Schon viele haben sich daran versucht, Franz Josef Strauß nachzuahmen. Kabarettnummern über das CSU-Urgestein versprechen oft sichere Lacher. Den Menschen und Politiker Strauß im Film darzustellen, wagten bisher wenige. Wie das heikle Unterfangen gelingen kann, zeigt Schauspieler Francis Fulton-Smith (48). Für „Die Spiegel-Affäre“ studierte der Münchner mit britischem Pass Mengen von Bildmaterial über den späteren bayerischen Ministerpräsidenten – und legte 20 Kilo Körpergewicht zu. Der Film zeigt Strauß als Hauptdarsteller in einem privaten Machtkampf, dessen Auswirkungen die deutsche Geschichte veränderten.
Als am Abend des 26. Oktober 1962 Polizisten das Redaktionsgebäude des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ in Hamburg besetzen, löst dies eine Welle der Empörung aus. Die „Spiegel-Affäre“ geht in die Geschichtsbücher ein als Symbol für die Emanzipation der Rechtsstaatlichkeit in der noch jungen Bundesrepublik. Erstmals gehen Bürger auf die Straße im Kampf gegen eine sich übernehmende Staatsmacht und für die Pressefreiheit. Die Gesichter dieses Kampfes sind Rudolf Augstein, Journalist und Verleger des„Spiegel“, und Franz Josef Strauß, Verteidigungsminister.
Die Stimmung ändert sich rasch
Fulton-Smith, der den meisten Menschen wohl eher als „Doktor Kleist“ aus der gleichnamigen Vorabendserie bekannt sein dürfte, gelingt die Gratwanderung, die Figur des bayerischen Monumentalpolitikers für sich einzunehmen, ohne ihn als Karikatur erscheinen zu lassen. „Diesen Menschen erstmals fiktional so zu spielen, dass seine Beweggründe und Ängste für uns heute nachvollziehbar werden, war für mich die größte Herausforderung meines bisherigen kreativen Schaffens“, sagt Fulton-Smith.
Als Strauß 1956 sein Amt als Verteidigungsminister in der Bonner Regierung antritt, kommt er mit seinem energischen Auftreten gut an. Auch „Der Spiegel“ zollt ihm Respekt: Eine private Gesprächsrunde in Augsteins Haus beginnt freundlich; der charismatische Bayer weiß die „Spiegel“-Redakteure mit seiner Sprachgewalt und seinem Intellekt zu beeindrucken. Mit Stimmkraft und ungewohnter Körperfülle verleiht Fulton-Smith dem politischen Schwergewicht Strauß auch physisch Wucht. Doch rasch ändert sich die Stimmung. Dass Strauß mit harten Bandagen für seine Ziele kämpft und Deutschland mit Atomwaffen ausrüsten will, lehnt der liberale Hanseate Augstein strikt ab. Für den Publizisten – den der Hamburger Theaterschauspieler Sebastian Rudolph als Wandelnden zwischen Selbstsicherheit und Zweifel spielt – entwickelt sich der ehrgeizige Politiker immer mehr zum Feindbild.
Der Staat demonstriert seine Macht
„Strauß ist gefährlich, und wir müssen mit allen Mitteln verhindern, dass dieser Mann Kanzler wird“, gibt Augstein seinen Redakteuren im verrauchten Konferenzzimmer als Parole aus. Das Nachrichtenmagazin schießt sich auf den CSU-Politiker ein. Auf der einen Seite steht Augstein als Lebemann im gut geschnittenen Anzug, der eine Affäre hat – auf der anderen Strauß als bodenständiger, gleichwohl weltmännisch auftretender Familienvater. Eines haben beide Männer gemeinsam: Sie sind von ihren politischen Ansichten überzeugt und verfolgen ihre Ziele mit allen Mitteln.
Das Duell gipfelt 1962. Die Titelgeschichte „Bedingt abwehrbereit“, die letztlich zum Vorwurf des Landesverrats führt, ist ein wohl recherchierter, doch äußert trockener Artikel des „Spiegel“-Journalisten Conrad Ahlers. „So spannend wie das Telefonbuch von Bad Tölz“, urteilt Fulton-Smith alias Strauß. Doch der in Würzburg lehrende Staatsrechtler Friedrich August von der Heydte, ein Brigadegeneral der Reserve, erstattet gegen die „Spiegel“-Redaktion Anzeige wegen Landesverrats bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe – und stößt damit die Affäre an. Strauß wittert seine Chance und veranlasst, den Verfasser des Artikels, Ahlers, in dessen Urlaub in Spanien festzunehmen. Rudolf Augstein stellt sich zwei Tage später und wird in Untersuchungshaft genommen. Der Staat demonstriert seine Macht.
Doch weder Strauß noch der Rest der Bundesregierung unter Kanzler Konrad Adenauer haben mit der heftigen Reaktion der Öffentlichkeit gerechnet. „,Spiegel‘ tot, die Freiheit tot“, skandieren Studenten. Berufsverbände und Medien protestieren gegen die Methoden des Staates. „In einer beispiellosen Aktion haben Sicherheitsorgane der Bundesrepublik die Redaktion des Nachrichtenmagazins ,Der Spiegel‘ besetzt und führende Mitarbeiter verhaftet“, ist in Zeitungen zu lesen. Auch international gibt es Kritik. „Der Verdacht, dass hier versucht werden soll, eine Stimme der Opposition zum Schweigen zu bringen, wird durch die Methoden verstärkt, die von der deutschen Polizei seit Freitag angewandt werden“, schreibt die britische „The Times“.
Ein Weckruf für demokratisches Bewusstsein
Die Proteste zeigen Wirkung: Strauß muss sich im Bundestag der Opposition erklären. Auf Drängen Adenauers tritt er schließlich als Verteidigungsminister zurück. Augstein, der nach 103 Tagen U-Haft im Februar 1963 entlassen wird, geht als Gewinner aus der Affäre hervor. Die Auflage des „Spiegel“ verdoppelt sich, die Pressefreiheit in Deutschland ist symbolisch gestärkt. „Ich weiß nicht, wie diese Affäre ausgegangen wäre, hätte sich die Öffentlichkeit nicht eingemischt“, sagte der damalige „Spiegel“-Chefredakteur Claus Jacobi, der 1962 ebenfalls verhaftet worden war, 50 Jahre später in einem Interview.
Wie ist es in Deutschland und Europa heute um die Pressefreiheit bestellt? Dass man sich diese Frage durchaus kritisch stellen muss, zeigt der Jahresbericht, den die Organisation Freedom House zum Internationalen Tag der Pressefreiheit an diesem Samstag, 3. Mai, veröffentlicht hat. Demnach befindet sich die Pressefreiheit weltweit auf dem schlechtesten Stand seit mehr als zehn Jahren. Auch Europa verzeichnet Rückschritte, die sich etwa am Vorgehen gegen die Londoner Zeitung „Guardian“ festmachen lassen: Dort zerstörte die britische Polizei im vergangenen Jahr Computer-Festplatten mit angeblich geheimen Inhalten. In Deutschland war die „Spiegel-Affäre“ vor 50 Jahren ein Weckruf für das demokratische Bewusstsein. Es gilt, dieses auch heute wach zu halten.
„Die Spiegel-Affäre“ zeigt die ARD am Mittwoch, 7. Mai, um 20.15 Uhr.