Sebastian Edathy ist frei. Zumindest juristisch. Keine 30 Minuten dauert es an diesem Montagmorgen, bis der Kinderporno-Prozess am Landgericht Verden nach zwei Verhandlungstagen zu Ende ist. „Die Vorwürfe treffen zu“, lässt Edathy kurz nach 10 Uhr über seinen Anwalt Christian Noll verkünden. „Ich habe eingesehen, dass ich einen Fehler begangen habe. Ich habe dazu lange gebraucht.“ Während Noll die Erklärung verliest, ist es mucksmäuschenstill im Saal. Edathy selbst wirkt sehr konzentriert.
Oberstaatsanwalt Thomas Klinge wirkt zufrieden. Kein Wunder, denn der Text ist mit ihm abgesprochen. Seine Sprecherin Kathrin Söfker wird später sagen, dass es der Staatsanwaltschaft nie um ein Schuldeingeständnis zum eigenen Vorteil oder zu Edathys Nachteil gegangen sei, sondern darum, Rechtssicherheit zu erhalten – auch mit Blick auf die Beseitigung des öffentlichen Interesses an einer Strafverfolgung.
Zurück zu Edathys Einlassung. „Ich habe die in der Anklageschrift genannten Punkte, die CD und den Bildband in meinem Besitz gehabt. Das Gleiche gilt auch für die Logdateien. Ich habe sie heruntergeladen und geöffnet, ich kenne die Inhalte“, verliest Noll im Namen des Ex-SPD-Spitzenpolitikers. Vor einer Woche hatte Klinge sie an gleicher Stelle beim Prozessauftakt von Edathy eingefordert, wenn dieser die Zustimmung zur Einstellung haben wolle.
Zeitraubenden Prozess vermieden
Jetzt, da Edathys Worte auf dem Tisch liegen, sind alle zufrieden. Noll, weil er seinem Mandanten eine Verurteilung ersparen konnte. Klinge, weil er seiner viel gescholtenen Behörde zumindest ein kleines Erfolgserlebnis mit nach Hannover zurückbringt. Das Gericht, weil es aus dem vollen Terminkalender zumindest einen zeitraubenden Prozess streichen kann. Und natürlich Edathy.
Aber was ist mit Edathy geschehen? Outet er sich nun, mehr als ein Jahr nach dem Ende seiner politischen Karriere mit zahllosen Dementis, doch als Pädophiler? Nolls Antworten klären etwas auf: „Er hat sich zu dem Inhalt der Dateien nicht geäußert. Er hat also insbesondere nicht eingeräumt, kinder- und jugendpornografische Dateien besessen zu haben“, sagt er. Die Fortsetzung des Prozesses wäre aber unverhältnismäßig gewesen. Edathy habe sich daher entschlossen, dem zuzustimmen.
Damit wird die Taktik der Verteidigung klar. Nicht etwa Reue oder ein Schuldeingeständnis bei Edathy waren Grundlage für die Formulierung, sondern die Absicht und Überzeugungskraft des Anwalts, das Verfahren um jeden Preis abkürzen zu wollen.
Edathy war es sichtbar unangenehm, wenn detaillierter über die Vorwürfe gesprochen wurde. Wenn Klinge etwa den Titel des konfiszierten Bildbandes „Boys in ihrer Freizeit“ oder das Magazin „Adam Junior“ erwähnt und droht, in der Beweisaufnahme auch die Videos mit nackten Jungen unter 14 Jahren von einem russischen Server im Gerichtssaal vorführen lassen. „Die Strafe ist nicht das Hauptproblem für den Beschuldigten. Das Verfahren ist es“, meinte die Frankfurter Strafverteidigerin Eva Dannenfeldt schon vor Monaten.
Richter Seifert meidet in seinen abschließenden Worten das Wort Schuld. „Die Kinder werden in ihrer Würde und Entwicklung erheblich geschädigt“, sagt er. Zwar sei Edathy nicht an der „Herstellung von solchen Filmen“ beteiligt gewesen, „aber nur weil es einen Markt und Konsumenten gibt“, würden andere Menschen Kinder in Film- und Videoproduktionen schwer missbrauchen.
Edathy hat sein Minimalziel erreicht. Nach der monatelangen Berichterstattung mitsamt Vorverurteilungen wird sich der 45-Jährige nicht die Illusion gemacht haben, seinen zerstörten Ruf vor Gericht wiederherstellen zu können. Dazu hätten die Vorwürfe falsch gewesen sein müssen, dazu hätte sein Name nie auf der Kundenliste des kanadischen Unternehmens auftauchen dürfen, das Darstellungen nackter Kinder vertrieb.
Stattdessen kann Edathy nun aber – wie auf seiner Facebookseite geschehen – juristisch wasserfest behaupten, sein Verfahren sei ohne Verurteilung eingestellt worden. „Eine Schuldfeststellung ist damit ausdrücklich nicht getroffen worden“, betont er. Der Gerichtsfall Edathy dürfte abgeschlossen sein – offiziell wird dies erst rechtskräftig, wenn er die 5000 Euro Geldauflage an den Kinderschutzbund überwiesen hat. Die politische Affäre ist damit aber keineswegs am Ende.