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Drückjagden auf wilde Bisons
Yellowstone: Rund um den ältesten Nationalpark der USA tobt ein erbitterter Streit um die einzige reinrassige Bisonherde in freier Wildbahn: Die urtümlichen Tiere drängen aus dem Park – aber außerhalb sind sie keineswegs allen willkommen.
Die Letzten ihrer Art: Um die wilden Bisons vom Yellowstone Nationalpark ist in Montana ein erbitterter Streit entbrannt.
Foto: Alle Jens Schmitz | Die Letzten ihrer Art: Um die wilden Bisons vom Yellowstone Nationalpark ist in Montana ein erbitterter Streit entbrannt.
Dr. Jens Schmitz
Jens Schmitz
 |  aktualisiert: 19.06.2015 13:51 Uhr

Es könnte eine Idylle sein: Schneebedeckte Ausläufer der Rocky Mountains thronen über wilden Flüssen und Seen; in der Bergluft Montanas mischt sich der feine Duft von Indianer-Beifuß mit dem würzigen Geruch dichten Bisonfells. Mehr als 100 Weibchen unterhalten sich in leisen Grunzlauten mit ihren neugeborenen Jungen. Aber nach 16 Kilometern Gewaltmarsch brechen die ersten Kälbchen zusammen. Erwachsene Tiere gehen in Fronstellung zu den Cowboys, die sie seit Stunden durch Kiefernwald, Wasser und über Highways treiben; auch Schreie und Lassoschläge richten nichts mehr aus.

Das sind die Bilder, auf die Mike Mease gewartet hat. „Wie kommt es, dass ihr euer Nutzvieh nie so behandelt?“, wettert er in Richtung der Reiter. „Woran liegt das?“ Dann hält er wieder drauf mit der Kamera auf zitternde Flanken, hängende Zungen, auf Kälbchen und Mütter, die sich verloren haben. Später werden die Bilder auf Youtube landen. „Es sieht nicht gut aus, wenn sie diese Babys erschießen, also hetzen sie sie bis zu 15 Meilen am Tag“, erklärt Mease. „Dabei sind das die Letzten ihrer Art.“

Rund um Yellowstone, den ältesten Nationalpark der USA, tobt ein erbitterter Streit um die einzige reinrassige Bisonherde in freier Wildbahn: Aus knapp 30 Exemplaren ist ein 4000-köpfiger Bestand geworden, der für drei Millionen Yellowstone-Besucher im Jahr zu den Hauptattraktionen gehört. Die wenigsten wissen, dass die tonnenschweren Tiere zunehmend aus dem Park drängen. Dort sind die urtümlichen Paarhufer keineswegs allen willkommen: Die mächtige Agrarindustrie fürchtet Krankheiten und Zerstörung; Montana ließ Bisons außerhalb des Parks jahrzehntelang einfach erschießen. Seit der Jahrtausendwende versuchen die Behörden, sie in den Park zurückzudrängen. „Hazing“ heißen die Drückjagden, auf Deutsch „Schikane“.

Aktivisten dokumentieren die Vorgänge

Dass sich überhaupt etwas verändert hat, schreibt Mike Mease seiner Öffentlichkeitsarbeit zu: Der 53-Jährige hat in den 90er Jahren mit Unterstützung der Lakota-Indianer die Buffalo Field Campaign gegründet, ein Aktivistencamp im Westen des Parks, das mit Hilfe von Freiwilligen die Vorgänge ganzjährig dokumentiert.

Die 26-jährige Natalie Margolis aus Colorado etwa träumt davon, zu ihren Lebzeiten wieder Millionenherden durch die USA ziehen zu sehen – so wie das war, bevor die mächtigen Wiederkäuer im Krieg gegen die Indianer beinahe ausgerottet wurden. „Was heute an den Grenzen des Nationalparks geschieht, entspricht der Diskriminierung der Ureinwohner außerhalb ihrer Reservate“, sagt Margolis. „Kein anderes Wildtier wird so eingeschränkt.“

Ein einflussreicher republikanische Staatssenator hat wilde Bisons 2013 als Krebsgeschwür bezeichnet; vor der Presse verglich John Brenden Wiederansiedlungsversuche mit einer Rückkehr der Dinosaurier. Auch Mease glaubt, dass aus solchen Äußerungen alte Vorurteile sprechen: die Angst des Siedlers vor dem ungebändigt Nomadischen. Er fordert keine Riesenbestände, findet aber, dass eine Million Einwohner in einem Bundesstaat von der Fläche Deutschlands mit wilden Bisons koexistieren könnten.

Private Spenden und das Engagement eines großen Outdoor-Ausrüsters haben der Kampagne zu Schlagkraft verholfen. Im Park selbst erzählen Meases Leute jedem, der es hören will, von Helikopterhetzjagden und Bisonkühen, die mit halbgeborenen Kälbern zum Rennen gezwungen wurden – aus ihrer Sicht, weil das „Ministerium für Hamburger“ sich nicht traut, eine bedrohte Tierart zu schützen.

