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Ein Abschied „sehr schweren Herzens“
Schavans Rücktritt: Nach der Aberkennung des Doktortitels hat die Bildungsministerin die Konsequenzen gezogen. Politische Freunde und Gegner zollen der 57-Jährigen Anerkennung und Respekt.
Von unserem Korrespondenten Martin Ferber
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:59 Uhr

Sehr schweren Herzens.“ Angela Merkel sagt es nicht nur ein Mal, sondern gleich zwei Mal kurz hintereinander. Schon am Freitagabend habe ihr Annette Schavan den Rücktritt vom Amt der Bildungs- und Forschungsministerin angeboten, und „sehr schweren Herzens“ habe sie diesen Rücktritt angenommen. Auch die Körpersprache der Kanzlerin, die ihre Gefühle sonst so perfekt zu beherrschen weiß, spricht Bände. Die Kanzlerin trägt Schwarz und eine ernste Miene.

Samstag, 14 Uhr, Kanzleramt Berlin: Wieder einmal steht Angela Merkel vor den Mikrofonen im Foyer, hinter ihr die blaue Wand mit dem Bundesadler, und wieder einmal muss sie den Rücktritt eines Ministers verkünden. Doch dieses Mal geht ihr dies besonders nahe, und sie versucht auch gar nicht, es zu verbergen. Anders als bei Umweltminister Norbert Röttgen, dessen Entlassung im Mai vergangenen Jahres sie an gleicher Stelle mit Eiseskälte und nur einigen dürren Worten verkündet hat, anders auch als bei den Rücktritten von Arbeitsminister Franz Josef Jung oder Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg fällt ihr dieses Mal die Entscheidung sichtlich schwer. Denn Annette Schavan (57) war mehr als nur eine Ministerin; sie war langjährige Weggefährtin, Mitstreiterin, Vertraute und sogar persönliche Freundin. Beide pflegen einen engen Kontakt, der weit über das Dienstliche und Politische hinausgeht. Eine Rarität im sonst so nüchternen Politikbetrieb.

Seit 2005 im Bundeskabinett

Das Vertrauen ist in vielen Jahren gewachsen. Als Angela Merkel im April 2000, auf dem Höhepunkt der CDU-Parteispendenaffäre und der schwarzen Kassen Helmut Kohls, zur Parteichefin gewählt wurde, war Schavan bereits seit zwei Jahren Stellvertreterin und stärkte ihr von Anfang an demonstrativ den Rücken. Als Merkel im November 2005 zur Bundeskanzlerin einer Großen Koalition gewählt wurde, holte sie die baden-württembergische Kultusministerin ins Kabinett und machte sie zur Bildungs- und Forschungsministerin. Gemeinsam gingen sie daran, den Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken und die Forschungseinrichtungen zu fördern. Schavan durfte sich über deutliche Zuwächse in ihrem Etat freuen, der Kanzlerin, selbst promovierte Physikerin und mit einem Professor verheiratet, lag die Wissenschaft am Herzen, sie und Schavan waren Schwestern im Geiste.

Und so hat die Kanzlerin am Tag des Rücktritts ihrer Vertrauten nur lobende Worte parat. Schavan sei „die anerkannteste und profilierteste Bildungspolitikerin unseres Landes“, ihre Leistungen seien „außerordentlich“, mit ihrem Namen „bleiben wegweisende Maßnahmen und Initiativen verknüpft“. Früh schon habe Schavan erkannt, dass die Bildungs- und Forschungspolitik einen „entscheidenden Beitrag zu unserer weltweiten Wettbewerbsfähigkeit und damit Sicherung unseres Wohlstandes“ leisten müsse. Gleichwohl ist Angela Merkel klar, dass sie Annette Schavan nicht länger im Amt halten kann. Am Freitagabend, unmittelbar nach der Rückkehr Merkels aus Brüssel und Schavans aus Südafrika, haben sie lange miteinander telefoniert, am Samstagmittag sind sie noch einmal kurz im Kanzleramt zusammengekommen. Schavan, die einst zum Thema „Person und Gewissen“ promoviert hat, weiß als Person mit Gewissen, was sie zu tun hat. Ihr Rücktritt ist unausweichlich, es geht nun um einen Abgang in Würde. „Wenn eine Forschungsministerin gegen eine Universität klagt, dann ist das mit Belastungen verbunden für mein Amt, für das Ministerium, die Bundesregierung und auch die CDU.“ Sie wolle vermeiden, dass das Amt beschädigt werde. Noch einmal weist sie mit Entschiedenheit den Vorwurf des Plagiats zurück. „Ich habe in meiner Dissertation weder abgeschrieben noch getäuscht“, die Vorwürfe „treffen mich tief“. In dieser Situation halte sie es mit dem früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel: „Zuerst das Land, dann die Partei und dann ich selbst.“ Darum sei der Tag „der richtige Tag, aus dem Ministeramt zu gehen“.

