
Würzburg Vor allem Durchblutungsstörungen im Gehirn führen zu einem Schlaganfall. Professor Ansgar Berlis (53) ist Chefarzt der Diagnostischen und Interventionellen Neuroradiologie am Klinikum Augsburg und Spezialist für Schlaganfälle. Im Interview erklärt er, welche Behandlungsoptionen Schlaganfallpatienten haben und warum im Ernstfall schnelle Hilfe nötig ist.
Ansgar Berlis: Ein Schlaganfall ist eine neurologische Symptomatik, die beim Patienten ganz plötzlich und unvermutet, also wie bei einem Schlag, auftritt und in der Regel zu akut auftretenden Lähmungserscheinungen oder Sprach- und Sehstörungen führt. Oft ist ein Schlaganfall auch daran zu erkennen, dass beim Patienten ein Mundwinkel plötzlich etwas herab hängt, es kann zu Lähmungen der Arme und Beine kommen oder zu Gefühlsstörungen.
Berlis: Die Ursache ist in den meisten Fällen eine Durchblutungsstörung im Gehirn. Allerdings können Schlaganfallsymptome auch durch andere Krankheiten ausgelöst werden - etwa durch eine Blutung, einen epileptischen Anfall, Migräne oder durch einen Tumor. Wobei sich bei einem Tumor die Symptome langsam über Wochen entwickeln. Der Schlaganfall wiederum wird zu etwa 80 bis 85 Prozent durch Durchblutungsstörungen ausgelöst, in manchen Fällen auch durch eine Blutung im Gehirn. Das macht die Behandlung am Ort der Schlaganfallentstehung so schwierig.
Berlis: Man braucht erst eine Bildgebung, um eine Blutung auszuschließen, um dann Blutgerinnsel auflösende Medikamente verabreichen zu können.
Berlis: Das ist richtig.
Berlis: Das hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert: Grundsätzlich gilt, dass das Gehirn ohne Blut nicht länger als zehn Minuten überlebt. Das heißt, wir haben eine Chance, einen Schlaganfall effektiv zu behandeln nur dann, wenn noch eine Restdurchblutung vorhanden ist. In der Regel ist es oft so: Wenn ein Gefäß verstopft ist, kann von anderen Stellen des Gehirns Blut abgezogen werden, sodass eine Minimalversorgung gewährleistet ist. Diese verlängert die Überlebenszeit des betroffenen Areals, das in dieser Zeit langsam anschwillt. Hierdurch bricht dieser sogenannte Kollateralkreislauf, der die Restdurchblutung ermöglicht, zusammen. Dann entwickelt sich der eigentliche Schlaganfall. Bevor dies passiert, müssen wir eingreifen können und den Gefäßverschluss wieder öffnen, und zwar so schnell wie möglich.
Berlis: Eine neue, groß angelegte Studie mit dem Titel DAWN ergab, dass sich dieses Zeitfenster nicht mehr bei bis zu sechs, sondern bei bis zu 24 Stunden bewegt. Eine andere Studie (DEFUSE3) vom Februar belegt, dass ein Eingriff bis zu 16 Stunden effektiv sein kann. Dies ist aber immer nur unter bestimmten Voraussetzungen gegeben. Die heute etablierte farbige Bildgebung des Gehirns macht es uns Ärzten möglich, dass wir den Verschluss von Gefäßen nicht nur sehen, wir können durch Durchblutungsstudien auch vor einer Behandlung erkennen, ob der Patient überhaupt von der Wiedereröffnung des Gefäßes profitiert.
Berlis: Hier muss man unterscheiden zwischen Tod des Patienten oder Tod eines Teils des Gehirns. Ich habe ja schon gesagt, dass das Gehirn und in der Regel Teile des Gehirns sterben, sobald es nicht ausreichend durchblutet ist. Wir haben tatsächlich Patienten, die schon nach 30 oder 40 Minuten in der Klinik sind und dennoch müssen wir sagen: Wir können leider nichts mehr für sie tun. Für etwa 90 Prozent der Patienten gilt zwar das Zeitfenster von etwa sechs und mehr Stunden, für zehn Prozent der Patienten aber bedauerlicherweise nicht. Und wenn ein Schlaganfall groß ist und weite Teile des Gehirns betrifft, wächst die Schwellung so stark, dass sie zum Tode führen kann. Entscheidend hier ist auch, wo der Schlaganfall im Gehirn liegt: Wenn die Durchblutungsstörung beispielsweise an der Hirnstammarterie liegt, ist dies viel gefährlicher als wenn es einen Ast der mittleren oder vorderen Hirnarterie betrifft. Entscheidend sind also die Größe und der Ort des Gefäßverschlusses.
Berlis: Sie hängt eben von der Größe und Lage des Gefäßverschlusses ab. In den meisten Fällen handelt es sich ja nur um kleine Schlaganfälle, bei denen der Gefäßverschluss in der Bildgebung gar nicht ersichtlich ist und der sich häufig spontan wieder bessert. Diese Patienten werden hier im Klinikum Augsburg von den Kollegen der Neurologie mit einem Medikament behandelt, das über die Vene verabreicht wird. Es verbessert die Durchblutung. Dies erfolgt bei etwas weniger als einem Drittel aller Schlaganfallpatienten. Was ich hier noch betonen möchte: Bei der Schlaganfallbehandlung ist generell eine sehr enge Verzahnung der Arbeit der Neuroradiologen mit den Neurologen wichtig. Wir Neuroradiologen sind für die Bildgebung und die Behandlungen durch das Gefäßsystem verantwortlich, die Behandlung auf der Schlaganfallstation und die intravenöse Behandlung mit blutgerinnselauflösenden Medikamenten erfolgt durch die Neurologen. Im Team sind auch Kardiologen miteingebunden, da häufig die Blutgerinnsel aufgrund einer Herzerkrankung entstehen. Diese Behandlung erfolgt dann nach der Akutbehandlung durch Neurologie und Neuroradiologie.
Berlis: Wir haben Schlaganfälle in jedem Alter. Das heißt, es können schon Kleinstkinder betroffen sein. Mit zunehmenden Alter steigt aber das Risiko, weil die Arteriosklerose zunimmt. Bei jüngeren Patienten sind es eher Gefäßverletzungen, Gefäßeinrisse, beispielsweise spontane Einrisse der Halsschlagader oder der Wirbelsäulenarterie, die zu Gefäßverschlüssen führen können. Bei älteren Patienten sind es häufig Herzrhythmusstörungen, wodurch sich Blutgerinnsel im Herzen bilden können, abschwimmen und dann zu einem Gefäßverschluss im Gehirn führen. Unsere Schlaganfallpatienten hier im Klinikum sind im Schnitt zwischen 60 und 80 Jahre alt - und wir zählten im vergangenen Jahr 180 akute Schlaganfallbehandlungen, das entspricht zehn Prozent aller Schlaganfallspatienten, die in der Neurologie im Klinikum gesehen wurden.
Berlis: Risikofaktoren sind ein ungesunder Lebensstil, das heißt Fettleibigkeit, Rauchen, hoher Blutdruck, unmäßiger Alkoholgenuss. Die Vorsorge ist hier wichtig und man kann mit einem gesunden Lebensstil, zu dem etwa auch Ausgleichssport gehört, das Risiko für einen Schlaganfall senken.
Berlis: Sie nehmen in der Tat zu. Das hat primär aber damit zu tun, dass wir älter werden.