Die gescholtene Behörde, die das Viehzuchtamt ist, sitzt zwei Autostunden nördlich in der Hauptstadt Helena. Direktor Christian Mackay und Staatsveterinär Marty Zaluski empfangen in einem Besprechungsraum, den ein Kuhfell und ein paar Hörner schmücken. Mackay macht kein Hehl daraus, dass die Agrarbranche Einfluss besitzt: Mit einem Umsatz von mehr als vier Milliarden Dollar ist sie Montanas wichtigste Industrie; den größten Teil davon macht die Viehzucht aus. „Aber zu behaupten, dass unsere Leute nur durchgedrehte Cowboys sind, die den Bisons das Leben schwer machen wollen, ist unaufrichtig“, sagt Tierarzt Zaluski. „Wenn es die Krankheit nicht gäbe, wären Bisons Sache der Wildtierbehörde. Nichts wäre mir lieber!“

Die Krankheit ist eine Bakterieninfektion namens Brucellose, die beim Menschen als Maltafieber auftreten kann und bei Paarhufern Fehlgeburten verursacht. Ursprünglich mit europäischen Kühen eingeschleppt, gelang es amerikanischen Viehzüchtern erst 2008, sie auszurotten. Nun gibt es nur noch ein einziges Erregerreservoir in den USA: Wildtiere in und um den Park Yellowstone.

In freier Natur ist keine Übertragung von Bison zu Nutzvieh dokumentiert. Die Regierung in Helena schreibt das ihrer Einfriedungsstrategie zu. Die Buffalo Field Campaign stellt sowohl das Infektionsrisiko als auch die Gefährlichkeit der Krankheit infrage: Hunderttausende Rothirsche, von denen viele Brucellose-Träger sind, können sich rund um Yellowstone frei bewegen, obwohl sie Kühe infiziert haben. An den Jagdlizenzen verdienen Geländebesitzer Geld. Wenn die Gefahr so groß ist, warum wird dann gegen die Hirsche nichts unternommen?

„Es gibt zu viele, und sie sind schwerer zu kontrollieren“, sagt Zaluski. „Das Ergebnis ist eben, dass wir Übertragungen von Hirschen haben, die es durch Bisons nicht gibt.“ Der Veterinär würde die Brucellose beim Bison gern ausrotten; der Nationalpark hält das für schwer praktikabel. Dass die Buffalo Field Campaign die Idee prinzipiell ablehnt, zeigt für Zaluski, dass es ihr nicht um Lösungen geht: „Die haben ein Interesse daran, den Konflikt am Köcheln zu halten, sonst trocknen ihnen die Spenden aus.“

Mike Mease weist das entschieden zurück: „Solange sie bei den Hirschen nichts unternehmen, werden die Bisons doch gleich wieder angesteckt“, regt er sich auf. „Es sind die Rancher, die kein Interesse haben, etwas zu ändern – die bekommen jedes Jahr drei bis fünf Millionen an Steuergeldern, um den bisherigen Zirkus weiterzuführen.“

Mit dem Geld könne man eine wirksame Impfung entwickeln und jede Menge Zäune errichten, sagt Mease. Aber um die Brucellose gehe es eben gar nicht. Er rupft ein paar Halme von der sandigen Erde: „Hierum geht's – um Gras, und darum, wer es zu fressen bekommt.“ Weiderechte auf öffentlichem Gelände sind weit billiger als auf privatem.

Anders als früher gibt es heute rund um den Park eine Zone, in der Bisons im Winter geduldet sind. Erst zum Juni, wenn das Nutzvieh in seine Sommergründe zurückkehrt, werden die Flächen geräumt. „Unser Programm bringt drei Bundesbehörden, zwei Staatsämter, mehrere Indianerstämme und diverse Interessengruppen unter einen Hut“, sagt Tierarzt Zaluski. „Der Status quo ist beinahe ein perfekter Kompromiss: Alle hassen ihn.“ Pat Pohva und Bob Sitz zum Beispiel geht er zu weit. Der 63-jährige Pohva unterhält eine der wenigen kleinen Ranches beim Örtchen West Yellowstone, sie liegt in der Toleranzzone. Pohva hält selbst kein Vieh, verpachtet aber sein Weideland. „Wir werden hier einfach geopfert“, beschwert er sich. Bisons seien zerstörerisch: „Durch die meisten Zäune laufen sie durch, und hervorragend springen können sie auch.“ Das örtliche Horstgras sei empfindlicher als der Präriebewuchs in der Heimat der Tiere.

