Als sie angefangen haben, über Verbote zu sprechen, zog die Nachfrage an“, sagt der bedächtige Mann vor dem Waffenarsenal an der Wand. „Wo ich früher drei Stück im Monat losgeworden bin, könnte ich heute zehn pro Woche verkaufen.“ Gut 20 halbautomatische Sturmgewehre hat Frank Loane Sr. im Pasadena Pawn & Gun Shop nahe Baltimore im US-Bundesstaat Maryland hängen, das reicht bei Weitem nicht. „Ich war eigentlich ziemlich gut eingedeckt“, sagt der 64-Jährige. „Jetzt haben wir eine Warteliste.“
Knapp zwei Monate nach dem Amoklauf an einer Grundschule in Newtown, Connecticut, sind halbautomatische Sturmgewehre in den USA zur meistgesuchten Waffengattung avanciert. Noch nie seit Beginn der Statistik 1998 wurden im Land so viele Hintergrundprüfungen für potenzielle Waffenkäufer registriert wie im Dezember und Januar; die größten Engpässe gibt es bei den sogenannten AR-15: Diese Gewehre gehören zu jenem Typus, mit dem ein 20-Jähriger in Newtown 20 Grundschulkinder und sechs Erwachsene niederstreckte, den Sturmgewehren.
Der Effekt ist nicht neu – nach Katastrophen wie in Connecticut steigt nicht nur die Zahl derjenigen, die sich mit einem eigenen Abzug sicherer fühlen. Die Diskussion um strengere Regeln erhöht meist auch die Nachfrage nach der verwendeten Waffe: Ihre Liebhaber fürchten, nach einem Verbot könne es zu spät sein.
Vollautomatische Gewehre schießen weiter, solange der Abzug gedrückt bleibt. Die halb- oder semiautomatische AR-15 lädt zwar selbst nach, der Schütze muss aber für jeden Schuss den Abzug durchziehen. Ansonsten unterscheiden sich Aussehen und Gefühl kaum: Zu Loanes Kunden gehören auch Vietnam-Veteranen und pensionierte Polizisten, die das alte Gefühl nicht missen möchten. „Die meisten sind mit der Halbautomatik glücklich.“
Seit Newtown wird wieder über Sturmgewehre diskutiert, und das Geschäft der AR-15-Hersteller blüht: „Die Preise haben sich fast verdoppelt“, berichtet Frank Loane. „Was ich früher für 1200 Dollar verkauft habe, kostet mich heute im Einkauf selbst so viel.“ In seinem Pawn & Gun Shop, einer Mischung aus Pfandhaus und Waffenladen, kostet eine AR-15 je nach Ausstattung und Hersteller jetzt 1800 bis 3000 Dollar – das sind umgerechnet 1350 bis 2250 Euro. Loane empfiehlt sie weder zur Jagd noch zur Selbstverteidigung. Wer sind dann die Kunden hinter diesem Boom?
„Wenn Sie ein Sammler sind, dann ist das einfach etwas zum Sammeln“, sagt Loane. „Für die meisten Waffenarten gibt es auch Wettbewerbe im Schützenverein.“ Vor allem junge Menschen sprechen auf das aggressive Design der Kriegsimitate an, ein Ergebnis breit angelegter Werbestrategien, mit denen die Hersteller seit den Neunzigern Einbrüche bei den traditionellen Modellen wettmachen. Nicht zufällig spielen die Waffen eine prominente Rolle in Actionfilmen und Videospielen. „Selbst wenn die jungen Leute Waffen von ihren Eltern oder Großeltern erben, wollen sie die neuen, die schwarzen Gewehre“, sagt Loane. „Black guns, so nennen sie sie.“
Von den 30 000 Menschen, die jährlich in den USA durch Schusswaffen sterben, fallen die wenigsten semiautomatischen Sturmgewehren zum Opfer. Aber fast immer, wenn bei Amokläufen viele Tote zu beklagen sind, war eine solche Waffe im Spiel. Loane gehört zu denjenigen, die nicht an Verbote glauben. Von 1994 bis 2004 gab es schon einmal ein Verbot von Sturmwaffen. Es war ein löchriger Kompromiss: Waffen, die bis 1994 hergestellt worden waren, durften in Verkehr bleiben. Bei den Modellen danach änderten die Hersteller die Spezifikationen leicht ab, so dass ihre Produkte nicht mehr erfasst wurden. „Größtenteils war das ein Witz“, urteilt Loane.
