Die Herren sind älter geworden, aber sie fühlen sich immer noch als Kämpfer. Und jetzt dürfen sie sich sogar als Sieger feiern lassen. Ein Bündnis von drei Parteien, deren Anführer in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre in der Befreiungsarmee (UCK) der ethnischen Albaner gegen die serbisch geprägte jugoslawische Armee kämpften, hat am Sonntag mit rund 35 Prozent der Stimmen die Parlamentswahl im Kosovo gewonnen.
Jetzt drohen alte Wunden wieder aufzubrechen. Der Balkanstaat, einst eine Provinz Serbiens innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien, hat sich 2008 für unabhängig erklärt, was Belgrad bis heute nicht anerkennt. Zwar wollen inzwischen beide Länder in die EU und besitzen auch offiziell den Kandidatenstatus. Aber Brüssel verlangt, dass sie ihre Konflikte beilegen, sonst könnten keine Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden.
Kriegsverbrechen
Mit dem Wahlsieg des „Kriegsflügels“, zu dem sich die ehemaligen UCK-Kämpfer zusammengeschlossen haben, schwinden jedoch die Aussichten auf eine gütliche Einigung. Die ehemaligen UCK-Kommandeure halten die Erinnerung an eine Zeit wach, in der es zwischen beiden Ethnien zu Grausamkeiten und Kriegsverbrechen kam. Um die albanische Bevölkerung vor den Menschenrechtsverletzungen durch die jugoslawische Armee zu schützen, griff schließlich sogar die Nato in den Konflikt ein. Im Kosovokrieg des Jahres 1999 wurde die jugoslawische Armee, die unter dem Einfluss des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic stand, aus dem Land gedrängt.
Auch heute kommt es immer wieder zu ethnischen Konflikten. Zwar verfügen die zumeist muslimischen Albaner landesweit über eine Bevölkerungsmehrheit von annähernd 80 Prozent. Aber nördlich der geteilten Stadt Mitrovica existiert ein geschlossenes serbisches Siedlungsgebiet. Darüber hinaus leben die zumeist einer christlich-orthodoxen Kirche angehörenden Serben in etlichen Siedlungen, die über das ganze Land verstreut sind.
Um die Ruhe im „Armenhaus Europas“, wie das Balkanland häufig genannt wird, aufrechtzuerhalten, ist dort eine Nato-geführte Friedenstruppe (KFOR) stationiert. Ihr gehört auch ein Kontingent Bundeswehrsoldaten an. Seit die letzten Unruhen abgeflaut sind, ist die KFOR noch mit 4600 Soldaten im Land, darunter 700 Bundeswehr-Angehörige. Sollte der Konflikt erneut eskalieren, müsste das Truppenkontingent wieder aufgestockt werden. Laut Bundestagsmandat könnten bis zu 1350 Soldaten in das Kosovo entsandt werden.
Komplizierte Koalitionsgespräche
Noch ist unklar, ob Europa eine neue Balkankrise droht. Die siegreichen UCK-Führer, unter ihnen Ramush Haradinaj und Fatmir Limaj, würden gerne die mühsam ausgehandelten Kompromisse mit Serbien wieder aufkündigen. Aber der „Kriegsflügel“ hat nicht genügend Mandate, um alleine zu regieren. In der Hauptstadt Pristina dürften zunächst komplizierte Koalitionsgespräche beginnen. Damit ist für die kosovarische Bevölkerung keine rasche Besserung der Lebensverhältnisse in Sicht. Auch die heiß ersehnte Befreiung vom Visumzwang bei Reisen in die EU dürfte auf sich warten lassen. Brüssel hat als Voraussetzung ein hartes Vorgehen gegen Korruption und organisierte Kriminalität verlangt.