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Die Trostlosigkeit von Stuttgart 21
Eröffnung der Baugrube: Im Jahr achtzehn nach Planungsbeginn fehlt es dem Tiefbahnhofsprojekt an so ziemlich allem, was ein von Bürgern mit Freude und Lust erwartetes Bauwerk bräuchte – Finanzierbarkeit, technischer Zuverlässigkeit, Vertrauen in den Bauherrn.
Projekt zwischen viel Pathos und noch mehr Pannen: Blick auf die Großbaustelle von Stuttgart 21 am Hauptbahnhof der baden-württembergischen Landeshauptstadt.
Foto: Sebastian Kahnert, dpa | Projekt zwischen viel Pathos und noch mehr Pannen: Blick auf die Großbaustelle von Stuttgart 21 am Hauptbahnhof der baden-württembergischen Landeshauptstadt.
Gabriele Renz
 |  aktualisiert: 22.12.2015 14:54 Uhr

An feierlichen Momenten gebrach es diesem Projekt nie. Auch nicht an Pathos. Und an offiziellen Terminen, die sich ihren Weg ins Geschichtsbuch bahnen sollten. Die Berichterstatter, die die Anfänge von Stuttgart 21 erlebt haben, berichten den Nachgeborenen von jenen Ereignissen wie der Opa vom Krieg: Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) verkündete den Coup im Jahr 1994 vor dem etwas abgewetzten Gobelin im Landtag von Baden-Württemberg. An seiner Seite: Bahn-Chef Heinz Dürr. Fünf Jahre später legte er dem hadernden Bahn-Chef Johannes Ludewig Geld aus der Landeskasse als Zuckerl hin. Daraufhin stellte sich die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens in etwas strahlenderem Licht dar.

Regierungschef Günther Oettinger zementierte in der Villa Reitzenstein das Ja zum Tiefbahnhof, legte abermals Geld drauf und malte auf einer Werbeveranstaltung in der Landesbank Baden-Württemberg die Magistrale Paris-Budapest in den schillerndsten Farben. Kurz vor seinem Wechsel nach Brüssel, Anfang 2009, setzte sich Oettinger noch einen Bauhelm auf den Kopf und half, den Prellbock Nummer 49 symbolisch zu verschieben. „Lügenpack“-Rufe durchdrangen da längst die Bahnhofshalle. Inzwischen war Rüdiger Grube Bahnchef. Trotz aller demonstrativen guten Laune war es eine Feier in Moll.

Bei Ministerpräsident Stefan Mappus kippte das ehedem Monumentale des Projektes längst ins Fragwürdige. Mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seinem Verkehrsminister Winfried Hermann ist endgültig kein Spektakel rund um den Bahnhof mehr zu organisieren.

Im Jahr achtzehn nach Planungsbeginn und viereinhalb Jahre nach dem offiziellen Baubeginn gebricht es dem Tiefbahnhofsprojekt Stuttgart 21 an so ziemlich allem, was ein von der Bürgern mit Freude und Lust erwartetes Bauwerk, und sei es noch so teuer, bräuchte: Finanzierbarkeit, technischer Zuverlässigkeit, Vertrauen in den Bauherrn. Nicht einmal die über Jahrzehnte stabil in die Höhe gehaltene Freude über den Landgewinn inmitten der zugebauten Landeshauptstadt mag sich mehr einstellen. Zu zahlreich waren die Pannen, zu widerlegt viele Behauptungen, zu durchsichtig die Mär vom „Kostendeckel“. Dass zur Eröffnung der Baugrube am Dienstag, die immerhin den eigentlichen Baubeginn darstellt, nicht einmal ein Blümlein um die Baggerschaufel gebunden wurde, dass keine Promis geladen waren und die Veranstaltung eher der Beerdigung eines Konzernmagnaten glich, dessen Angehörige um Bestattung im engsten Familienkreis gebeten haben – alle dies passt zur Trostlosigkeit, die das Bahnprojekt inzwischen umgibt.

In den Räumen des „Kommunikationsbüros Stuttgart 21“ sind die Jalousien heruntergelassen, trübes Licht drängt hinein. Projektsprecher Wolfgang Dietrich hat mehrere Herren mitgebracht, es ist keiner der sattsam bekannten Akteure darunter wie Bahnchef Rüdiger Grube oder sein Technikvorstand Volker Kefer.

