
Feldlager im Hafen Barcelonas. Mehr als 100 Mannschaftswagen der spanischen Nationalpolizei und der paramilitärischen Guardia Civil parken vor mehreren Kreuzfahrtschiffen, die an der Mole liegen. Die Ozeanriesen, die normalerweise Urlauber übers Mittelmeer transportieren, dienen derzeit als schwimmende Kasernen. Hier schlafen viele der rund 10 000 Polizisten, die von der spanischen Regierung zur Verstärkung in die rebellische spanische Region Katalonien geschickt wurden. Das Polizistenheer soll dafür sorgen, dass ein einseitiges Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober nicht stattfinden kann.
Dabei dürften die Beamten am Wahlsonntag, wenn sie ausschwärmen, um Wahllokale zu schließen, auf heftige Proteste stoßen: Zehntausende freiwillige Wahlhelfer der separatistischen Bürgerplattform Assemblea Nacional Catalana (ANC), der Katalanischen Nationalversammlung, wollen sich den Beamten entgegenstellen und die Wahlurnen verteidigen: „Mit friedlichem Widerstand, null Gewalt und maximaler Kühnheit“, wie es in einem ANC-Aufruf heißt.
Die Bevölkerung ist in der Frage der Unabhängigkeit gespalten
An Tausenden Balkonen und Fenstern in der Regionalhauptstadt Barcelona hängen die rot-gelben katalanischen Flaggen, oft noch mit dem Stern der Unabhängigkeitsbewegung verziert. Daneben wehen Tücher, auf denen in einem großen weißen Kreis das eindeutige schwarzgedruckte Wort „Sí“ prangt. An unzähligen Hausfassaden, Bushaltestellen und Laternenpfählen kleben Flugblätter mit dem Text „Votem per ser lliures“ (Wir wählen, um frei zu sein) oder „Democracia“ (Demokratie). Klare Botschaften für die Unabhängigkeit.
Die Gegner der Abspaltung sind derweil kaum sichtbar: Aus Angst vor Repressalien trauen sich nur wenige, eine spanische Fahne aus dem Fenster zu hängen. Obwohl den Umfragen zufolge die Bevölkerung in der Frage der Unabhängigkeit gespalten ist.
Bisher war es vor allem eine Propagandaschlacht, die sich beide Seiten lieferten. Doch die polizeiliche Aufrüstung und steigende Spannungen auf den Straßen lassen die Sorge wachsen, dass es am Wahlsonntag auch zu Krawallen kommen könnte. Es wird befürchtet, dass militante Gruppen aus ganz Spanien und dem Ausland nach Barcelona unterwegs sein könnten.
Die Volksabstimmung war im September vom katalanischen Parlament in Barcelona beschlossen, aber vom spanischen Verfassungsgericht auf Antrag der Zentralregierung in Madrid suspendiert worden. Eine Abspaltung vom Königreich Spanien ist in der „Constitución“, dem spanischen Grundgesetz, nicht vorgesehen. Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy kündigte an, mit der Härte des Gesetzes zu reagieren: „Ich werde alles Notwendige unternehmen, um dieses Referendum zu verhindern.“
Doch die Vorbereitungen laufen auch kurz vor dem Abstimmungstag weiter: Mitten im Stadtzentrum Barcelonas, der Regionalhauptstadt Kataloniens, verteilen seit Tagen junge Unabhängigkeitsaktivisten weiße Wahlzettel, auf denen in Katalanisch und Spanisch die Abstimmungsfrage steht: „Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird?“ Darunter zwei Kästchen, die angekreuzt werden können. Sí oder No.
„Ich werde mit Ja stimmen, weil es hier um die Zukunft unserer Kinder geht“, sagt ein älterer, grauhaariger Herr mit Jackett. Spanien habe Katalonien, das schon länger um mehr Autonomie bitte, nur mit Absagen und Verboten geantwortet. „Jetzt reicht es. Wir glauben, dass es uns mit einem eigenen Staat besser gehen wird.“ Der Rentner, der gleich vier Wahlzettel „für die Familie“ mitnimmt, passt überhaupt nicht in das Bild eines Radikalen, so wie es Ministerpräsident Rajoy von den Separatisten zeichnet: „Katalonien“, behauptet Rajoy, „ist in der Hand von Extremisten.“
Der Wille, am Sonntag abzustimmen, ist ganz offenbar groß in der Bevölkerung: In einer Schlange warten die Menschen brav, um jenen Stimmzettel zu bekommen, den es offiziell nicht geben darf. Woher die Papiere stammen? Einer der Aktivisten, auf dessen T-Shirt in großen Lettern das Wort Independencia“ (Unabhängigkeit) steht, grinst nur und zuckt mit den Schultern. Auch im Internet kursieren diese Stimmdokumente – zum Ausdrucken am Heimcomputer.
Die Abstimmungsbefürworter haben auf dem Gelände der Universität Barcelonas, nicht weit vom bekannten Treffpunkt Plaça de Catalunya und der Flaniermeile La Rambla entfernt, einen Infostand aufgebaut. Plakate mit der Aufschrift „Sí a la república“ (Ja zur Republik) dekorieren ihren Tisch. Mit einem kleinen Karton auf dem „Caixa de resistencia“ (Widerstandskasse) steht, wird um Spenden gebeten. Obwohl die Polizei jegliche Wahlkampagne unterbinden soll, tauchten die Sicherheitskräfte hier nicht auf.
Spitzenbeamte kamen vorübergehend in Gewahrsam
Andernorts ist die Polizei aktiver: Etliche Druckereien wurden in Katalonien durchsucht; mehr als 100 Internetseiten, die für das Referendum warben, wurden blockiert. 14 katalanische Spitzenbeamte der Regionalregierung, die das illegale Plebiszit vorbereitet haben sollen, kamen vorübergehend in Gewahrsam und müssen demnächst mit Anklage rechnen. Auch gegen den katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont sind Ermittlungen wegen Rechtsbeugung und Ungehorsam im Gange.
„Die Temperatur steigt“, warnte Spaniens Justizminister Rafael Catalá angesichts der brodelnden Stimmung in Katalonien, die auch vor den Kirchen nicht haltmacht. Rund 400 katholische Pfarrer der Region unterstützten in einem offenen Brief das Unabhängigkeitsreferendum und baten die spanische Regierung, „dass das legitime Streben des katalanischen Volkes erhört werde“.