Respekt bei politischen Freunden

In Berlin ist die Erleichterung groß. Mit „Respekt und Anerkennung“ reagieren Schavans Parteifreunde von der CDU und vom Koalitionspartner FDP auf ihre Entscheidung. „Wir danken ihr von Herzen für ihren leidenschaftlichen Einsatz für Bildung und Forschung“, sagt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe – und begrüßt im gleichen Atemzug die Ernennung von Johanna Wanka zu ihrer Nachfolgerin als „überzeugende Entscheidung für die Bildungsrepublik Deutschland“. Er weiß nur zu gut, hätte sich die Ministerin noch länger an ihr Amt geklammert, wäre dies der Union nicht gut bekommen und hätte der Opposition Munition geliefert. So aber zeigt die Koalition Handlungsfähigkeit und bringt die Personalie kurz und schmerzlos über die Bühne. David McAllister, der noch amtierende Ministerpräsident von Niedersachsen, freut sich über die Berufung „seiner“ Ministerin Johanna Wanka. „Sie hat in Niedersachsen hervorragende Arbeit geleistet und sich deutschlandweit großes Ansehen in Wissenschaft, Forschung und Politik erworben. Sie wird eine gute Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft“, sagt er. Dagegen hadert die einst so mächtige Südwest-CDU mit dem Verlust des Kabinettsitzes. Es sei „schade“, dass man auf diese Art und Weise einen Platz in der Regierung verloren habe, heißt es in der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg. CSU-Chef Horst Seehofer nennt den Rücktritt Schavans „bedauerlich und tragisch“, Schavan sei eine „vorzügliche Ministerin“ gewesen, er habe der Kanzlerin gesagt, „Frau Schavan sollte in der Politik bleiben“. Und auch die Opposition zollt der abgetretenen Ministerin ihren Respekt. Der Rücktritt, heißt es bei SPD und Grünen, sei konsequent, Schavan habe wegen der Aberkennung des Doktortitels ihr Amt nicht mehr glaubwürdig ausüben können.

Entzogene Doktortitel

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU): Viele Passagen fremder Autoren in der Doktorarbeit des damaligen Verteidigungsministers sorgten im Februar 2011 für Aufsehen. Wenig später erkannte ihm die Universität Bayreuth den Doktortitel ab. Silvana Koch-Mehrin (FDP): Wegen Plagiaten in der Doktorarbeit der Europapolitikerin entzog die Universität Heidelberg ihr den Titel im Juni 2011. Koch-Mehrin klagt den Titel derzeit vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe ein, nachdem ein Widerspruch gegen die Aberkennung bei der Universität erfolglos geblieben war. Jorgo Chatzimarkakis (FDP): Der Europa- abgeordnete verlor seinen Titel im Juli 2011, da mehr als die Hälfte seiner Arbeit nach Angaben der Universität Bonn aus fremder Feder stammte. Der FDP-Politiker kündigte an, er werde eine neue Arbeit vorlegen. Margarita Mathiopoulos (FDP): Die frühere FDP-Beraterin verlor ihren Doktortitel im April 2012. Ihre Dissertation sei in weiten Teilen abgeschrieben, entschied der Rat der Philosophischen Fakultät der Uni Bonn. Eine Klage dagegen wies das Verwaltungsgericht Köln im Dezember 2012 zurück. Text: dpa

Johanna Wanka als niedersächsische Wissenschaftsministerin
Foto: dpa | Johanna Wanka als niedersächsische Wissenschaftsministerin
 
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