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„Ein Protestbanner hochzuhalten ist nicht unser Stil“
Das Gespräch führte Norbert Hohler
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:53 Uhr

„Aussagen und Verhalten von Christian Wulff stehen konträr zueinander“, erklärt Sylvia Schenk (59), Vorstandsmitglied von „Transparency International“, warum die Vorsitzende Edda Müller nicht am Neujahrsempfang des Bundespräsidenten teilgenommen hat.

Frage: Sie waren bis 2010 Vorsitzende von Transparency International. Wären Sie auch dem Neujahrempfang ferngeblieben wie jetzt Edda Müller?

Sylvia Schenk: Ja. Es ist kein Alleingang der Vorsitzenden, sondern es ist so mit dem Vorstand abgeklärt.

Was war entscheidend für die Absage?

Schenk: Herr Wulff hat Glaubwürdigkeit und Transparenz wiederholt für unverzichtbar erklärt. Er hat sich immer etwas vom normalen Politikbetrieb distanziert und gesagt, er will vorangehen bei ethischem Verhalten. Es gab auch mit uns ein Gespräch, wo er Transparency versichert hat, dass er unser Anliegen unterstützt. Das steht konträr zu seinem Verhalten – darauf haben wir jetzt reagiert.

Eine Absage ist medienwirksam. Wäre es nicht effektvoller gewesen, direkt beim Neujahrsempfang zu protestieren?

Schenk: Nach meiner Erfahrung hat man dort kaum eine Möglichkeit. Man erhält eine Zeit, zum Beispiel 11.20 Uhr, steht in einer Schlange, ehe man zum Präsidentenpaar kommt. Dann reicht man die Hand, wechselt ein paar Worte und wird weitergeschoben zu den Häppchen. Man könnte ihm also einen vorbereiteten Satz zu Transparenz sagen, nicht aber diskutieren. Oder man könnte auf der Treppe ein Protestbanner hochhalten – aber das ist nicht unser Stil.

Ihr Verband arbeitet mit einem „Interessenregister“. Jedes Vorstandsmitglied nennt Geldgeber, Mitgliedschaften in Organisationen, Beteiligungen. Müssten Sie einen Kredit wie den des Bundespräsidenten dort öffentlich machen?

Schenk: Unser Register soll belegen, wo wir unsere laufenden Einnahmen herhaben und wo es eventuell Interessenkonflikte geben könnte. Bei Herrn Wulff haben wir die Situation, dass er im niedersächsischen Landtag konkret nach der Verbindung zu Geerkens befragt worden ist und dort eine ausweichende Antwort gegeben hat. Sicher spielt die Höhe des Kredites eine Rolle, auch dass er privat von einem Unternehmer gegeben wurde. Ich habe mit meinem Mann einen Baukredit, nehme meinen Berater aber nicht mit zu Veranstaltungen mit. Wenn aber ein Herr Geerkens in einer Reisedelegation dabei ist und gleichzeitig Kreditgeber, dann kommt man schon auf blöde Gedanken.

Könnten Sie sich vorstellen, dass Ihre Organisation künftig einen Bundespräsidenten in Sachen Transparenz berät?

Schenk: Jeder kann bei uns Rat einholen. Die jetzige Diskussion wird sowieso zu einem Lernprozess in Sachen Transparenz bei Repräsentanten des Staates führen. So eine Konstellation, dass jemand von einer Privatperson einen 500 000-Euro-Kredit bekommt, hatten wir noch nicht. Man kann nicht alles vorherdenken, das ist unsere Erfahrung generell in der Compliance. Im Wesentlichen geht es daher darum, Prinzipien aufzustellen, die die Betroffenen befähigen, eine Abwägung zu treffen: Das mache ich und gehe offen damit um. Oder ich lehne diesen Kredit oder etwas anderes besser ab.

Ist Christian Wulff noch zu helfen, kann er Vertrauen zurückgewinnen?

Schenk: Herr Wulff bräuchte andere Berater: Dass unprofessionell gehandelt wird, gibt mir am meisten zu denken. Er ist in einer Riesen-Glaubwürdigkeitslücke, müsste Verhalten und Vorgehensweise grundlegend ändern. Ich verstehe nicht, dass der Anwalt die 450 Fragen nicht herausgibt. Denn jetzt sagen alle: Wulff weigert sich, zu veröffentlichen. Einen Rücktritt finde ich aber auch zum Verzweifeln. Es gibt seit einer Woche nur noch zwei schreckliche Alternativen, das kann man nicht mehr gut lösen.

Transparency kämpft gegen Korruption

Seit 2010 ist Edda Müller Vorsitzende der Antikorruptionsorganisation „Transparency Deutschland“. Ihre Vorgängerin war Syliva Schenk (59/ im Bild), 1972 Olympiateilnehmerin im 800-Meter-Lauf. Die Rechtsanwältin aus Frankfurt war von 2001 bis 2004 Präsidentin im Bund Deutscher Radfahrer (BDR), wo sie Doping harsch kritisierte. Die Arbeit von Transparency zielt darauf ab, Risikofelder für Korruption zu ermitteln und dann Veränderungen zu fordern. Der Verein hilft Unternehmen und Organisationen bei der Korruptionsprävention. Transparency arbeitet nicht konfrontativ. Um Veränderungen voranzutreiben, werden Koalitionen mit Regierungen, Verwaltungen, Politikern, Firmen und anderen Gruppen eingegangen, die eine vertrauenswürdige, transparente, werteorientierte und zivile Politik vertreten. FOTO: dpa

 
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