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London
Ein Abschied mit Tränen
Theresa May hat keinen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse gefunden. Nun muss sie Platz machen für einen Nachfolger. Doch die Zeit bis zum geplanten EU-Austritt ist knapp.
Bearbeitet von Katrin Pribyl
 |  aktualisiert: 31.05.2019 02:11 Uhr

Am Ende erstickten Tränen ihre Stimme. Theresa May zitterte und präsentierte sich so gar nicht als jener „Roboter“, als der sie gerne wegen ihres kühlen Auftretens und sturen Art verhöhnt worden war. „Ich bin ungeheuer dankbar, die Möglichkeit gehabt zu haben, dem Land zu dienen, das ich liebe“, sagte eine emotionale Premierministerin gestern Vormittag am Rednerpult vor ihrem Amtssitz in der Downing Street und bezeichnete die vergangenen knapp drei Jahre als „Ehre meines Lebens“. Dann drehte sich Theresa May um und verschwand hinter der berühmten, schwarzen Tür mit der Nummer Zehn. Zuvor hatte die britische Regierungschefin ihren Rücktritt angekündigt. Am 7. Juni werde sie ihren Posten als Vorsitzende der konservativen Partei räumen.

Sie wird in die britischen Geschichtsbücher als Premierministerin eingehen, die mit dem Ziel antrat, den Brexit umzusetzen – und damit vollends und selbstverschuldet scheiterte. Das Land ist tief gespalten, der EU-Austritt bleibt unvollendet. Sie werde das „für immer“ bedauern, sagte sie in ihrem Statement. Dabei habe man die Pflicht, das Ergebnis umzusetzen, wenn man den Menschen die Wahl gebe. Einen Konsens beim EU-Austritt könne es jedoch lediglich geben, wenn alle Seiten zum Einlenken bereit seien. „Kompromiss ist kein schmutziges Wort, das Leben hängt davon ab.“ May ließ aus, dass sie es jahrelang selbst versäumte, das Parlament hinter einem Vorschlag zu einen und Bündnisse zu schmieden. Oft schien es vielmehr so, als wähnte sie sich noch immer auf dem Höhepunkt der Macht, auf dem sie damals, am 13. Juli 2016, stand – nur wenige Wochen nach dem schicksalshaften Referendum, infolgedessen David Cameron zurückgetreten war.

Theresa May setzte sich in jenen turbulenten Wochen durch, war unangefochten, wurde von ihrer Partei als auch der konservativen Presse gefeiert. Und machte dann, ohne Not, einen Fehler nach dem anderen. Als ihr größter gilt, 2017 Neuwahlen ausgerufen zu haben, um die absolute Mehrheit auszubauen. Nach einem katastrophalen Wahlkampf stand sie jedoch plötzlich mit einer Minderheitsregierung und zutiefst geschwächt da.

Zu ihrem Verhängnis wurde außerdem ihre Obsession, die Hardliner in den eigenen Tory-Reihen befriedigen zu wollen. Die aber entpuppten sich als Raupe Nimmersatt, während May die moderaten Kräfte mit ihrem harten Brexit-Kurs abschreckte. Der zwischen London und Brüssel ausgehandelte Deal fiel auch deshalb drei Mal krachend durch das Parlament, der Brexit-Termin musste bereits zwei Mal verschoben werden.

Der jetzige Schritt kam, vielleicht außer für die 62-Jährige selbst, keineswegs als Überraschung. Der Druck auf die angezählte Regierungschefin nahm in den vergangenen Tagen massiv zu, nachdem sie am Mittwoch ihren Zehnpunkteplan als Kompromissvorschlag präsentiert hatte, der unter anderem die Möglichkeit zu einem Referendum über das Austrittsabkommen vorsah. Die Reaktionen fielen vernichtend aus, nicht nur bei der Opposition.

Es handelte sich nicht mehr nur um die üblichen Meuterer in den Reihen der Tories, die ihren Abschied forderten. Die Kritik prasselte von allen Seiten auf die Parteivorsitzende ein – ob von den radikalen Europaskeptikern, den EU-Freunden oder ehemals loyalen Unterstützern. Sogar das Kabinett rebellierte gegen Mays Brexit-Kurs.

Am Mittwochabend dann gab die Fraktionsvorsitzende Andrea Leadsom ihren Posten auf, womit die Zahl im Club der ehemaligen Minister und Staatssekretäre unter Mays knapp dreijähriger Amtszeit auf 36 stieg. Es sollten am Ende zu viel sein. Bedrängt, isoliert und machtlos verschanzte sich die Premierministerin daraufhin in der Downing Street. Und tauchte erst am Freitagvormittag nach einem Treffen mit dem Chef der Hinterbänkler wieder auf.

Es dauerte nicht lange, bis sich der Oppositionsführer von Labour, Jeremy Corbyn, gestern zu Wort meldete und Neuwahlen forderte. Weder May noch ihre gespaltene Partei seien in der Lage, das Land zu regieren, befand der Altlinke. Dass Labour selbst heillos über der Europafrage zerstritten ist, ließ er selbstredend aus. Während die Mehrheit seiner Partei ein zweites Referendum wünscht, windet sich Corbyn seit Monaten. Vielmehr müsse man via Parlamentswahl „das Volk über die Zukunft unseres Landes entscheiden lassen“, sagte er.

Derweil bringen sich konservative Kandidaten für Mays Nachfolge in Stellung. Die größten Chancen werden dem ehemaligen Außenminister Boris Johnson eingeräumt, lautstarker Brexit-Wortführer und Unruhestifter der ersten Stunde. Er genießt große Popularität in der Parteibasis, müsste aber vor der Abstimmung von der Fraktion als einer von zwei Bewerbern bestimmt werden.

Unter den anderen möglichen Kandidaten befinden sich alte Bekannte wie auch neue Gesichter. So wird erwartet, dass unter anderem Ex-Brexit-Minister Dominic Raab, Umweltminister Michael Gove, Außenminister Jeremy Hunt, Innenminister Sajid Javid und Entwicklungshilfeminister Rory Stewart ihre Chance gekommen sehen. Dem Königreich steht, wieder einmal, ein heißer Sommer bevor. Und damit ist nicht das Wetter gemeint.

 
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