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BRÜSSEL
Eine Geschichte, die erzählt werden muss
Europäischer Frühstückstisch mit Knäckebrot aus Dänemark, Croissants aus Frankreich und Käse aus den Niederlanden im Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel.
Foto: EP | Europäischer Frühstückstisch mit Knäckebrot aus Dänemark, Croissants aus Frankreich und Käse aus den Niederlanden im Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel.
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 08.11.2019 04:00 Uhr

Der Bogen ist weit gespannt. Im ersten Stock wurde ein europäischer Frühstückstisch gedeckt – mit Knäckebrot aus Dänemark, Croissants aus Frankreich und Käse aus den Niederlanden. Zwei Stockwerke darüber bomben deutsche und alliierte Flieger auf einer überdimensionalen Video-Leinwand in Endlosschleife Europa in Schutt und Asche: Es ist das Haus der Europäischen Geschichte, das mit Stolz und Scham auf den langen Weg zur Gemeinschaft zurückblickt.

Am gestrigen Donnerstag wurde der 55 Millionen Euro teure Bau eröffnet, direkt neben dem Parlament, in dem die Vertreter der 28 Mitgliedstaaten über Klimaschutz und den Mutterschutz streiten. „Die Idee Europa muss eine Quelle des solidarischen Zusammenhalts und des Zusammenwachsens in Europa sein. Dazu muss sie erzählt werden.“ Der Mann, der diese Worte bei der feierlichen Eröffnung sprach, war von 2007 bis 2009 Präsident des Europäischen Parlaments: Hans-Gert Pöttering, 71 Jahre alt, CDU-Politiker, Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Als er sein Amt vor zehn Jahren antrat, präsentierte er die Idee zu diesem Museum, angespornt von der Beliebtheit eines gleichartigen Nationalmuseums in Bonn zur deutschen Geschichte. Ein passendes Gebäude war schnell gefunden: der sogenannte Eastman-Bau, eine von dem späteren Begründer der Firma Kodak, George Eastman, im Jahr 1935 eröffnete Zahnklinik. Sie liegt im Parc Leopold neben dem Brüsseler Parlamentsgebäude, ein Kleinod voller Art-déco-Villen, von dem es heißt, er sei zu Beginn des 20. Jahrhunderts so etwas wie das Silicon Valley des anbrechenden Industriezeitalters gewesen. Hier forschten und arbeiteten die Stars der damaligen Wissenschaft wie Marie Curie, Albert Einstein oder der französische Physiker Paul Longevin.

Fünf Jahre Bauzeit

Fünf Jahre lang bauten einheimische Unternehmen das Haus nach den Vorgaben belgischer, französischer und deutscher Architekten um. Was nun steht, ist eine 4000 Quadratmeter umfassende Dauerausstellung, die durch wechselnde Schauen auf rund 800 Quadratmeter ergänzt wird. Ein internationales Team von Fachleuten und Museumspädagogen war beratend tätig.

Bitterer Rückblick

Entstanden ist der bittere Rückblick in „eine Geschichte voller Tragödien“ (Pöttering), aber eben auch der einzigartige Neuaufbruch. „Das historisch Neue an der europäischen Einigung ist: Sie gründet sich auf dem Recht. Das Recht hat die Macht und nicht die Macht diktiert das Recht.“ Es ist ein beklemmender Weg, der sich lohnt.

Er beginnt in der Frühzeit der Industrialisierung, in der soziale Rechte völliges Neuland waren. Ausbeutung, Armut, Kinderarbeit – sie stehen am Anfang. Wer durch die Erinnerungsstücke des Ersten und Zweiten Weltkriegs weitergeht, wer an der Original-Zapfsäule der Firma Total (sie erinnert an die Energiekrise der 70er Jahre) vorbei in den obersten Stock gelangt, steht vor einem gewaltigen Dokument – ein sieben Meter langes, aufgeschlagenes Buch, das den Schatz der europäischen Vereinbarungen enthält.

Ob Binnenmarkt, Arbeits- oder Verbraucherschutz – anschaulich wird dem Besucher nahegebracht, wie viel diese Union inzwischen geschaffen hat. Gleich nebenan in einer Glasvitrine hängt die Anerkennung all dessen: Die Urkunde des norwegischen Nobelpreis-Komitees, das der EU 2012 den Friedensnobelpreis verlieh.

„Informelles Lernen“ nennen die Museumspädagogen die diversen Stilmittel zum Mitmachen – vor allem für junge Besucher. Mitmachpakete für Kinder, Familienrucksäcke, deren Inhalte das Gespräch von Eltern mit ihrem Nachwuchs ankurbeln sollen – solche Instrumente hält man in Brüssel bereit.

Und auch noch einen Tipp: Das Haus der Europäischen Geschichte versteht sich als Ergänzung zum unweit gelegenen „Parlamentarium“, einem ebenfalls interaktiven Museum über die Geschichte des EU-Parlamentes im 20. und 21. Jahrhundert.

Haus der Europäischen Geschichte

Der Eintritt in das Museum „Haus der Europäischen Geschichte“ ist kostenlos. Das Museum ist Montag (13 bis 18 Uhr) sowie von Dienstag bis Freitag (9 bis 18 Uhr) und am Wochenende (10 bis 18 Uhr) geöffnet. An folgenden Tagen bleibt das Museum geschlossen: 1. Januar, 1. Mai, 1. November, 24., 25. und 26. Dezember. Besucher können ein Tablet für ihren Rundgang mit weiterführenden Informationen in 24 Sprachen bekommen. Anschrift: Haus der Europäischen Geschichte, Rue Belliard/Belliardstraat 135, 1000 Brüssel, Belgien. Anreise: Mit den Zügen aus Deutschland zum Gare du Midi, von dort mit der Metro (Haltestelle Maelbeek). Mit dem Flugzeug zum Airport Zaventem, von da aus mit dem Nahverkehrszug bis zur Haltestelle Gare du Luxembourg oder „Schuman“. Autofahrer sollten ihre Fahrzeuge im weiteren Umfeld abstellen, Parkplätze sind Mangelware. Info: www.historia-europa-ep.eudre
 
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