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Ein Riss geht durch Österreich
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:32 Uhr

Die Bevölkerung Österreichs scheint gespalten. Bei den Bundespräsidentenwahlen hatte der Grüne Alexander van der Bellen die Nase vorn. Doch in Umfragen gilt die rechtspopulistische FPÖ mit mehr als 30 Prozent als populärste Partei des Landes. Die Würzburger Akademie Frankenwarte hat – anlässlich eines Österreich-Länderabends am 22. März– Dr. Gerhard Marchl vom Karl-Renner-Institut in Wien für einen Vortrag eingeladen. Das Institut gilt als österreichisches Pendant der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der 44-Jährige leitet die Abteilung „Europäische Politik“ des Instituts. Wir haben im Vorfeld mit ihm gesprochen.

Überspitzt formuliert: Gibt es in Österreich nur noch Anhänger der Willkommenskultur auf der einen und Fremdenhasser auf der anderen Seite? Wie tief sind die Gräben in der Bevölkerung?

Gerhard Marchl: Es ist das Wesen einer Stichwahl, dass sie polarisiert. Zugegeben: Früher standen sich Mitte rechts und Mitte links-Kandidaten gegenüber. Bei der Präsidentenwahl waren es Grün auf der einen und die FPÖ auf der anderen Seite. Das hat zu einer größeren Spaltung geführt.

Gibt es den typischen Wähler der rechtspopulistischen FPÖ?

Marchl: Tatsache ist: Männer wählen eher die FPÖ als Frauen, vor allem Männer mittleren Alters. Der Unterschied zwischen Stadt und Landbevölkerung ist weniger ausgeprägt. Auch in Wien erreichte die FPÖ bei den letzten Gemeinderatswahlen 2015 über 30 Prozent der Wählerstimmen. Die bürgerliche Mitte, die mit Abstiegsängsten kämpft, ist zunehmend bereit, die FPÖ zu wählen – ebenso wie Jugendliche aus den unteren Bildungsschichten.

Warum wird die FPÖ gewählt?

Marchl: Es gibt viele Ursachen: die Perspektivlosigkeit verschiedener Wählerschichten, eine Arbeitslosenquote von 5,7 Prozent (für Österreich relativ hoch), Abstiegsängste der Mittelschicht und sicher auch die große Koalition, die – mit Unterbrechung – seit Jahren Österreich regiert. Wenn die zwei größten Parteien zusammenarbeiten, weil es keine anderen Alternativen gibt, dann sorgt dies für großes Protestpotenzial in der Bevölkerung.

Welche Rolle spielt die Flüchtlingskrise?

Marchl: Das Flüchtlingsthema spielt auch eine wesentliche Rolle. Die Willkommenskultur in Österreich ist so gut wie vorbei. Die Mehrheit der Bevölkerung ist skeptisch, was weitere Zuwanderung angeht. In Österreich haben 2015 fast 90 000 Menschen einen Asylantrag gestellt. Voriges Jahr etwas über 40 000. Das ist viel in Relation zur österreichischen Bevölkerung von 8,7 Millionen.

Was hat den Stimmungsumschwung bewirkt?

Marchl: Zu einem Stimmungsumschwung haben die enormen Flüchtlingszahlen sowie eine gewisse Ohnmacht des Staates bei der fehlenden Registrierung der Menschen im Herbst 2015 geführt. Dazu kamen die Probleme, die vielen Flüchtlinge unterzubringen. Auch die Silvesternacht in Köln hat in Österreich für Aufmerksamkeit gesorgt. Stimmungsmache seitens der FPÖ kommt hinzu, und inzwischen haben die beiden anderen großen Parteien SPÖ und ÖVP eine härtere Gangart eingeschlagen.

Ist die Unzufriedenheit in der Bevölkerung der Grund für die Reformoffensive von Bundeskanzler Kern?

