
„Wir haben heute ein Rendezvous mit der Geschichte gehabt. Wir wissen, dass ein altes System sich verabschiedet.“ Dieses Urteil Norbert Hofers über sein Rekordergebnis im ersten Wahlgang der österreichischen Bundespräsidentenwahl teilen derzeit viele Beobachter. Vom „neuen politischen Zeitalter“ oder dem „Ende der Zweiten Republik“ ist die Rede, weil der rechtspopulistische FPÖ-Politiker gute Chancen hat, Bundespräsident zu werden.
Damit würde Österreich deutlich nach rechts rücken. Das bestehende Machtsystem aus Rot und Schwarz wäre zerbrochen. Die sozialdemokratische SPÖ und die christlich-konservative ÖVP haben den Rückhalt seit geraumer Zeit mehr und mehr verloren. Dieser Wahlgang brachte den vorläufigen Tiefpunkt. Nur noch etwa elf Prozent der Wähler haben ihre Stimme dem roten Rudolf Hundstorfer gegeben – ebenso wenig erreichte der ÖVP-Kandidat Andreas Khol. Für die bekannten Politiker ist das ebenso ein Desaster wie für ihre Parteien.
Politik in der Sackgasse
Drei politische Themen haben die Wahl bestimmt: die Bewältigung der Flüchtlingskrise, die Rekordarbeitslosigkeit und die sinkende Zustimmung der Österreicher zur EU. In allen Punkten treiben die Freiheitlichen die anderen Parteien vor sich her; denn die können sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und blockieren sich deshalb selbst. Ihre Politik ist in eine Sackgasse geraten.
Die FPÖ hat mit dem Dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer das freundlich verbindliche Gesicht ihrer Partei zum Kandidaten gemacht. Über 500 000 Wähler der beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP wechselten nach Angaben der Wahlforscher jetzt zur FPÖ. In acht der neun Bundesländer hat Hofer gewonnen. Nur in Wien gelang es dem grünen Kandidaten Alexander Van der Bellen, mehr Stimmen auf sich zu vereinen. Van der Bellen wird am 22. Mai gegen Hofer in der Stichwahl antreten. Noch wird darüber verhandelt, welche Partei eine Wahlempfehlung für ihn abgibt. Bundeskanzler Werner Faymann hat dies persönlich bereits getan.
Die ÖVP-Wähler werden sich vermutlich zum Teil für Hofer entscheiden. Bei einer niedrigen Wahlbeteiligung von 60 Prozent erhielt Hofer 36,4 Prozent, Van der Bellen 20,38 Prozent. Eine Aufholjagd bis zum zweiten Wahlgang könnte nur gelingen, wenn auch die Wahlbeteiligung stark stiege. Deshalb ist wahrscheinlich, dass Österreich einen Bundespräsidenten wählt, der aus dem rechtsradikalen Spektrum kommt. Sein Wahlslogan: „Gegen die neue Völkerwanderung haben wir Österreicher ein Recht auf Heimat.“ Die EU und das etablierte System sind politische Gegner für die FPÖ. Schon jetzt hat Hofer angekündigt, er werde als Bundespräsident das TTIP-Abkommen nicht unterzeichnen, bevor nicht das Volk in einer Volksabstimmung Ja sagt. Außerdem will er an EU-Gipfeln teilnehmen, um dort die Interessen der österreichischen Bevölkerung zu vertreten. „Es ist wichtig, dass der Bundespräsident in wichtigen Fragen vor Ort ist“, sagte er. Außenpolitik fällt nicht in das Aufgabengebiet des Bundespräsidenten. Seine Rolle ist eher repräsentativ. Er kann aber die Regierung entlassen und sagte im Wahlkampf: „Wenn die Verfassung mir erlaubt, eine schlechte Regierung nicht zu ernennen, dann muss man das auch tun.“
Die FPÖ regiert in zwei Bundesländern mit: im Burgenland mit der SPÖ und in Oberösterreich mit der ÖVP. Bei einer Kanzlerwahl 2018 ständen SPÖ und ÖVP möglicherweise vor einem Wettrennen darum, wer Steigbügelhalter für einen FPÖ-Bundeskanzler Heinz-Christian Strache werden könnte. Um dies zu verhindern, hat gestern in der SPÖ eine Personaldebatte um Bundeskanzler Werner Faymann begonnen. Die frühere Staatssekretärin und Siemens Personalchefin Brigitte Ederer und andere haben seinen Rücktritt gefordert.
Es gärt in der ÖVP
In der ÖVP gärt es ebenfalls. Doch noch bleibt ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner am Ruder. Neuwahlen sollen verhindert werden, bis die Regierung einige Reformen verwirklicht hat. Eine Finanzreform für Bund und Länder, viel mehr Geld für Militär, Polizei und Grenzkontrolle sowie die Lösung lange schwelender Konflikte, wie Mindestsicherung und Bildungspolitik, sollen dazu beitragen.
Die FPÖ sieht sich jetzt auf der Siegerstraße. Die Rechtspolitiker Marine Le Pen aus Frankreich und Geert Wilders aus Holland gratulierten noch am Wahlabend. Auch die ungarische rechtsextremistische Jobbik-Partei hat „den Sieg der nationalen Kräfte“ begrüßt. AfD-Chefin Frauke Petry ließ sich die Gratulation ebenfalls nicht nehmen. Im Europaparlament arbeiten die Freiheitlichen bereits mit dem französischen Front National und den holländischen Rechtsextremisten zusammen. Die Ablehnung der EU und die Ausländerfeindlichkeit eint diese Kräfte.
Repräsentant mit viel Macht auf dem Papier
Die Befugnisse des österreichischen Präsidenten sind weitreichend: Österreichs Bundespräsident hat deutlich mehr Entscheidungsspielraum als viele seiner europäischen Amtskollegen. So hat er nach Nationalratswahlen zumindest theoretisch freie Hand bei der Nominierung des Bundeskanzlers und darf einzelne Minister ablehnen, die er für ungeeignet hält.
Außerdem könnte der höchste Repräsentant des Staates die gesamte Regierung ohne weitere Begründung entlassen. Das gab es aber noch nie. Der Präsident ist auch Oberbefehlshaber des Heeres. Im Politikalltag nimmt der Bundespräsident dennoch eher die Rolle als moralische Leitfigur und Repräsentant Österreichs im Ausland ein. Außerdem ist er für die Überprüfung neuer Bundesgesetze zuständig. Sollten diese nicht der Verfassung entsprechen, kann der Präsident seine Unterschrift verweigern. dpa