Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, da duldet Katarina Barley nicht den Hauch eines Widerspruchs. Alle – und dazu gehört eben auch ein mutmaßlicher ehemaliger Leibwächter von Top-Terrorist Osama bin Laden. So mädchenhaft-sanft und verbindlich die Bundesjustizministerin von der SPD manchmal wirken mag – im Fall des wohl unrechtmäßig nach Tunesien abgeschobenen islamistischen Gefährders Sami A. vertritt sie jene kompromisslose Haltung, die sie in der noch jungen Bundesregierung längst zum Gegenpol von Innenminister Horst Seehofer (CSU) gemacht hat.
Seehofer, der gelernte Verwaltungsbeamte, bezeichnet sich selbst als „Erfahrungsjuristen“, entscheidet gerne mal nach dem eigenen Rechtsempfinden, manche sagen aus dem Bauch heraus. Katarina Barley dagegen ist promovierte Volljuristin, die vor ihrem Aufstieg in der Politik eine beachtliche Justizkarriere hingelegt hat. Sie kennt das deutsche Rechtssystem aus mehr als einer Perspektive: Unter anderem arbeitete sie als Anwältin in einer Großkanzlei, als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht, als Richterin am Landgericht Trier und am Amtsgericht Wittlich.
Politik spielte für die Tochter eines britischen Redakteurs der Deutschen Welle und einer deutschen Ärztin lange eher eine Nebenrolle. Erst 2013 in den Bundestag eingezogen, wurde sie 2015 SPD-Generalsekretärin. Legendär ist, dass der damalige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel anfangs Probleme mit ihrem Namen hatte, etwas nuschelte, das wie „Karitta“ klang und den Nachnamen falsch betonte.
Doch Barley machte sich schnell ihren Namen in der Politik und stellte klar, dass dieser wie „Harley“ oder „Marley“ ausgesprochen wird. Und zog 2017 ins Kabinett ein. Als Manuela Schwesig Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern wurde, übernahm sie das Bundesfamilienministerium, nach der Bundestagswahl zusätzlich kommissarisch das Arbeits- und Sozialministerium von Andrea Nahles, die an die Spitze von Partei- und Fraktion rückte.
Nachdem die SPD nach großem Zaudern dann doch in eine weitere Große Koalition eingetreten war, galt Barley als Ministerin praktisch gesetzt. Viele hätten sich die Deutsch-Britin gut als Außenministerin vorstellen können. Die begeisterte Europäerin erzählt gern, dass sie von ihrem kleinen Wohnort Schweich im Kreis Trier-Saarburg an einem Tag mit dem Rad vier Länder durchqueren kann – neben Deutschland Luxemburg, Belgien und Frankreich. Und dass ihre beiden Söhne, weil ihr Ex-Mann niederländisch-spanischer Herkunft ist, Omas und Opas aus gleich vier verschiedenen Ländern haben.
Trotz ihres internationalen Hintergrunds – Außenminister wurde dann doch Heiko Maas. Und von ihm übernahm Barley das Justizressort, in dem sie sich von Anfang an zu Hause fühlte. Maas, der eine Vielzahl von Gesetzen produziert und sich dabei medienwirksam in Szene gesetzt hatte, sah sich eher als Partner denn als Gegenspieler des damaligen Innenministers Thomas de Maiziere (CDU), seinen anfänglichen Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung etwa gab er auf. Und gemeinsam mit dem Innenminister verkündete er 2016: Kriminelle ohne deutschen Pass müssten künftig schneller ausgewiesen werden können. Schon damals widersprachen Experten, dies sei in bestimmten Fällen gar nicht möglich, gerade wenn der Person im Zielstaat Folter oder unmenschliche Behandlung drohe. Im Fall Sami A. treten die unterschiedlichen Amtsauffassungen von Maas und Barley nun überdeutlich zutage.
Sami A., der mutmaßliche frühere Leibwächter von El-Kaida-Chef Osama bin Laden, war am vergangenen Freitag in seine Heimat Tunesien abgeschoben worden. Dabei hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen dies am Vorabend untersagt. Allerdings kam die Entscheidung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erst an, als das Flugzeug mit Sami A. schon Richtung Tunis in der Luft war. Das Verwaltungsgericht ordnete an, Sami A. sei nach Deutschland zurückzuholen. Die Abschiebung sei „grob rechtswidrig“ und verletze „grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien“, kritisierte das Gericht.
An ihrer Rückendeckung für die Gelsenkirchener Richter lässt die Justizministerin keinen Zweifel. „Was unabhängige Gerichte entscheiden, muss gelten“, sagt Barley. Die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz sei nicht verhandelbar. Auch von der Abschiebung bedrohte Menschen verfügten über rechtliche Möglichkeiten, stellt sie klar: „Wer Rechtsmittel gegen staatliche Entscheidungen ablehnt, legt damit die Axt an die Wurzel unseres Rechtsstaates.“
Nicht erst seit die Diskussion um Horst Seehofers Masterplan Migration Fahrt aufgenommen hat, sieht Barley ihr Justizministerium als „klassischen Gegenpol“ zum Innenministerium. Der Rechtsstaat eröffne bestimmte Wege, und die zu nutzen sei eben Teil dieses Rechtsstaats. „Es ist problematisch, in diesen Zeiten, in denen der Staat von Rechtspopulisten angefeindet wird, so zu tun, als stehe es bestimmten Menschen nicht zu, gegen einen Verwaltungsakt zu klagen“, sagte sie. Und im umstrittenen Fall Sami A., das macht die Justizministerin klar, will sie keinen Zentimeter von ihrer Position abrücken.