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BRÜSSEL
Die trotzige Beichte der Schuldensünder
EU Mediterranean leaders meeting in Athens       -  Klub der roten Zahlen: Italiens Premier Matteo Renzi, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras (von links) haben auch für das kommende Haushaltsjahr wenig Erfreuliches an die Brüsseler Aufsicht zur Einhaltung der EU-Schuldenregeln zu vermelden.
Foto: Simela Pantzartzi, dpa | Klub der roten Zahlen: Italiens Premier Matteo Renzi, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras (von links) haben auch für das kommende Haushaltsjahr wenig ...
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 26.10.2016 03:30 Uhr

Es war der Tag der Wahrheit für die 28 EU-Mitgliedstaaten: Bis zum gestrigen Abend mussten die Finanzminister ihre Entwürfe für den Etat 2017 in Brüssel bei Währungskommissar Pierre Moscovici einreichen. Die Prozedur, in der Hoch-Zeit der Staatsschuldenkrise zur Disziplinierung der Regierungen ersonnen, ist so etwas wie ein öffentlicher Offenbarungseid.

Der erste Überblick zeigt: Auf der Schuldensünder-Bank der Union sitzen die bekannten Sorgenkinder. Frankreich, Portugal, Spanien, Griechenland, Rumänien, Italien und Kroatien werden auch im nächsten Jahr die Defizit-Grenze reißen, die üblicherweise bei drei Prozent liegt. Tatsächlich aber gibt Brüssel schon seit Einführung der Haushaltskontrolle die Höchstgrenze für jede Hauptstadt einzeln vor – und die kann schon einmal deutlich niedriger ausfallen. Italien beispielsweise reißt im kommenden Jahr bereits mit 2,3 Prozent Neuverschuldung die Stabilitätsvorgaben.

Premier Matteo Renzi, der innenpolitisch wegen eines Referendums im Dezember massiv unter Druck steht, bombardiert Öffentlichkeit und EU-Kommission schon seit Wochen mit Twitter-Nachrichten, in denen er Brüssels Vorgaben als „fragwürdig formuliert“, „bürokratisch“ und „theoretisch“ abtut. Erreichen wollte er vor allem eines: Rom drängt wegen des Flüchtlingsansturms und der Bewältigung der Erdbebenfolgen auf größeren Ausgabenspielraum. Der Regierungschef möchte seinen Landsleuten zeigen, dass er sich in Brüssel durchsetzen kann.

Frankreichs Finanzminister Michel Sapin wählte einen anderen Weg und schickte satte 78 Seiten nach Brüssel, deren umfangreichen ersten Teil er dazu nutzte, die „wirtschaftspolitische Strategie“ seines Landes zu erläutern, die „Gesundung der Staatsfinanzen“ zu versprechen und von „entschlossenem Handeln zur Stärkung sozialer Gerechtigkeit und Inklusion“ zu sprechen. Was nur wenig an den Zahlen ändert: Paris reißt zum neunten Mal hintereinander die gesetzten Stabilitätshürden – mit einem Defizit von 2,7 Prozent nach 3,3 Prozent in diesem Jahr – so der Plan.

Stammgast auf der Sünderbank ist übrigens Griechenland, das nun seit 21 Jahren keinen ausgeglichenen Etat vorweisen kann. In Brüssel läuft das Land aber ohnehin außer Konkurrenz, weil es vom Tropf der Euro-Familie abhängig ist. Athens Defizit liegt bei über sieben Prozent, die öffentliche Verschuldung beträgt 175 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Der Druck dieser Haushaltskontrolle habe sich bewährt, heißt es in Brüssel. Zumindest in dem Viertel, in dem die EU seinen Sitz hat. Nur ein paar Häuserblocks weiter bangt Belgiens Premierminister Charles Michel an diesem Dienstag um seine politische Zukunft. Wochenlang hatte der Liberale sich bemüht, einen EU-konformen Etat mit seiner Fünfer-Koalition zusammenzuschreiben. Etliche Sozialleistungen fielen dabei dem Rotstift zum Opfer. Massendemonstrationen waren die Folge. Ob Michel heute eine Vertrauensabstimmung im Parlament übersteht, ist offen.

Dagegen kann Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ruhig dem Urteil der Kommission entgegensehen. Keine Neuverschuldung – das ist natürlich ein Musterwert. Dennoch wird es einen Rüffel geben. Denn die geplanten 33,7 Milliarden Euro an Investitionen sind den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission zu wenig.

Und dass Schäuble aus dieser Position des Klassenprimus die Kommission auch noch attackiert, weil sie keine Strafzahlungen für die beiden hoch verschuldeten Länder Spanien und Portugal verhängt hat, hat dem deutschen Kassenwart wenig Sympathien beigebracht. Mehr noch: Schäubles Vorstoß, die nationalen Zahlen künftig vom ESM-Hilfsfonds der Union in Luxemburg bewerten zulassen, weil die Juncker-Kommission „politisch“ bewerte und dabei „die strikten Regeln zurückstellt“, sorgte für viel Verärgerung.

Bereits am kommenden Donnerstag und Freitag werden die nationalen Etatentwürfe beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs zur Sprache kommen.

 
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