Der feierliche Beginn des Baugrubenbaus gleicht einer Arbeitssitzung über die „angelaufenen Hauptbaumaßnahmen“. Es geht sehr ins Detail. Otmar Bögel, Projektleiter bei Züblin, referiert geschlagene 40 Minuten über die Planung, lässt für den zentralen Bauabschnitt 16 die Monatsskalierung an die Wand projizieren: Bis September 2014 die Gründungspfähle, bis Januar 2015 die Bodenplatte, bis Sommer die Kelchfüße, bis Herbst der Randkelch, dann der Mittelkelch. Von 2016 bis 2018 ruht der Bau, damit Spannungen entfleuchen können. Dann wird wieder gebaut. Die dazu gehörige Grafik baut sich auf wie im Computerspiel Minecraft: Hier der „Baugrubenlängsverbau“, dort der „Medienkanal“, da die „Ankerlagen“.

Matthias Walter-Schmidt von der DB Projekt Stuttgart-Ulm referiert mit leiser Stimme, dass 20 Prozent der ausgehobenen 20 Millionen Tonnen Erdmassen nach Thüringen und mehr als 50 Prozent nach Baden-Württemberg gehen. „Stolz“ sei er, dass schon bis zu 13 Züge am Tag den Aushub abtransportieren, den Rest übernehmen „Schüttgut-Lkw“. Als ein Journalist fragt, ob sie noch immer öffentlichen Straßenraum benutzen, obwohl die Ausnahmegenehmigung nur ein Jahr lang bestand, antwortet Dietrich schmallippig: „Die Bahn hält alle Vorgaben der Planfeststellung ein.“

Wie es um den zugesagten Schallschutz für die Anwohner steht (lesen Sie dazu auch unten stehenden Beitrag), beantwortet der Projektsprecher so: „Das kann ich nicht sagen.“ Sagen kann er auch nicht, ob die Bahn ab September die beantragten sechs Millionen Kubikmeter Grundwasser umleiten darf oder ob der Terminplan steht. Dietrich ahnt, dass das wieder mehr Misstrauen sät als Vertrauen schafft. Nüchtern geht das „Pressegespräch“ zur Baugrubeneröffnung zu Ende. Die Protestierenden sind längst zur Baustelle weitergezogen. Vor der Türe buddelt sich ein Minibagger in die Erde, als müsste er den Medienvertretern zeigen, wie so etwas aussieht.

Wichtige Etappen bei Stuttgart 21

2. April 2009: Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und Bahn-Vorstand Stefan Garber unterzeichnen die Finanzierungsvereinbarung für Stuttgart 21 (S21). 2. Februar 2010: Die Bauarbeiten beginnen, begleitet von Protesten. 30. September 2010, sogenannter Schwarzer Donnerstag: Projektgegner versuchen vergeblich, die Fällung von Bäumen im Schlossgarten zu verhindern. Die Polizei geht mit Wasserwerfern gegen sie vor. Mehr als 100 Demonstranten werden verletzt, einige schwer. Auch Dutzende Polizisten erleiden Verletzungen. 9. Oktober 2010: An einer Demonstration gegen Stuttgart 21 und den Polizeieinsatz am Schwarzen Donnerstag nehmen laut Polizei 65 000, laut Veranstaltern bis zu 100 000 Menschen teil. 22. Oktober bis 27. November 2010: In acht Runden Schlichtung streiten sich Befürworter und Gegner von S21 über den Tiefbahnhof. 30. November 2010: Der Schlichter, Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, spricht sich für den Weiterbau aus, verlangt aber Nachbesserungen. 27. November 2011: Eine Volksabstimmung endet mit der Niederlage der S21-Gegner: 58,8 Prozent stimmen gegen einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung des Bahnprojekts – und damit für Stuttgart 21. 19. Dezember 2013: Erneut befasst sich ein Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags mit dem Polizeieinsatz vom Schwarzen Donnerstag. Er soll klären, ob der damalige CDU-Regierungschef Stefan Mappus als Scharfmacher fungierte. 24. Juni 2014: Start des Wasserwerfer-Prozesses: Zwei Polizeiführern wird vorgeworfen, nicht eingeschritten zu sein, als die Wasserwerfer immer wieder direkt auf Demonstranten feuerten. 10. Juli 2014: Offizieller Beginn der Arbeiten am Fildertunnel. Er soll Stuttgart 21 an die Neubaustrecke nach Ulm anbinden. 5. August 2014: Baustart für das Herzstück des Projekts, den eigentlichen Tiefbahnhof, der laut Bahn Ende 2021 in Betrieb gehen soll. Text: dpa

 
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