Matthias Wissmann (CDU) war unter Kanzler Helmut Kohl Forschungs- und anschließend Verkehrsminister. 2007 folgte der fliegende Wechsel in die Wirtschaft: Seit acht Jahren steht der 66-jährige Jurist aus Ludwigsburg als Präsident an der Spitze des Verbandes der Automobilindustrie. Ein Gespräch über das Elektroauto, fahrerloses Fahren und das Freihandelsabkommen TTIP.
Matthias Wissmann: Ja, ich habe die Freude, für dienstliche Zwecke die neuesten Autos unserer Hersteller zu fahren. Vor kurzem hatte ich einen i3 von BMW, und aktuell nutze ich einen Plug-in-Hybrid von Mercedes. Das ist ein Elektromodell, das zusätzlich noch einen Verbrennungsmotor hat. Ich kann Ihnen versichern: Mit diesen Autos haben Sie zudem den vollen Fahrspaß.
Wissmann: In Großstädten wie Berlin wird das Netz spürbar dichter, das gilt aber leider noch nicht für ganz Deutschland. Derzeit gibt es insgesamt rund 5600 öffentliche Ladepunkte. Damit die Elektromobilität alltagstauglich wird, muss hier schnell aufgestockt werden.
Konkret heißt das: Wir brauchen ein 10 000-Säulen-Programm, das zu 50 Prozent von der Wirtschaft und zu 50 Prozent von der öffentlichen Hand finanziert wird.
Wissmann: Wir gehen auf die 40 000 zu. Die Zuwachszahlen sind gut, sie liegen im Moment bei mehr als 60 Prozent. Aber in Ländern wie Großbritannien wächst der Absatz von Elektrofahrzeugen im bisherigen Jahresverlauf um mehr als 200 Prozent, in China sogar um über 500 Prozent. Allerdings ist die Förderkulisse dort auch eine andere. Das heißt: Wir müssen uns noch mächtig anstrengen.
Wissmann: Bei diesem Modell könnten Unternehmen, die E-Modelle in ihren Flotten einsetzen, im ersten Jahr nach dem Kauf eines Fahrzeuges 50 Prozent der Anschaffungskosten abschreiben. Wir halten das für einen richtigen Ansatz und hoffen nun, dass Bundesregierung und Bundestag rasch den Weg ebnen.
Die Politik hat in den vergangenen fünf Jahren viel in Forschung und Entwicklung der Elektromobilität investiert, alles in allem rund eine Milliarde. Gleichzeitig hat die Industrie etwa 17 Milliarden eingesetzt, und deshalb sind die deutschen Automobilunternehmen inzwischen auch bei der Elektromobilität Weltspitze. Jetzt aber kommt der zweite Schritt: Wir müssen die Fahrzeuge, die wir entwickelt haben, auch in nennenswerter Zahl auf den Markt bringen. Und da kann sich die Politik durchaus noch stärker engagieren. Mit den derzeitigen Zuwachsraten erreichen wir die eine Million an E-Fahrzeugen nicht, die die Bundesregierung sich zum Ziel gesetzt hat.
Wissmann: Nein, die Kanzlerin steht unseren Themen sehr aufgeschlossen gegenüber, denn sie weiß natürlich um die Bedeutung, die unsere Unternehmen für die Wirtschaftskraft Deutschlands haben. Aber sie entscheidet nicht allein, und auch der Wirtschaftsminister entscheidet nicht allein.
Sie brauchen ihre Fraktionen, sie brauchen den Bundesrat – umso wichtiger wäre es deshalb, wenn sie den Ball, den die Länder ihnen mit ihrem Förderkonzept für Elektrofahrzeuge zugespielt haben, nun ins Tor schießen. Das würde den Absatz von Firmenwagen ankurbeln.
Wissmann: Wir vertreten nicht nur die großen Hersteller, wir vertreten auch Hunderte von familiengeführten Betrieben, sehr erfolgreiche Zulieferer und Trailerhersteller. Für sie könnte die Erbschaftssteuerreform zum Problem werden. Sie setzen häufig dreistellige Millionensummen im Jahr um, da kann die Übergabe eines Unternehmens an den Sohn oder die Tochter schnell ins Schleudern geraten, wenn die Freigrenze so eng gezogen ist, wie es im Moment geplant ist. Ich plädiere dafür, sie von 26 auf 100 Millionen Euro anzuheben.