Trotzdem hat die demokratische Senatorin Dianne Feinstein im Kongress nun einen neuen Entwurf vorgelegt, der viele semiautomatische Waffen verbieten würde; Präsident Barack Obama unterstützt ein solches Vorhaben. Er möchte außerdem Magazine auf zehn Schuss begrenzen, „damit der Durchschnittsbürger eben denkt, die Politiker tun was“, seufzt Loane. „Denen ist offenbar nicht klar, wie schnell man ein Zehn-Schuss-Magazin austauschen kann – man hat die ja am Gürtel.“ Tatsächlich scheint zweifelhaft, ob sich für ein Verbot eine Mehrheit findet.
Auch gutwillige Diskussionspartner tun sich mit dem Einfluss der mächtigen Waffenlobby National Rifle Association (NRA) zunehmend schwer: Statistiken werden verdreht, missliebiger Forschung die Steuermittel gesperrt. Die Republikaner luden unlängst zur Anhörung über Sturmwaffen Gayle Trotter vom rechten Independent Women’s Forum. Trotter beklagte wortreich, wie unsicher sich Frauen künftig fühlen müssten, denen man das Mittel aus der Hand nehme, sich und ihre Kinder gegen Einbrecher zu verteidigen. Zur Illustration erinnerte sie an eine 18-jährige Mutter, die 2011 in Oklahoma einen Einbrecher erschossen hatte. Was sie nicht sagte: Eine Sturmwaffe hatte dabei überhaupt keine Rolle gespielt. Was sie ebenfalls nicht erwähnte: Studien zufolge vervielfachen Schusswaffen im Haus gerade für Frauen das Risiko, durch einen Schuss zu sterben.
Die meisten Waffenfans fürchten entweder, dass die Regierung eines Tages zur Diktatur wird oder sie im Stich lässt. NRA-Vize Wayne LaPierre hat die Bücherverbrennungen während der Nazi-Diktatur in Deutschland mit dem Kampf gegen Waffenbesitzer verglichen und die These aufgestellt, die Registrierung von Schusswaffen habe geholfen, dem Holocaust den Weg zu bereiten. Immer wieder wird von Menschen, die es besser wissen müssten, öffentlich behauptet, Adolf Hitler habe die Deutschen erst einmal entwaffnet.
Das ist grundfalsch, hat sich aber auch im Pasadena Pawn & Gun Shop herumgesprochen. „Unser Präsident versucht dasselbe“, platzt Frank Loane zwischen lauter vernünftigen Sätzen heraus. „Ich glaube, nicht, dass er ein Christ ist. Ich glaube, er ist ein Muslim, der das amerikanische Volk entwaffnen will.“
Dass einem solche Sätze in ganz normalen Ostküsten-Vorstädten begegnen, zeugt weniger vom bösen Willen einzelner als von dem Abgrund, der Amerika trennt: Nicht nur beim Thema Waffen wohnen die Streitenden auf verschiedenen Planeten. Einer Umfrage der American University zufolge denken 60 Prozent der Jugendlichen darüber nach, sich eine Schusswaffe zuzulegen, wenn sie ihre eigene Wohnung haben. „Es gibt eben schon Millionen von Waffen in diesem Land und eine Menge böser Menschen“, sagt Frank Loane. „Da müssten Sie schon alle Waffen gleichzeitig einsammeln.“ Er weiß, dass das nicht geschieht. „Die AR-15 sind ja gar keine richtigen Sturmwaffen“, sagt Loane. „Die echten Maschinengewehre dürfen Sie in den USA als Privatperson aber auch besitzen.“ Die dürfen nur nicht nach 1986 hergestellt sein. „Wenn Sie damals für 10 000 Dollar ein Maschinengewehr gekauft haben, ist es heute 20 000 Dollar wert. Wo sonst wächst Ihr Geld so schnell?“