Als David Cameron am Freitagnachmittag vor seine Haustür in Downing Street 10 trat, um vor der Presse seine Triumphrede zu halten, wirkte das Vereinigte Königreich noch von den Ereignissen der zurückliegenden Stunden wie benommen. Zu viel war zu schnell passiert.
Eine absolute Mehrheit für die konservativen Tories und ein eindrucksvoll im Amt bestätigter britischer Premierminister namens David Cameron. Meinungsforscher hatten monatelang eine der spannendsten Parlamentswahlen der Geschichte des Vereinigten Königreichs prophezeit, ein Kopf-an-Kopf-Rennen, an dessen Ende eine Pattsituation warten würde. Die sozialdemokratische Labour-Partei unter dem Oppositionsführer Ed Miliband hätte in diesem Szenario fast dieselbe Anzahl von Unterhaussitzen gewonnen wie die Tories. Es kam anders.
„Dies ist der süßeste Sieg von allen“, sagte David Cameron am Freitagmorgen. Die Konservativen haben vor allem von der Wirtschaftspolitik der vergangenen fünf Jahre profitiert. Das Königreich verzeichne das schnellste Wachstum in Europa, war eines seiner schlagendsten Argumente. Das kam bei vielen Briten an.
Den meisten ginge es zu gut, als dass sie eine Veränderung wünschten, erklärt Patrick Dunleavy, Professor an der renommierten London School of Economics (LSE). „Viele Wähler schreckten vor einem Wandel zurück.“ Die Angst vor einer ungewissen Zukunft mit einer regierenden Labour-Partei, der immer wieder die wirtschaftliche Kompetenz abgesprochen wurde, hat sich offenbar auf den Wahlzettel übertragen. Trotz Cameron als Spitzenkandidaten, der für viele Briten das Establishment verkörpert wie kaum ein anderer. Es ist das erste Mal seit 1992, dass die Konservativen wieder eine absolute Mehrheit erreichen konnten.
Während David Cameron mit seiner Frau der im Buckingham-Palast wartenden Königin Elizabeth II. die Aufwartung machte, um die Monarchin um ihre offizielle Zustimmung zur Regierungsbildung zu bitten, trat Ed Miliband als Konsequenz aus der vernichtenden Pleite gestern als Vorsitzender der Sozialdemokraten zurück. Er übernahm die Verantwortung, bevor er die enttäuschte Menge ermunterte: „Wir sind früher schon zurückgekommen, und diese Partei wird wieder zurückkommen.“
Nick Clegg, Ex-Chef der Liberaldemokraten und Ex-Vizepremier in der bisherigen Regierung, gab sein Amt nach den „vernichtenden“ Wahlergebnissen ebenfalls auf.
Für eine weitere Überraschung sorgte die Schlappe der rechtspopulistischen Unabhängigkeitspartei Ukip. Noch am späten Vormittag stand Parteichef Nigel Farage neben den Mitstreitern in seinem Wahlkreis South Thanet aufgereiht und wartete sichtlich nervös auf die Ergebnisse der Auszählung. Nach der Verkündung seiner Niederlage wirkte er, als wolle er nur noch weg. Als sei er plötzlich fehl am Platz. Kurz darauf trat Farage, der unentwegt gegen die EU-Einwanderung wettert, wie im Vorfeld angekündigt zurück.
Während der Star der EU-Hasser von der politischen Bühne erst einmal verschwunden ist, leuchtete im Norden ein neuer auf. Die 20-jährige Studentin Mhairi Black schaffte in Schottland die Sensation, indem sie ausgerechnet einem angesehenen Polit-Schwergewicht das Direktmandat abknöpfte. Douglas Alexander, Wahlkampfmanager der Labour-Partei musste sich in einem Glasgower Wahlkreis der jungen Frau der Schottischen Nationalpartei (SNP) geschlagen geben. Von einem Schock der politischen Klasse zu reden, wäre eine Untertreibung. Black, die das jüngste Parlamentsmitglied im Westminster-Palast seit 1667 ist, stand in britischen Medien exemplarisch für den Erdrutschsieg der SNP. „Heute Nacht wird ein Löwe brüllen, ein schottischer Löwe, und er wird mit einer Stimme brüllen, die keine Regierung ignorieren kann“, sagte der ehemalige SNP-Chef Alex Salmond, das Gesicht der schottischen Unabhängigkeitsbewegung.