Wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande an diesem Freitag treffen, dann in der Stadt, die von der wechselhaften Beziehung beider Länder geprägt wurde wie keine andere: Straßburg. Dessen Bewohner lange als Spielball der einander bekämpfenden Mächte dienten, die inzwischen Partner sind. Und das heute Errungenschaften wie das EU-Parlament und den Fernsehkanal Arte beherbergt. Ein symbolischer Ort, um über die Annäherung der Fiskal- und Wirtschaftspolitik der Euroländer und Initiativen für mehr Wachstum und Beschäftigung zu diskutieren, auf die Paris so pocht.
Aber wohl auch über den Wahlsieg der Syriza-Partei in Griechenland, den Paris weniger kritisch aufnahm als Berlin. Regierungssprecher Stéphane Le Foll formulierte nun vorsichtig, Paris suche den Dialog und zeige Solidarität, bestehe aber auf dem „Verantwortungsbewusstsein eines jeden gegenüber der Eurozone“ – über einen Schuldenschnitt werde nicht diskutiert. Eigentlich war das von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz angeregte Treffen für Mitte Januar angesetzt, wurde aber im Zug der Terroranschläge in Paris abgesagt. Stattdessen kamen Schulz und Merkel zum Gedenkmarsch für die 17 Todesopfer in der französischen Hauptstadt. In ungewohnter Innigkeit gingen die Bundeskanzlerin und Hollande Arm in Arm.
Zum ersten Mal schien die bisherige kühle Distanziertheit zwischen Merkel und Hollande aufzubrechen, der ihr Verhältnis „ehrlich und offen“ nennt. Doch über diesen Moment hinaus besteht Gesprächsbedarf für die Vertreter der beiden größten Volkswirtschaften Europas. Dass die EU ausgebremst wird, wenn der deutsch-französische Motor stottert, wird so oft wiederholt, dass es längst wie eine Plattitüde klingt. Aber ihr Gehalt bleibt wahr.
Auch wenn sie sich inzwischen duzen – Hollande schien stets mehr auf einer Ebene mit Bundespräsident Joachim Gauck zu sein. Zwar wurde Merkels Verhältnis zu Hollandes konservativem Vorgänger Nicolas Sarkozy, den sie während der Eurokrise gezwungenermaßen permanent traf, von den Medien unter dem Stichwort „Merkozy“ wohl überhöht. Für eine echte Freundschaft erscheinen die beiden Parteifreunde zu unterschiedlich.
Als Sarkozy nach seiner Wahl zum Parteichef der bürgerlich-rechten UMP einen Auftritt beim nächsten CDU-Partei ankündigte, ohne die Kanzlerin vorab zu informieren, ging der voreilige Schuss nach hinten los: Wegen „Terminproblemen“ wurde der Besuch sogleich wieder abgesagt. Merkel hatte Hollande nicht vor den Kopf stoßen wollen, indem sie seinem schärfsten Rivalen eine Bühne bot. Und doch wirkte der schlechte Start der beiden lange fort. Merkel hatte im Wahlkampf 2012 Sarkozy klar unterstützt, Hollande empfing als Retourkutsche noch vor ihr Vertreter der SPD im Elysée-Palast.
Merkel wird in Frankreich zwar bewundert – laut einer Umfrage haben 72 Prozent der Franzosen ein positives Bild von ihr. Doch 74 Prozent empfinden sie zugleich als zu dominant. Viele in Paris erleben die Stärke von Deutschlands Wirtschaft als Schmach. Der heißblütige Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, der Merkel 2011 eine „Expansionspolitik a la Bismarck“ vorwarf, musste zwar inzwischen die Regierung verlassen. Doch mit dem früheren Premierminister Jean-Marc Ayrault ging auch einer der wenigen Deutschland-Kenner.
Scharf wurde der Streit zum Jahresende, als Frankreich offiziell erklärte, erneut das EU-Defizitziel von drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu reißen, obwohl die EU-Kommission zwei Jahre Aufschub gegeben hatte. Deutschland pochte auf Einhaltung der Schuldengrenze, in Frankreich wiederum wies man „Belehrungen“ des Nachbarn zurück. Auch verärgerte dessen Widerstand gegen die Berufung des früheren französischen Wirtschafts- und Finanzministers Pierre Moscovici zum EU-Währungskommissar, der als mitverantwortlich für Frankreichs nachlässige Haushaltskonsolidierung gilt.
Doch Moscovici wurde durchgesetzt und Paris spielte den Ball zurück mit Verweisen auf Deutschlands negative demografische Entwicklung (während Frankreich wächst und 2050 das bevölkerungsreichste Land Europas sein dürfte), auf das enttäuschende militärische Engagement bei internationalen Konflikten und mangelnde Investitionen im eigenen Land.
Frankreichs anhaltende wirtschaftliche Schwäche bringt Hollande in eine prekäre Verhandlungsposition. „Angela Merkel erwartet, dass Frankreich wettbewerbsfähiger wird, und wir erwarten mehr Wachstumsinitiativen“, erklärte er. „Wir müssen unsere Positionen zusammenbringen.“ Was zu einer alten deutsch-französischen Weisheit führt: Am Ende geht es nur mit einem Kompromiss zwischen den Partnern, die einander so nah und fremd zugleich sind.