Er war einer der maßgeblichen Macher der Privatisierung in Russland, er war stellvertretender Ministerpräsident in der Regierung von Viktor Tschernomyrdin, Wladimir Putin kennt er aus seinen Petersburger Zeiten. Jetzt warnt Alfred Koch den Westen vor Kompromissen mit seinem früheren Weggefährten Putin. Und er sagt, warum er sich in seinem oberbayerischen Exil nicht sicher fühlen kann.
Alfred Koch: Weil er ein kompromissloser Gegner Putins war. Er enthüllte Bestechungsskandale und Verfassungsbrüche des Kremls. Er kritisierte, dass Russland heimlich Krieg führt in der Ostukraine. Er war gefährlich für die Machthaber im heutigen Russland.
Koch: Das ist Unsinn. Der Kreml hat verhindert, dass er an Wahlen teilnimmt, seit acht Jahren. Man ließ ihn nicht mehr ins Fernsehen. Man überschüttete ihn mit Verleumdungen. Der Mord an ihm war die logische Konsequenz der langjährigen Hasskampagne, der Verfolgung von Seiten der Machthaber.
Koch: Die Ermordung des Ex-KGB-Offiziers Alexander Litwinenko 2006 in London durch radioaktives Polonium beweist, dass sich keiner von Putins Kritikern sicher fühlen kann. Egal, wo er sich befindet.
Koch: Genauso wie gegen andere Oppositionelle setzt der Kreml gegen mich vor allem eine Waffe ein: Er erfindet angebliche Straftaten. So wurde etwa gegen mich, nachdem ich nach Deutschland ausgereist bin, ein Strafverfahren wegen Schmuggels fabriziert. Das ist eine sehr wirksame Methode, um gegen Kritiker zu kämpfen, weil es ihr Ansehen beschädigt. Das Ergebnis: Im Westen begegnet man Oppositionellen, die hier Zuflucht suchen, mit Misstrauen.
Koch: Wir haben zwar gleichzeitig im Rathaus von Sankt Petersburg und in der russischen Regierung gearbeitet, aber in unterschiedlichen Behörden. Aber wir hatten oft miteinander zu tun. Er war sehr freundlich. Bescheiden. Konnte gut zuhören. Er fiel nie durch großen Fleiß auf. Nach 18 Uhr war er selten am Arbeitsplatz. Schon damals kam er oft zu spät. Aber er verstand es, seinen Vorgesetzten zu gefallen.
Koch: Zu einem bestimmten Zeitpunkt begriff ich, dass ich nicht mehr so tun kann, als ob alles in Ordnung sei. Wenn ich weiter zugeschaut und geschwiegen hätte, wäre ich wahrscheinlich verrückt geworden, oder Alkoholiker.
Koch: Wenn wir in einer Epoche leben, in der immer noch sogenannte Einflusszonen bestehen, dann hat der Westen im Fall Ukraine nach Sichtweise des Kreml dessen Einflusszone verletzt. Und deshalb glaubt der Kreml, er habe das Recht zu einer harten Reaktion. Wenn wir aber davon ausgehen, dass jeder international anerkannte Staat das Recht hat, sich selbst seine Bündnispartner und seinen Kurs auszuwählen, dann verhält sich der Kreml anachronistisch, indem er die Ukraine faktisch als seine Kolonie betrachtet.
Koch: Das hängt von der Position der Ukraine und des Westens im Ganzen ab. Wenn die Ukraine auch weiter hart für ihre Souveränität und ihren pro-europäischen Kurs kämpft, und der Westen ihr aktiv hilft, wird Putin zum Rückzug gezwungen sein. Jeder Versuch, einen Kompromiss mit dem Kreml zu finden, wird dort dagegen als Zeichen der Schwäche aufgefasst, und wird damit die Euphorie im Kreml befeuern. Nur eine harte Position der Ukraine und des Westens kann garantieren, dass es der Kreml nicht zu einer Eskalation des Konflikts kommen lässt.
Koch: Solange die Einkünfte aus dem Ölexport ausreichen, um einen gewaltigen Polizeiapparat zu finanzieren, ist das System Putin stabil.
Koch: Mir scheinen sie ausreichend, aber nicht fokussiert. Es wäre richtig, die Sanktionen gezielt auf die russische Agitations-Maschine zu richten. Denn diese grauenhafte Gehirnwäsche ist einer der Stützpfeiler, auf denen sich das System Putin hält.
Koch: Putin setzt riesige Ressourcen ein, um die öffentliche Meinung in Deutschland zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Foto: Koch
Alfred Koch
Der 54-jährige Alfred Reingoldowitsch Koch wurde 1997 unter dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin Vize-Regierungschef und Leiter der Privatisierungsbehörde in Russland. Inzwischen ist er einer der bekanntesten Kreml-Kritiker. Weil er in seiner Heimat politisch verfolgt wird, lebt der promovierte Wirtschaftswissenschaftler heute im Chiemgau in Oberbayern. Sein Vater war Deutscher. Text: AZ