Wissmann: Wir schauen immer auf den Weltmarkt. In Europa läuft es im Moment sehr gut, vor allem in Spanien, in Italien, aber auch in Deutschland. Aber wir sehen auch mit Sorge, dass der russische Markt im ersten Halbjahr um 36 Prozent eingebrochen ist, dass Brasilien Probleme hat und die Dynamik in China nachlässt. In der Premiumklasse haben wir weltweit einen Marktanteil von knapp 80 Prozent. Um diese Spitzenposition zu verteidigen, müssen wir in jeder dieser Regionen kämpfen.
Wissmann: Frau Merkel und Herr Gabriel ringen wirklich um eine gute Lösung, das muss man anerkennen. Allen Kritikern sage ich: Schauen Sie sich die Zahlen an! Wir haben mit 42,6 Millionen so viele Beschäftigte wie noch nie seit der Wiedervereinigung, fast fünf Millionen Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt vom Automobil ab. Diese Situation aber ist nicht gottgegeben, unser Erfolg hängt davon ab, dass andere Länder ihre Märkte öffnen und nicht abschotten.
Ich sehe mit Sorge, dass die Welthandelsorganisation aktuell mehr als 1000 Verstöße gegen die Prinzipien des freien Handels dokumentiert, von Argentinien über Brasilien, Russland und die Türkei bis nach China und Indien, wo die Importzölle teilweise bei 100 Prozent liegen. Wenn diese Entwicklung anhält, wird das Exportland Deutschland irgendwann existenziell gefährdet sein. Deshalb ist TTIP so wichtig. Es stößt Türen für den Freihandel auf anstatt sie zu schließen. Ich finde es befremdlich, dass ausgerechnet in dem Land, das am stärksten vom Export lebt, die Skepsis am tiefsten sitzt.
Wissmann: Sie sagen es. Wir haben schon den Einparkassistenten, den Bremsassistenten oder den Spurhalteassistenten. Spätestens bis zum Jahr 2020 werden wir aber noch ganz andere Formen der Automatisierung erleben. Sie kommen dann an ein Parkhaus, steigen aus und können Ihr Auto mit Ihrem Smartphone einparken. Anschließend holen Sie es mit Ihrem Smartphone wieder ab – es kommt ihnen freifahrend entgegen, während Sie unten am Eingang warten.
Wenn ich zum Flughafen muss, spare ich mir so wertvolle Zeit, weil ich nicht mehr nach einem Parkplatz suchen muss. Im Jahr 2025 etwa werden wir dann auch vollautomatische Fahrten haben – Lkw zum Beispiel, die sich automatisiert auf der Autobahn auf der rechten Spur bewegen.
Wissmann: Diese Übereinkunft wird gerade überarbeitet. In einem ersten Schritt wird der Fahrer von der Fahraufgabe entlastet. Er muss aber, wenn das Fahrzeug ein entsprechendes Signal gibt, jederzeit in der Lage sein, wieder das Steuer zu übernehmen. Das von Ihnen angesprochene fahrerlose Fahren, das heißt, der Fahrer ist in allen Situationen nur noch Passagier, bedarf noch weiterer Maßnahmen bei der Fahrzeugtechnik sowie den Zulassungs- und Verhaltensvorschriften.
Wissmann: Das automatisierte und vernetzte Fahren wird auch die Unfallzahlen reduzieren. Wenn das gelingt und die Schadenshöhe deutlich niedriger wird, werden auch die Versicherungen ihre Tarife anpassen müssen.
Wissmann: Ich fahre begeistert Auto, wenn ich beispielsweise durchs Allgäu nach Süden in den Urlaub fahre. Aber niemand mag es, wenn er im Stau steht. Wenn ich im Stau in Zukunft auf Autopilot umschalten kann, dann würde ich das als großen Fortschritt empfinden. Wenn mir die Automatik auf einer freien Autobahn ins Lenkrad greift, dann fände ich das nicht so toll. Ich glaube, so denken die meisten Leute.
Wissmann: Wir werden solche Möglichkeiten zuerst auf den Autobahnen nutzen. In einer Großstadt wie Berlin mit ihren vielen Fußgängern und Radfahrern, mit Ampeln und Zebrastreifen sind die Herausforderungen für das vollautomatische Fahren ungleich größer. Da brauchen wir sicher noch ein paar Jahre mehr.
Matthias Wissmann
Der Lobbyist und ehemalige CDU-Politiker, geboren am 15. April 1949 in Ludwigsburg, war 1993 Bundesminister für Forschung und Technologie und von 1993 bis 1998 Bundesminister für Verkehr. Seit 2007 ist er Präsident des Verbandes der Automobilindustrie. Im August 2010 positionierte sich Matthias Wissmann als einer von 40 Unterzeichnern des Energiepolitischen Appells, einer Lobbyinitiative der vier großen Stromkonzerne, um die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke voranzubringen. FOTO: dpa