Nihal Olcok müsste eigentlich eine Vorzeige-Frau für die türkische Regierungspartei AKP sein. Sie trägt das Kopftuch der frommen Musliminnen, ihr Mann war ein enger Berater von Präsident Recep Tayyip Erdogan; er starb beim Widerstand gegen den Putschversuch von 2016 und gilt deshalb als „Märtyrer“. Doch seine Witwe hat sich dem früheren Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu angeschlossen, der seine „Zukunftspartei“ als Konkurrentin der AKP positioniert. Hat Erdogan den Herausforderer Davutoglu anfangs noch belächelt, so hat er inzwischen die Gefahr erkannt. Zwischen Erdogan und seinem ehemaligen Berater Davutoglu ist der Krieg eröffnet.
Davutoglu will enttäuschte Erdogan-Anhänger sammeln
Olcok ist eine von 35 Frauen unter den 154 Gründungsmitgliedern von Davutoglus islamisch-konservativer Zukunftspartei, deren Logo das grüne Blatt einer Platane zeigt; die Platane ist in der Türkei ein Symbol von Größe und Überlegenheit, Grün ist die Farbe des Islam. Davutoglu will enttäuschte AKP-Anhänger um sich versammeln, die von Erdogans autokratischem Kurs und der Korruption der Regierungspartei die Nase voll haben.
Davutoglu und der ehemalige Vizepremier Ali Babacan, der noch vor Jahresende eine liberal-konservative Partei gründen will, könnten von der Verbitterung vieler Wähler profitieren. Nach einer neuen Umfrage fühlt sich derzeit jeder dritte Türke politisch heimatlos.
Für Nihal Olcok äußert sich der moralische Bankrott der AKP vor allem in der Verlogenheit über die langjährige Partnerschaft mit der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. AKP und Gülen-Bewegung hatten gemeinsam gegen die Vorherrschaft der alten säkularen Eliten in der Türkei gekämpft, sich dann aber überworfen. Heute gilt Gülen als Drahtzieher des Putschversuches von 2016 und als Staatsfeind Nummer Eins. Von der früheren Zusammenarbeit will die Regierung nichts mehr wissen, hat aber zehntausende Menschen unter dem Verdacht der Sympathie mit Gülen ins Gefängnis werfen lassen.
Nihal Olcok klagt die AKP an
Mit drastischen Worten klagt Olcok die AKP an: Die Partei habe sich von Gülen „schwängern lassen“, beim Putschversuch eine „Abtreibung mit dem Blut der Märtyrer“ vollzogen und stolziere heute wieder als „Jungfrau“ durchs Land. Die Worte treffen die AKP schwer. Olcoks Mann Erol war einer der Architekten von Erdogans Wahlerfolgen; sein Tod erschütterte Erdogan auch persönlich. Dass ausgerechnet Nihal Olcok jetzt auf die Seite der Kritiker gewechselt ist, wird ihr in der Partei nicht verziehen. AKP-Anhänger greifen sie scharf an.
Davutoglu präsentiert seine neue Partei im selben Hotel in Ankara, in dem Erdogan im Jahr 2001 die AKP offiziell vorstellte. In seiner Rede verspricht er einen Reformkurs, der den Rechtsstaat, die Rechte der Kurden und die Pressefreiheit stärken sowie Erdogans Präsidialsystem abschaffen werde. In der Außenpolitik will Davutoglu die Krisen in den türkischen Beziehungen zu den USA, EU und Nato beenden.
Zweigen der Staatschef und seine Familie Geld ab?
Schon vor der Parteigründung ist Erdogan in die Offensive gegangen. Der Präsident wirft seinem ehemaligen Außenminister und Ministerpräsidenten vor, er sei korrupt und habe eine Staatsbank betrogen. Davutoglu reagiert mit der Forderung, die Privatvermögen aller noch lebenden Präsidenten, Ex-Präsidenten und Regierungschefs überprüfen zu lassen. Damit zielt er auf Erdogan: Kritiker haben den Staatschef und seine Familie schon lange im Verdacht, viel Geld in die eigene Tasche zu schieben.
Dass Erdogan jetzt zum Frontalangriff übergehe, zeige vor allem eines, sagt der Journalist Rusen Cakir, einer der besten Kenner der AKP: „Der Krieg hat begonnen.“ Dieser Krieg könnte heftig werden, denn Erdogan und Davutoglu haben jahrelang zusammengearbeitet und verfügen wahrscheinlich über Dokumente, die für den jeweiligen Gegner unangenehm werden könnten. „Die beiden Lager wissen viel übereinander“, sagt Cakir im Internet-Fernsehkanal Medyascope.