
Eine neue „Magdeburger Plattform“ soll die SPD-Linke schlagkräftiger machen. In der Stadt in Sachsen-Anhalt wird Parteichef Sigmar Gabriel gewarnt, nicht eigenmächtig Beschlüsse zu kassieren. Aber so ganz grün sind die SPD-Linken sich untereinander auch nicht.
Andrea Nahles ist auch da. Die einflussreiche Bundesarbeitsministerin redet aber nur hinter verschlossener Tür. Bloß nicht noch mehr Unruhe verursachen. Dass sie für ein paar Stunden den Weg nach Magdeburg auf sich nimmt, ist ein Signal auch an SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er soll nicht amüsiert gewesen sein über dieses Treffen von 250 Parteilinken in einer früheren Motoren- und Patronenfabrik. Hat er doch mühsam um Geschlossenheit gekämpft. Doch die bröckelt.
Die Ausrufung einer „Magdeburger Plattform“ ist auch Ausdruck einer wachsenden Nervosität in der SPD – gerade mit Blick auf die Umfragewerte und den Kurs des Parteivorsitzenden. Gegenüber liegt eine Fabrik mit Namen „Sigma“, was einige zu Kalauern hinreißt, der Vorsitzende wache von dort über die rebellischen Linken.
Zusammengefasst lässt sich die Gemütslage in Magdeburg so umreißen: Gabriel sei nervös, weil die Partei in Umfragen weiter nur bei 25 Prozent liegt. Er wolle die SPD mit einer diffusen, konzeptlosen Mitte-Politik nach rechts rücken. Ein Redner meint, er fände es „unerträglich“, wie der Wirtschaftsminister Gabriel Konjunkturprobleme leugne. Von „Defizitsenkungswahn“ ist die Rede. Hier dominieren die Lehren des Ökonomen John Maynard Keynes, viele halten ein großes Konjunkturpaket für notwendig.
Die SPD-Linke will ja gar keinen Kurswechsel, viele sehen etwa den ab 2015 greifenden Mindestlohn als ihren Erfolg. Aber sie wollen nicht, dass Gabriel „hektische und unsouveräne Versuche“ unternimmt, die Programmatik der SPD zu verschieben. Auch mahnen sie ihn, nicht gegen die SPD-Beschlusslage das Ziel einer Art Millionärssteuer zu kassieren und grünes Licht zu geben für Investitionsschutzklauseln bei geplanten Freihandelsabkommen.
Für Kanzler Gerhard Schröder galt etwa bei der Agenda 2010: „Erst das Land, dann die Partei.“ Gabriel steckt als Vizekanzler auch in diesem Entscheidungsdilemma. Zum Thema Schutzklauseln bei Handelsabkommen meinte er, man bewege sich in einem europäischen Umfeld: „Da ist es ein bisschen schwierig zu erklären, am sozialdemokratischen deutschen Wesen soll die Welt genesen.“
Einige SPD-Linke sind sauer, dass er Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) bisher auflaufen lässt bei ihrem Versuch, das Ziel von 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2020 zu retten. Gabriel will trotz Überkapazitäten nicht zwangsweise alte klimaschädliche Braunkohlekraftwerke vom Netz nehmen.
Außer Nahles sind zwei von sechs Vizes Gabriels (Ralf Stegner und Thorsten Schäfer-Gümbel) in Magdeburg sowie Juso-Chefin Johanna Uekermann – 70 000 Mitglieder gehören dem Jugendverband an. „Das Herz der SPD schlägt links“, verkündet Stegner im Magdeburg. Über den Einfluss der Linken lässt sich streiten – aber die geplante neue Schlagkraft ist auch mit Blick auf 2017 interessant.
Stichwort Rot-Rot-Grün. Gabriel hält das derzeit für illusorisch, überschwänglich fiel er Wolf Biermann um den Hals, als dieser die Linken jüngst im Bundestag als „elenden Rest“ der DDR abwatschte. CDU-Generalsekretär Peter Tauber fordert von Gabriel nun, dem „irrlichternden“ Stegner Einhalt zu gebieten. Hört sich so an, als sei auch die Union nervös wegen der linken Neuaufstellung.
Einmal im Jahr will sich die neue Plattform künftig treffen, zudem soll es einen bundesweiten Koordinierungskreis geben. Gabriel hält es mehr mit dem konservativen Seeheimer Kreis und den progressiven Netzwerkern. Letztere sahen sich zum Amüsement der SPD-Linken bemüßigt, per Pressemitteilung vor Spaltungstendenzen zu warnen. „Eine Profilierung auf Kosten anderer mit rückwärtsgewandten Thesen darf nicht stattfinden“, meinte die Sprecherin Eva Högl.
Aber was im Vorfeld als kleine Rebellion gegen Gabriel begann, wird auch zum internen Klärungsprozess. Drei linke „Clubs“ gibt es, der Chefin der DL21, Hilde Mattheis, wird ein „Fundi-Kurs“ vorgeworfen. Nahles und andere kehrten der DL21 den Rücken, weil sie den Mindestlohn-Kompromiss der Großen Koalition im Bund mit einem faulen Apfel verglich. Toll scheint Mattheis die Plattform nicht zu finden, ihr Einfluss schwindet. Zur Führung durch Vize Stegner, Juso-Chefin Uekermann und Vorstand Carsten Sieling sagte sie in Magdeburg nur: „Irgendwer muss ja den Saal bestellen.“ Das hört sich nicht sehr nach neuer Harmonie und Geschlossenheit an.