Die Brucellose-Gefahr hat Pohva einen Großkunden gekostet: Bob Sitz betreibt mit seinem Bruder Jim einen der größten Betriebe für Angus-Rinder in den USA; „Sitz Angus“ vertreibt weltweit Samen, Embryos, Kälber und Zuchttiere. „Von den 70er Jahren bis 2005 haben wir viel Land von Pat gepachtet“, sagt der 49-Jährige auf seiner Hauptranch in Harrison, eine Autostunde von Yellowstone entfernt. „Dann konnte ich das Risiko nicht mehr eingehen.“ Bis vor kurzem musste ein Rancher, der einen Brucellose-Fall hatte, seine gesamte Herde keulen. „Wir haben hier Erbgut aus 100 Jahren.“ Sitz nimmt sich Zeit für eine Rundfahrt über die mehr als 70 Quadratkilometer, die er besitzt. Auf seinem Land finden sich unter kreisenden Weißkopfseeadlern Hütten der ersten norwegischen Siedler und verfallene Goldminen: Viele Eigentumsrechte der Gegend sind älter als die Regierung in Helena. Sitz möchte aber vor allem zeigen, wie ein gut geführtes Ökosystem aussieht, mit Wechselwirtschaft, Laubbäumen, erholtem Gras und gesunden Flussufern.

Früher hielt der National Park Service seine Bisonherde bei einigen Hundert Exemplaren, heute schwankt der Bestand zwischen 4000 und 5000. Erst seit sie nicht mehr genug zu fressen fänden, kämen die Tiere aus dem Park, sagt Sitz, das gelte auch für die Hirsche. Wenn die Bisons zusätzlich Platz bekämen, würden sie sich dort weitervermehren, bis sie in neue Gebiete drängten. Sitz will, dass der Park seine Bisons aktiv kontrolliert.

Indianer haben das Anrecht auf Jagd

Das tut er allerdings schon: Jedes Jahr gibt der National Park Service mehrere Hundert Tiere für Indianerstämme frei, die Anrecht auf Jagd und Schlachtfleisch haben – zum Leidwesen mancher Bisonfreunde, die darin den Anschlag auf eine bedrohte Art sehen.

Den Mann, der all diese Interessen ausgleichen soll, trifft man zur Hazing-Saison nur im Feld; seit Montana 1995 wegen der Brucellose geklagt hat, müssen Yellowstone-Mitarbeiter beim Drücken helfen. Rick Wallen ist ein großer 58-Jähriger mit grauem Rauschebart und weicher Stimme; er leitet die Bison-Projekte in Yellowstone. „Wir haben keine Anzeichen dafür, dass es im Nationalpark zu viele Tiere gibt“, sagt der Wildbiologe. „Wenn sie mehr Platz außerhalb bekämen, würde das den Druck natürlich reduzieren.“

Das Brucellose-Risiko hält Wallen für beherrschbar. Die Hazing-Aktionen kommentiert er diplomatisch: Bisons seien recht widerstandsfähig, die Strecken dürften aber kürzer sein. Im Park selbst gehe man mit den Tieren schon anders um. Dort sind sie den Gewalten ausgesetzt, die ihre Entwicklung als Art bestimmt haben: Bären, Wölfen, harten Wintern. Für Wallen macht sie das zur wichtigsten Population der Welt. „Der Bestand ist heute groß genug, um nicht auszusterben“, sagt er. „Das allein ist großartig.“ Dann lächelt der Mann, allem Gezerre zum Trotz. „Wilde Bisons sind nämlich toll.“

Bisons

Population Bis zum 19. Jahrhundert bevölkerten mehr als 50 Millionen Bisons die amerikanische Prärie, dann machte die US-Regierung gezielt Jagd auf die Lebensgrundlage der Indianer. 1902 waren in Yellowstone noch rund zwei Dutzend Tiere übrig. Ein Rancher in Texas hatte ebenfalls ein paar Exemplare gerettet, die dem kleinen Genpool zugeführt wurden. Die Population konnte ohne Unterbrechung erhalten werden. Heute leben in dem Nationalpark zwischen 4000 und 5000 reinrassige Bisons unter Wildnisbedingungen. Das unterscheidet sie von den bis zu 200 000 Artgenossen, die es mittlerweile in den USA wieder gibt.

Die meisten leben in Gefangenschaft und tragen Gene von Nutzvieh in sich. Auch auf Ranches existieren aber zahlreiche reinrassige Tiere. In Bundesstaaten wie South Dakota und Utah gibt es inzwischen ebenfalls wieder kleinere Herden in Parks. Yellowstone Mit dem Gründungsjahr 1872 ist Yellowstone nicht nur einer der berühmtesten, sondern auch der älteste Nationalpark der USA. Seine knapp 9000 Quadratkilometer liegen größtenteils im US-Bundesstaat Wyoming, erstrecken sich aber auch nach Idaho und Montana. Neben Bisons, Grizzlys und Wölfen ist Yellowstone vor allem für seine Geysire bekannt. Text: jsz

Den Kälbchen setzen mehr als 15 Kilometer lange Märsche hart zu.
| Den Kälbchen setzen mehr als 15 Kilometer lange Märsche hart zu.
Im falschen Territorium: Bisons beim Ort West Yellowstone in Montana werden zurück in den Yellowstone gedrängt.
| Im falschen Territorium: Bisons beim Ort West Yellowstone in Montana werden zurück in den Yellowstone gedrängt.
 
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