Die Bitte Jean-Claude Junckers verhallte zwar nicht ungehört. Aber das Ergebnis der Kollekte blieb unbefriedigend. „Im Interesse der Glaubwürdigkeit des Treuhandfonds für Afrika und unserer Maßnahmen möchte ich, dass sich mehr Mitglieder beteiligen und ebenfalls einen Beitrag leisten“, bat der EU-Kommissionspräsident am Donnerstag. Immerhin hatte die EU-Behörde 1,8 Milliarden Euro zusammengekratzt, die Mitgliedstaaten sollten noch einmal die gleiche Summe drauflegen. Doch das Ergebnis war enttäuschend: Gerade mal 78,27 Millionen kamen zusätzlich zusammen.
Deutschland und Frankreich steuerten drei Millionen Euro bei. Die Niederlande legte 15 Millionen, Belgien zehn Millionen in den Korb. Selbst das kleine Slowenien – von der Flüchtlingszuwanderung nicht weniger gebeutelt als andere – steuerte noch 50 000 Euro bei. So blieb, was einige Vertreter des europäisch-afrikanischen Gemeinschaftsgipfels in der maltesischen Hauptstadt Valletta als „historisches Signal“ bezeichneten, eben doch eher bescheiden. „Das war hier der Startpunkt eines langen Prozesses“, resümierte die Kanzlerin Angela Merkel. „Viele fragen sich natürlich: Ist mit diesem Gipfel schon das Problem gelöst? Nein. Aber es ist begonnen worden, es systematisch zu lösen.“
Die afrikanischen Partner waren enttäuscht „Wir brauchen mehr Unterstützung“, betonte der senegalesische Präsident Macky Sall. Immerhin hat man sich im Kampf gegen die Fluchtursachen viel vorgenommen: Zunächst werden die Gelder für den Kampf gegen kriminelle Schleuser genutzt. Außerdem sollen in der Sahelzone, in der Tschadsee-Region, am Horn von Afrika sowie im Norden des Kontinents Projekte in bestehenden Flüchtlingslagern angegangen werden. „Frauen und Kinder müssen vor dem andauernden Missbrauch geschützt werden, Männer und Frauen brauchen Arbeit“, hieß es in Valletta. Sicherheitskräfte wollen alle Beteiligte besser ausbilden, um die Grenzen zu sichern. Mit speziellen Programmen wollen Hilfswerke verhindern, dass Einwohner radikalisiert werden und am Ende zu den Terrorgruppen überlaufen. „Das mag alles nicht nach den großen Schlagzeilen klingen, die den Durchbruch bringen“, sagte ein hoher EU-Diplomat. „Aber es sind genau die Stellschrauben, an denen wir jetzt drehen müssen.“
Europa ordnet seine Nachbarschaftsbeziehungen. Bei diesem zweitägigen Gipfel scheute man sich nicht, auch mit einigen wenigen Vertretern der Staaten zu reden, aus denen die Bevölkerung massenhaft flieht, weil sie diktatorisch regiert und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Der Druck in der Union ist so groß, dass man sich Moral nur begrenzt erlauben konnte. Doch die Gewichte hatten sich schon verschoben, bevor das Treffen überhaupt begann. Längst ist der große Zuwanderungsstrom aus Afrika über das Mittelmeer nicht mehr das Problem. Seit Jahresanfang kamen bis September im Durchschnitt 20 000 Menschen, im Oktober waren es nur noch 8500.
Deshalb rückte, als die EU-Staats- und Regierungschefs wieder unter sich waren, erneut die Türkei ins Blickfeld. Vermutlich am 22. November soll es einen Sondergipfel mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und der neu gebildeten Regierung geben. Dann müssen die EU-Spitzen sagen, ob sie dessen Forderungen erfüllen: drei Milliarden Euro, mehr Visafreiheit für Türken und Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche.
Längst hat die Westbalkanroute das Mittelmeer als Haupteinfallstor abgelöst. Parallel dazu ringen die Mitgliedstaaten mit sich selbst, nachdem Slowenien angekündigt hat, seine Grenzen zum Nachbarn Kroatien dichtzumachen. Appelle, den Schengen-Raum nach innen wieder zu öffnen, nach außen aber strikter zu schließen, gab es in Valletta viele. Das sei „natürlich um vieles sinnvoller, als wenn jeder wie in einem Kleingartenverein hier allein agiert“, sagte Österreichs Kanzler Werner Faymann. Das scheint Europas Hauptproblem zu sein: Man würde nur allzu gerne weiter nach außen als geschlossene Gemeinschaft auftreten, um die Nachbarn an einer Lösung in der Flüchtlingsfrage zu beteiligen. Doch im Inneren ist weder von Gemeinsamkeit noch von Solidarität allzu viel zu sehen.