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Distanz zwischen Politik und Volk
Meike Schmid
Meike Schmid
 |  aktualisiert: 23.01.2015 11:27 Uhr

Seit Monaten kreist die Berichterstattung über die Stadt Dresden nur noch um ein Thema: Pegida. Woche für Woche marschieren mehrere Tausend Anhänger der islamfeindlichen Bewegung durch Sachsens Hauptstadt – bis vor kurzem anfangs angeführt vom gebürtigen Dresdener Lutz Bachmann. Doch warum ist Pegida gerade in der ehemaligen Residenzstadt so erfolgreich? Der 52-jährige Politikwissenschaftler Dietrich Herrmann lehrt in Dresden und beschäftigt sich intensiv mit dieser Frage.

Frage: Herr Herrmann, wie sehr bestimmen die Demonstrationen den Alltag in der sächsischen Hauptstadt?

Dietrich Herrmann: Es ist überall Thema, manche streiten sich darüber auf der Straße – innerhalb von Familien herrschen oft unterschiedliche Meinungen.

Warum ist die Pegida-Bewegung gerade in Dresden so stark?

Herrmann: Wir erfahren, was die Distanz zwischen Politik und Menschen betrifft, eine Entwicklung, in der Dresden dem Rest des Landes in gewissem Sinne „voraus“ ist.

Wie sieht diese Entwicklung aus?

Herrmann: Es ist ein stetiger Vertrauensverlust in alle Institutionen. In erster Linie trifft das die Politiker, das sieht man an den Mitgliederzahlen der Parteien und dem geringen Anteil an Stammwählern. Aber auch Medien, Kirchen und Verbände sind davon betroffen.

Und warum ist dieser Vertrauensverlust gerade in Dresden so hoch?

Herrmann: Das hat verschiedene Gründe. Der eine liegt vermutlich in der Vergangenheit. Dresden hat eine lange Tradition als Residenzstadt, die Bürger sind seit jeher stärker zum Hof, also nach oben hin orientiert. Man wartet erst einmal ab, was der Hof macht, und kritisiert ihn dann. Das Politikverständnis der Pegida-Anhänger ist im Grunde genommen wie bei einer Firma. Man bestellt etwas, und wenn die Firma nicht liefert, wird darüber geschimpft.

Aber man geht trotzdem immer den Weg über die Firma?

Herrmann: Ja, die Politiker sind nach diesem Verständnis dazu da, die Dinge zu erledigen, die von den Bürgern gewünscht werden. Und wenn sie das nicht tun, bekommen sie einen Protest wie gerade zu sehen. Das ist kein partizipatives Verständnis.

Was hat die Firma Politik nicht geliefert?

Herrmann: Wenn man so ein Politikverständnis hat, muss es ja scheitern. Keine politische Partei kann allen Interessen einer vielfältigen Gesellschaft gleichzeitig gerecht werden. Zumal die Wünsche auch oft gegenläufig sind. Die Pegida-Anhänger haben ein Weltbild, das vom Wunsch nach Harmonie und von der Angst vor Konflikten geprägt ist.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Herrmann: Man will nicht über Konflikte sprechen, die Harmonie nicht auseinanderbrechen lassen. Die Menschen haben sehr wenig Kontakt zu den Politikern, Strukturen des bürgerlichen Engagements sind nur schwach ausgeprägt.

Hätte die Pegida-Bewegung in Dresden verhindert werden können, wenn die Regierung mehr Wert auf einen lebendigen Diskurs gelegt hätte?

Herrmann: Mit Hypothesen sollte man vorsichtig sein. Aber ich denke, dass es notwendig ist, schon frühzeitig zu lernen, wie man mit unterschiedlichen Interessen und Konflikten umgehen kann. Die Frage dabei ist doch: Wie kann man sich beteiligen und demokratisch Entscheidungen treffen? In dieser Hinsicht gibt es in Sachsen noch viel Luft nach oben.

Die Anhänger der Bewegung warnen vor der Islamisierung des Abendlandes, dabei hat Dresden gerade einmal einen Ausländeranteil von 2,4 Prozent.

Herrmann: Ja, sie haben aber die Sorge, der Ausländeranteil könne so wachsen wie in manchen anderen Großstädten. Übergreifend ist freilich die Unzufriedenheit mit der Politik als Ganzes. Die Demonstranten überwiegend mittleren Alters reklamieren für sich Meinungsfreiheit, akzeptieren aber keinen Widerspruch. Vordergründig sind sie nicht ausländerfeindlich, aber sie haben Angst vor der Vielfalt, fürchten sich vor Konflikten und Fremdheit. Dadurch sind sie anfällig für ausländerfeindliche und rassistische Ressentiments.

Hat Pegida vom „Opfermythos“ Dresdens profitiert?

Herrmann: Das hat sie sicher gestärkt. Seit der Zerstörung der Stadt 1945 fühlen sich viele Dresdner irgendwie als „Opfer“. Hinzu kommt die von einigen so wahrgenommene Benachteiligung gegenüber der Hauptstadt Berlin. Und auch viele Fans des Fußballklubs Dynamo Dresden, zu denen alle Pegida-Initiatoren gehören, fühlen sich schon lange als Opfer der „Fußball-Mafia DFB“. Durch viele kleine Puzzleteile kann so bei einigen das Gefühl entstehen, dass die Welt gegen sie steht. Das provoziert den einen oder anderen dann erst recht.

Drehen wir den Spieß einmal um: Worauf sind Sie in Dresden stolz?

Herrmann: Auf den Nachwuchs. Wir haben mittlerweile eine junge engagierte Zivilgesellschaft, die sich vorbildlich für die demokratischen Werte, Vielfalt und Weltoffenheit einsetzt. Die vielen internationalen Forscher, Künstler, Unternehmer ebenso wie ursprünglich als Flüchtlinge gekommene Menschen sind eine enorme Bereicherung für die Stadt.

Wie wird es mit Pegida weitergehen?

Herrmann: Nach dem Rücktritt der charismatischen Führungsfigur Bachmann und den Diskussionen um die Ausrichtung der anderen Pegida-Ableger treten innere Konflikte und Widersprüche auf – das war zu erwarten. Es war nur nicht vorherzusagen, wann dies eintritt. Bislang hatte der Protest vor allem vom Wachstum gelebt und davon, dass die Ziele vage formuliert waren. Die Anhänger stellten einerseits große Forderungen auf, anderseits sind sie aber nicht bereit, sich aktiv in den politischen Prozess einzubringen. Sie wollen keine Partei gründen. Die Politik ist ihnen schlicht zu anstrengend. Bei den Anhängern wird nun vor allem Frust zurückbleiben.

Dietrich Herrmann

Der Politikwissenschaftler Dietrich Herrmann wurde 1962 in Karlsruhe geboren. Nach dem Studium der Geschichte, Amerikanistik und Mathematik promovierte er über die Einwanderungsdebatte in den Vereinigten Staaten. Im Jahr 2000 gründete Hermann die überparteiliche Bürgerinitiative „OB für Dresden“, die sich erfolgreich für den FDP-Politiker Ingolf Roßberg als Oberbürgermeister stark machte. 2002 initiierte Dietrich Herrmann die Aktion „Hilfe für Dresden – Bürger helfen Bürgern“, die damals einen großen Teil der Hochwasserhilfe koordinierte. Der 52-Jährige lehrt Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden.

 
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