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BERLIN
Die Wende auf dem Weg zur schwarzen Null
Für mehr Gerechtigkeit: Die IG Metall wollte damals mit Veranstaltungen in der Region wie hier in Tauberbischofsheim das Sparpaket der Bundesregierung verhindern.
Foto: Claudia Schuhmann | Für mehr Gerechtigkeit: Die IG Metall wollte damals mit Veranstaltungen in der Region wie hier in Tauberbischofsheim das Sparpaket der Bundesregierung verhindern.
reda
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:50 Uhr

So ernst war die Lage noch nie. 80,2 Milliarden Euro neue Schulden musste der Bund im Haushalt 2010 als Folge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise aufnehmen, so viel wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Während die Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr deutlich stiegen, unter anderem um ein milliardenschweres Konjunkturprogramm zu finanzieren, das die Folgen der schweren Wirtschaftskrise lindern sollte, brachen die Steuereinnahmen ein. „Es sind ernste Zeiten. Es sind schwierige Zeiten. Wir können uns nicht all das, was wir uns wünschen, leisten, wenn wir die Zukunft gestalten wollen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel damals.

Vor fünf Jahren, am 7. Juni 2010, zog die schwarz-gelbe Bundesregierung die Notbremse. Auf einer zweitägigen Kabinettsklausur im Kanzleramt schnürten Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihr Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) das bis dahin größte Sparpaket in der Geschichte Deutschlands. Bis 2014 sollten mehr als 80 Milliarden eingespart werden, um die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einzuhalten. Kanzlerin Angela Merkel sprach hinterher von einem „einmaligen Kraftakt“.

Sozialetat am meisten betroffen

Einzig die Bereiche Bildung und Forschung sowie der Verkehrsetat blieben von der „Aktion Rotstift“ ausgenommen, alle anderen Ressorts mussten dagegen zum Teil kräftig bluten. Am härtesten traf es den Sozialetat, der fast ein Drittel des Einsparvolumens aufbringen sollte. So wurde der Rentenbeitrag für Empfänger von Hartz-IV komplett gestrichen (1,8 Milliarden Euro Einsparung pro Jahr), ebenso das Elterngeld (400 Millionen Euro), Sanktionen wurden deutlich verschärft. Wohngeldempfänger mussten auf den Heizkostenzuschuss verzichten (100 Millionen Euro), andere Pflichtleistungen sollten in Ermessensleistungen umgewandelt werden. Der Wehretat wurde ab 2013 um zwei Milliarden Euro pro Jahr gekürzt, die Truppenstärke sollte um 40 000 Soldaten reduziert und Rüstungsausgaben überprüft werden. Durch den Abbau von Subventionen, Finanzhilfen und Steuervergünstigungen sollten 1,5 Milliarden Euro gespart werden.

Auf der Suche nach Geld

Um ihre Einnahmen zu erhöhen, beschloss die Bundesregierung die Einführung einer Brennelementesteuer, die die Betreiber von Atomkraftwerken zahlen mussten (2,5 Milliarden sowie einer Luftverkehrsabgabe auf jedes verkaufte Flugticket (eine Milliarde). Die Deutsche Bahn wurde verpflichtet, jedes Jahr 500 Millionen Euro an den Bund abzuführen. Und auf europäischer Ebene sollte eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden, damit sich die Banken an den Kosten der Krise beteiligen. Gespart wurde auch an der Verwaltung. Die Zahl der Bundesbeamten wurde um 15 000 verringert, gleichzeitig wurde die geplante Erhöhung des Weihnachtsgeldes für 2011 gestrichen. Die Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke, die Gewerkschaften und die Sozialverbände kritisierten die Beschlüsse und prangerten vor allem die „soziale Schieflage“ an.

Die Beschlüsse, die bis heute zum großen Teil gelten, auch wenn die in Aussicht gestellte Finanztransaktionssteuer in der EU noch immer auf sich warten lässt, verfehlten gleichwohl ihre Wirkung nicht. Beliefen sich die Ausgaben des Bundes im Jahr 2010 noch auf 319,5 Milliarden Euro, sanken sie seitdem kontinuierlich auf 299,1 Milliarden Euro. Im Gegenzug gelang es der Regierung, die Steuereinnahmen erheblich zu steigern. Konnte Finanzminister Wolfgang Schäuble im Jahr 2010 noch Einnahmen von 213,8 Milliarden Euro auf seinem Konto verbuchen, sind es in diesem Jahr fast 64 Milliarden Euro mehr, 277,5 Milliarden. Dies aber ist nicht nur eine Folge des Sparpakets, sondern vor allem ein Ergebnis des Wirtschaftsbooms und des damit verbundenen „Jobwunders“, die nach der Krise einsetzten und bis heute anhalten. So gab es im Jahr 2010 27,7 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im Deutschland, Ende letzten Jahres waren es hingegen 30,6 Millionen, im gleichen Zeitraum stieg die Zahl aller Erwerbstätigen von 40,4 auf 42,8 Millionen. Und musste der Bund der Bundesagentur für Arbeit vor fünf Jahren noch ein zinsloses Darlehen von 20 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, erwirtschaftet sie in diesem Jahr einen Überschuss von 116 Millionen Euro. Auf diese Weise gelang es Wolfgang Schäuble, in nur vier Jahren die Neuverschuldung von 80 Milliarden Euro auf null herunterzufahren. 2014 und damit deutlich schneller als erwartet kam der Bund zum ersten Mal seit 1969 ohne neue Schulden aus, in diesem Jahr ebenso. Welchen Anteil das vor fünf Jahren beschlossene Sparpaket daran hat, lässt sich nicht exakt bestimmen. Und doch sind sich Experten einig: Die zweitägige Klausur im Kanzleramt war ein Wendepunkt auf dem Weg zum ausgeglichenen Haushalt.

 
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