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PARIS
Eine deutsch-französische Liebe
Von unserer Korrespondentin Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 19.10.2020 11:07 Uhr

Erst musste sie ja schmunzeln, erinnert sich Inge, als sie den Nachnamen des neuen jungen Assistenten an dem Bonner Privatgymnasium hörte, mit dem ihre Familie enge Verbindungen pflegte: Er war Franzose und hieß Fiess, Robert Fiess. Seine Eltern stammten aus Straßburg, und er sprach vorzüglich deutsch. Was hilfreich war, wenn sie miteinander tanzten bei den Schulfesten, zu denen auch Inge kam. So wurden sie bald ein Paar. Und blieben es.

Heute heißt Inge selbst Fiess, spricht vorzüglich französisch und sitzt mit jenem Robert von damals in ihrem Haus in Verrieres-le-Buisson bei Paris. Vor ihnen ein Teller mit selbst gebackenen Plätzchen – was für Frankreich ungewöhnlich ist. „Wir entsprechen wohl dem typischen deutsch-französischen Paar“, sagt der 75-jährige Journalist Fiess. „Ich selbst bin eher lässig, lasse Sachen liegen oder vergesse auch mal etwas.“ Seine Frau sei strikter und zuverlässiger. „Wenn ich etwas verspreche, halte ich das auch“, ergänzt sie. Kein französisches Laisser-faire, auch und gerade nach mehr als einem halben Jahrhundert an der Seite eines Franzosen nicht. 1963 haben sie geheiratet.

Genau in diesem Jahr taten sich auch ihre Länder Deutschland und Frankreich zu einer Art Bund fürs Leben zusammen: Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Kanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle den Élysée-Vertrag, der die Aussöhnung der ehemaligen Kriegsfeinde besiegelte. Er sollte als Grundstein dienen für regelmäßigen Austausch auf allen Ebenen, der Politik wie der Zivilgesellschaft, und sah eine intensivere Zusammenarbeit vor in der Außen- und Sicherheitspolitik, bei Bildung und Jugend.

Das Deutsch-Französische Jugendwerk wurde durch den Élysée-Vertrag gegründet. Seither hat es fast acht Millionen jungen Deutschen und Franzosen einen Austausch ermöglicht und damit ganz persönliche Bande. Das gilt auch für die rund 2200 Partnerschaften zwischen Städten und Gemeinden in beiden Ländern. „Auf der Ebene der Zivilgesellschaft läuft es hervorragend“, lobt der in Deutschland geborene französische Historiker und Politologe Alfred Grosser. Was aber sind davon abgesehen die konkreten Errungenschaften dieser historischen Vereinbarung? Gerade jüngste Beispiele wie die militärischen Alleingänge Frankreichs 2011 in Libyen und nun in Mali, während Deutschland zögerte, oder ein unterschiedliches Votum in der UNO-Vollversammlung über die Anerkennung Palästinas als Staat mit Beobachterstatus, decken eher einen Mangel an Einigkeit auf als den Willen, mit einer Stimme zu sprechen. Die so nahen Nachbarn scheinen einander oft so fern.

„Man muss sich immer bemühen, den anderen zu verstehen. Gerade wenn man aus unterschiedlichen Kulturen kommt“, räumt Robert Fiess ein. „Ich bewundere die Fähigkeit deutscher Frauen, ihre Kultur ins andere Land mitzubringen.“ Diese Anpassungsfähigkeit habe er bei mehreren Deutschen erlebt, nicht zuletzt bei Inge. „Es gibt im Französischen kein Wort für Gemütlichkeit“, erklären beide. Sie finden auch keine echten Entsprechungen für Zuhause, für Heimat.

Aber Inge hat all das geschaffen in ihrem Haus, das geschmückt ist von ihren Kunstwerken, den Gemälden, der Glasdekoration, den Zierdecken. Die Kunst ist ihre Beschäftigung, seit sie ihren Job im Büro einer US-Firma aufgab, um im Januar 1967 ihrem Mann nach Frankreich zu folgen. Dieser sah als Journalist bei der Deutschen Welle in Köln keine Aufstiegsmöglichkeiten und hatte ein interessantes Angebot in Paris. Während er Karriere machte und zuletzt ab 1979 Chefredakteur der französischen „Geo“ war, war für Inge die Anfangszeit in Frankreich hart. Ihre Tochter Ariane war bereits geboren, Sohn Jean-Marc unterwegs, Robert beruflich eingespannt und sie fühlte sich recht allein in einem fremden Land, isoliert in einem kleinen Ort. „Wir haben ein Familienmodell übernommen, das für Deutschland typisch ist, nicht für Frankreich“, sagt Robert Fiess. Eine große Mehrheit der französischen Mütter ist berufstätig und steigt rasch nach der Geburt wieder in den Beruf ein. Das gut ausgebaute Netz an Kinderkrippen und Tagesmüttern erlaubt es ihnen, Familie und Job zu vereinbaren. Und „Rabenmutter“ ist ein Wort, das es wiederum im Französischen nicht gibt.

War die erste Phase in ihrer neuen Heimat schwierig für die Rheinländerin mit dem fröhlichen Gemüt, so habe sie als Deutsche in Frankreich nie Feindseligkeit erlebt, sagt Inge Fiess. Weder im Ort noch in der Familie ihres Mannes. Heute überwiegen für die Menschen auf beiden Seiten des Rheins ohnehin längst die aktuellen Herausforderungen, die Erinnerung an Krieg und Feindschaft, wie eine Umfrage unter mehr als 25 000 Deutschen und Franzosen ergab. Mehr als vier von fünf Befragten geben darin an, das Nachbarland zu mögen. Unbestritten gilt es als der wichtigste Partner in Europa – das sagen noch mehr Franzosen als Deutsche. Für sie steigt die Attraktivität Deutschlands als potenzieller Wohn- und Arbeitsort. „Die Deutschen sind weniger exklusiv auf den französischen Partner fixiert als umgekehrt“, kommentiert der Politikwissenschaftler Joachim Schild von der Universität Trier das nachlassende Interesse am Land des Savoir-vivre. Die Studie zeigt aber auch, dass die bekannten Vorurteile munter fortleben, nach denen die Deutschen in erster Linie als streng, diszipliniert und fleißig gelten, die Franzosen dagegen als genießerisch, individualistisch und kreativ.

Ein wenig Wahrheit findet auch das Ehepaar Fiess in herrschenden Klischees. Denn die aufgeregte Lebhaftigkeit bei französischen Tischgesprächen mag zwar charmant sein. „Aber alle unterbrechen einander und keiner hört dem anderen zu“, ereifert sich Inge Fiess. „Im Deutschen muss man immer das Ende des Satzes abwarten“, ergänzt ihr Mann schmunzelnd. Sie selbst sprechen miteinander die Sprache, die ihnen gerade in den Sinn kommt: Deutsch, Französisch, einen Mix aus beidem oder Englisch. Ihre Kinder und Enkelkinder sind hingegen mehr in der französischen Sprache zu Hause, fühlen sich aber als Europäer, sagt Robert Fiess. Bei ihrem Mann käme es ohnehin nicht darauf an, ob er deutsch sei oder französisch, sagt Inge Fiess. „Für mich ist er Robert.“ Der schneidige Monsieur Fiess von einst.

 
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