Marchl: Er will seine Handlungsfähigkeit beweisen, die österreichische Wirtschaft wieder nach vorne bringen und neue Jobs schaffen. Für Diskussionen sorgt, dass Österreicher gegenüber ausländischen Arbeitskräften bevorzugt werden sollen. Arbeitgeber sollen – bei neuen Jobs – für sie weniger Lohnsteuer zahlen. Bei diesem Vorschlag kann es allerdings durchaus sein, dass es bis vor den Europäischen Gerichtshof geht.

Auch die Vorschläge zur Inneren Sicherheit überschlagen sich: höhere Strafen für sexuelle Belästigung in Gruppen, Fußfesseln für Gefährder, Verbot der Vollverschleierung...

Marchl: Das wird alles noch im Parlament diskutiert. Besonders das Verbot der Vollverschleierung sorgt bei Kirchen und Menschenrechtsorganisationen für Kritik. Trotzdem wird es vermutlich beschlossen. Auch wenn das Gesetz eher symbolischen Charakter hat, weil es nur ganz wenige Frauen betrifft.

Was in Bayern permanent diskutiert wird, ist in Österreich bereits Realität: die Obergrenze für Flüchtlinge...

Marchl: Die österreichische Regierung hat sich auf eine Obergrenze von 37 000 Personen verständigt, die pro Jahr zum Asylverfahren zugelassen werden sollen. 2016 wurde diese Zahl aber nicht erreicht.

Was passiert in Österreich mit dem ersten Menschen, der über der Grenze liegt?

Marchl: Das ist auch in Österreich die große Frage. Für sie oder ihn wird das Asylverfahren vorerst nicht gestartet. Aber wo die Menschen untergebracht werden und was man mit ihnen macht, ist unklar. Der Fall ist bislang nicht eingetreten.

Welche Rolle spielen die Medien beim Aufstieg der Rechtspopulisten? Der Chefredakteur der auflagenstarken Boulevard-Kronen-Zeitung hat kürzlich gesagt: „Wenn Strache (Chef der FPÖ) einen Bericht von uns auf Facebook teilt, dann haut das die Quote auf das 1,5-Fache hoch.“

Marchl: In der Tat transportieren manche Medien Ängste und Vorurteile, so zum Beispiel unzensuriert.at, eine Webseite nahe der FPÖ. Boulevard-Medien helfen immer öfter der FPÖ und ihren Botschaften durch eine Tendenz in ihrer Berichterstattung.

Das Vertrauen in die traditionellen Medien sinkt. Dagegen erreicht Heinz-Christian Strache angeblich jeden achten österreichischen Facebook-Nutzer...

Marchl: Strache ist auf Facebook sehr erfolgreich. Allerdings stammen vermutlich 150 000 seiner Fans aus dem Ausland. FPÖ-Sympathisanten sind ebenso wie linke Wähler in ihrer eigenen Filter- und Nachrichtenblase auf Facebook. Das ist bedenklich.

Ist der Öxit noch ein Thema?

Marchl: Nein, selbst für die europakritische FPÖ ist ein Austritt aus der EU kein Thema mehr. Eine klare Mehrheit der Österreicher steht für den Verbleib in der EU. Van der Bellen hat auch deshalb gewonnen, weil er sich klar zu Europa bekannt hat.

Wer wird bei den Nationalratswahlen im Herbst 2018 die Nase vorn haben?

Marchl: Derzeit liegt die FPÖ mit über 30 Prozent in den Umfragen vorne, die sozialdemokratische SPÖ mit Bundeskanzler Kern knapp an zweiter Stelle mit ebenfalls fast 30 Prozent und die konservative ÖVP stagniert bei 20 Prozent. Falls allerdings Außenminister Kurz der Spitzenkandidat der ÖVP werden sollte, wird es einen Dreikampf geben.

Könnte es noch einmal zu einem solchen Debakel wie bei der Bundespräsidentenwahl kommen, als die Stichwahl wegen Unregelmäßigkeiten wiederholt werden musste?

Marchl: Das würde ich ausschließen. Jetzt sind alle sensibilisiert, dass solche Missstände oder wie man auf österreichisch sagt, so ein „Schlendrian“ bei der Auszählung und Öffnung der Wahlkarten nicht wieder vorkommt.

 
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