sagt die junge Frau. „Wir haben hier doch jeden Tag ?Day Zero?.“