D ie Grube wird Phet Laktasabout nie vergessen. Mit Schaufeln haben die Dorfbewohner sie hastig ausgehoben. Knapp 25 Quadratmeter misst sie, keine zwei Meter tief. Darüber legen sie Baustämme, Bambus und Laub. Mehr können sie nicht tun. Das ist der größtmögliche Schutz, den sie haben. Vor dem Tod bewahrt hat die Grube trotzdem alle, die darin Zuflucht suchen. 20 Menschen, die sich bei jedem Angriff aneinander kauern, wenn über das Dorf Oudomxay, die umliegenden Reisfelder und den Dschungel der Bombenregen niedergeht. Dann zischen Splitter, Steine und Erdklumpen wie Geschosse durch die Luft.
„Manchmal mussten wir den ganzen Tag in die Grube. Bomben und Granaten schlugen fast ununterbrochen ein“, berichtet die 60-Jährige. In kurzen Sätzen erzählt sie vom Krieg. Wie sich die Kinder im Erdloch heiser weinen, während draußen das Vieh schreit. Wie die Erde zittert und eine beklemmende Angst jedem die Kehle zuschnürt. Von den bangen Blicken Richtung Himmel, ob dort wieder Kondensstreifen von Bombern zu sehen sind.
Die nächsten Angriffswellen kommen schnell, und mit ihnen die nächsten Explosionen, die nächsten Toten. Jahr für Jahr geht das so. Von 1964 bis 1973 fliegt die US Air Force mehr als ein halbe Million Angriffe auf Laos. Über zwei Millionen Tonnen abgeworfener Bomben pflügen ganze Landstriche buchstäblich um. Laos ist, pro Kopf gemessen, das am stärksten von Bomben getroffene Land der Welt. Ihr Ziel, während des Vietnamkrieges den Nachschub des Vietcongs von Nord nach Süd zu unterbinden, erreichten die Amerikaner dennoch nicht.
Hätte damals eine der Bomben die Grube getroffen, wäre diese zum Massengrab geworden. „Was für ein Glück wir hatten“, sagt die alte Dame heute. Es sind tapfere Worte. Sie selbst ist nicht verschont geblieben. Mit drei Freundinnen bringt sie als 16-Jährige Essen zu einem nahen Stützpunkt der laotischen Armee. Phet Laktasabout sieht den Blindgänger nicht, der im Boden steckt. Die Explosion reißt ihr das linke Bein ab. Splitter verletzen zwei der Freundinnen schwer und zerfetzen den Körper der dritten.
Phet Laktasabout hat ein warmes und gütiges Lächeln. „Das ist alles lange her. Aber der Krieg hat gefährliche Spuren hinterlassen“, seufzt sie. Die Narben, die der Krieg hinterlassen hat, sind überall zu sehen. Bombentrichter rund um das Dorf erzählen von den Luftangriffen. In den Wäldern liegt eine tödliche Gefahr – geschätzte 80 Millionen Sprengsätze von Streubomben stecken noch in laotischem Boden.
Die Menschen im Dorf nennen sie „Bombies“, eine bizarre Verniedlichung. „Bis zu hundert Opfer sind es immer noch jährlich, die Arme, Beine, Augenlicht oder ihr Leben verlieren“, sagt die alte Dame. Sie kennt die Zahlen gut. Denn aus dem einfachen Bauernmädchen, dem ein Blindgänger ein Bein wegriss, ist eine Kämpferin gegen Streubomben geworden. In den heimischen Schulen warnt sie die Kinder davor, mit Blindgängern zu spielen. Versucht die Dorfbewohner davon abzuhalten, nach Bomben zu suchen, um den Kriegsschrott als Altmetall zu verkaufen. „Doch die Bauern sind oft bitterarm. Deswegen riskieren sie so viel“, erklärt sie. Selbst nach Europa reist sie im Auftrag der Organisation Handicap International. Als „Ban Advocate“, Vertreterin für ein Verbot also, diskutiert sie dort über die tödlichen Waffen.
Endlich erhält sie dann für sich selbst eine richtige Prothese: im Jahr 2010. Zuvor musste ein Provisorium helfen. Ausgerechnet aus einem Aluminiumrohr eines Streubombenbehälters hatte man ihr einen Behelf zusammengebastelt. „Als ich nach der Explosion erwachte und sah, dass mir ein Bein fehlte, wollte ich sterben“, sagt sie. „Meine Familie und mein späterer Mann haben mir die Kraft zum Leben gegeben. Ich habe gelernt, keine Angst mehr zu haben, wenn ich ein Flugzeug am Himmel sehe. Ich habe ein erfülltes Leben. Aber die Wut wird bleiben. Wie kann man nur ein Land und seine Menschen so heimsuchen. Bis heute weigern sich die USA, Streubomben zu ächten.“
Auch Phongsavath Manithong zählt zu den „Ban Advocates“ von Handicap International. Vor sechs Jahren reißt ihm die Explosion beide Hände ab und raubt ihm das Augenlicht. Der Teenager ist in seinem Heimatdorf auf dem Weg zur Schule, als ein Freund die merkwürdige Eisenkugel findet. Weil Phongsavath Manithong Geburtstag hat, drückt sein Freund sie ihm als Geschenk in die Hand.
Die Wut von Phet Laktasabout hat er trotzdem nicht. Vielleicht liegt es daran, dass er den Krieg nicht miterlebt hat. Vielleicht einfach nur, dass er ein junger Mann ist, der von der großen Liebe träumt. Von einer Zukunft, die diesen Namen wirklich verdient. „Ich will die Menschen fröhlich machen“, sagt der heute 22-Jährige und erzählt von seinen Erfolgen als Hip-Hop-Tänzer, von einem Auftritt vor mehr als tausend Menschen, als er seine eigene Geschichte tanzt. „Ich konnte es am Applaus hören. Ich hatte das Publikum wirklich bewegt. Es war ein gutes Gefühl“, sagt er.
Zurzeit arbeitet der 22-Jährige an einer eigenen CD. „Please tell Me“ lautet sein persönlicher Hit. Kein Lied über die Schrecken von Bombenexplosionen, sondern ein Liebeslied. „Vielleicht hört ja eines Tages das richtige Mädchen zu“, hofft der 22-Jährige. Doch vom Tanzen und Singen wird er nicht leben können. Da macht er sich keine Illusionen. „Am liebsten würde ich Wirtschaft studieren. Mein eigenes kleines Geschäft aufmachen. Vielleicht mit einem Freund“, sagt er. Es klingt nach einem fernen Traum.
Tamluang ist dem Heimatdorf von Phongsavath Manithong ähnlich. Hütten auf Stelzen reihen sich aneinander, eine staubige Straße zieht sich quer durch den Ort. Etwas abseits steht Khankham Senglasy, ihr läuft der Schweiß übers Gesicht. Sie gehört zu den Bombenentschärfern von Handicap International, die penibel Quadratzentimeter für Quadratzentimeter mit Detektoren absuchen. Eine Schule soll hier gebaut werden, und das Handicap International-Team muss das Gelände sichern.
Vom Himmel brennt unbarmherzig die Sonne. Nicht leicht, die volle Konzentration zu behalten. Es wird noch Wochen dauern, bis der Grund freigegeben werden kann. „Bis jetzt haben wir rund ein Drittel der Fläche untersucht, eine Granate gefunden und entschärft“, erklärt Einsatzleiter Keng Keo.
Das mag auf den ersten Blick nach nicht viel klingen. Doch Phet Laktasabout und Phongsavath Manithong werden da sicherlich widersprechen.
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