
Rente mit 67? Wohlverdienter Ruhestand nach 45 Arbeitsjahren? Wolfgang Schäuble kann über derartige Fragen nur milde lächeln. Für ihn jedenfalls stellen sie sich nicht. Wenige Tage vor der Bundestagswahl, am kommenden Montag, 18. September, feiert der Finanzminister von der CDU seinen 75. Geburtstag. Doch ans Aufhören denkt der Badener noch lange nicht.
Seit 45 Jahren gehört er dem Parlament an, kein Abgeordneter war jemals länger Mitglied des Bundestags. 2014 überbot er den Rekord des CSU-Politikers Richard Stücklen, der es von 1949 bis 1990 auf 41 Jahre gebracht hatte.
Und keine Spur von Amtsmüdigkeit. In seinem Wahlkreis Offenburg will er zum 13. Mal in Folge das Direktmandat erringen, niemand hat Zweifel, dass ihm das auch gelingt. Vor vier Jahren gewann er seinen Wahlkreis souverän mit 56 Prozent der abgegebenen Erststimmen.
Doch die Frage, ob der mit Abstand erfahrenste Politiker im Kabinett auch einer neuen Bundesregierung angehören wird, kann kurz vor der Wahl nicht sicher beantwortet werden. Auf das Finanzressort, das er seit acht Jahren innehat und das er in dieser Zeit zu einer Art Ersatzkanzleramt ausgebaut hat mit dem Recht, sich praktisch zu allen Fragen der Innen-, der Europa- und der Außenpolitik zu äußern, haben längst auch die potenziellen Koalitionspartner der Union begehrliche Blicke geworfen. Die Zeiten jedenfalls, in denen das Außenministerium automatisch dem Koalitionspartner zufiel, könnten zu Ende gehen. Das Finanzressort ist schlichtweg wichtiger, der Ressortchef der zweitmächtigste Mann im Kabinett.
Alterspräsident des Bundestages
FDP-Chef Christian Lindner spricht offen davon, dass es 2009 ein Fehler war, dass Guido Westerwelle das Finanzressort der Union überließ. Das soll sich dieses Mal nicht wiederholen.
Zuvor aber hat Wolfgang Schäuble erst einmal mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seinen großen Auftritt bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags, die spätestens 30 Tage nach der Wahl stattfinden muss. Weil das Parlament die bisherigen Regeln geändert und das Amt des Alterspräsidenten neu definiert hat, wird diese Sitzung nicht mehr, wie bisher, von dem an Lebensjahren ältesten Abgeordneten, sondern vom dienstältesten Parlamentarier eröffnet und geleitet – und das ist Wolfgang Schäuble.
So kommt zu seiner langen Liste an Ämtern auch noch das des Alterspräsidenten des Bundestags hinzu, das schon so prominente Politiker wie Konrad Adenauer und Ludwig Erhard (beide CDU) oder Herbert Wehner und Willy Brandt (beide SPD) und zuletzt zwei Mal sein früherer Kabinettskollege Heinz Riesenhuber (CDU) innehatten.
Für Schäuble ist es ein weiteres Amt in seinem an Ämtern nicht armen Leben. Sowohl im Parlament wie in der Regierung, in der Legislative und der Exekutive, hat er alle Schlüsselpositionen besetzt. Er war Geschäftsführer der Unionsfraktion, Fraktionsvorsitzender und CDU-Parteichef, Kanzleramtsminister unter Helmut Kohl, zwei Mal Innenminister und nun acht Jahre lang Chef des Finanzressorts. Er handelte 1990 mit der damaligen DDR-Regierung den Einigungsvertrag aus und bestimmte in den letzten Jahren den Kurs der Euro-Rettungspolitik.
Nur Bundeskanzler und Bundespräsident konnte und durfte er nicht werden. Das eine verhinderte Helmut Kohl, der den Stuhl für ihn nicht frei machte, das andere scheiterte an Angela Merkel, die 2004 den weithin unbekannten Horst Köhler bevorzugte, da die Erinnerung an die CDU-Parteispendenaffäre, in die auch Schäuble verwickelt war, noch in zu frischer Erinnerung war.
Doch Schäuble, seit einem Attentat 1990 an den Rollstuhl gefesselt, hat seinen Frieden mit seinem Schicksal gemacht. Er weiß um seine Bedeutung und seine Macht im Kabinett, sein Wort hat Gewicht, seine Kommentare können spöttisch bis beißend sein, er nimmt sich das Recht, sich zu jedem zu äußern und sogar der eigenen Kanzlerin zu widersprechen, zuletzt bei der Rente mit 70. Gleichwohl steht er loyal an der Seite Merkels, er versteht sich als Korrektiv und Ergänzung, beispielsweise in der Flüchtlingspolitik, wo er schon frühzeitig einen Kurswechsel forderte. Merkel wiederum schätzt Schäubles Erfahrung und betrachtet ihn als Stütze ihres Kabinetts.
Weitere Zukunft offen
Und doch ist seine Zukunft offen. In Berlin wird er auch als Nachfolger von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gehandelt, der nicht mehr kandidiert. Damit wäre er protokollarisch die Nummer zwei im Staate, noch vor der Bundeskanzlerin. Doch ob sich Wolfgang Schäuble mit dem eher repräsentativen Job begnügt?
Die Lust am operativen Geschäft hat er jedenfalls nicht verloren. Und kampflos wird die Union das wichtige Finanzressort nicht abgeben. Sollte er es behalten, würde er einen weiteren Rekord aufstellen: Finanzminister mit der längsten Amtszeit. Der frühere CSU-Chef Theo Waigel, der vom 21. April 1989 bis zum 26. Oktober 1998 an der Spitze des Finanzressorts stand – länger als jeder andere bislang – hat sich schon damit abgefunden, dass ihm Schäuble im Laufe der nächsten Legislaturperiode diesen Rekord entreißt. „Ich hatte ja mal den Schuldenrekord mit 80 Milliarden D-Mark, den hat er mir bereits abgenommen. Ich habe ihm damals eine gute Flasche Wein geschenkt“, sagte Waigel kürzlich der „FAZ“. „Und wenn er mich jetzt auch noch bei der Amtszeit überholt, bekommt er eine noch bessere Flasche Wein. Dann bin ich eben der Zweitälteste, kein Problem.“