Sehen so zwei Powerfrauen aus, die sich gerade ziemlich heftig in die Haare geraten sind? SPD-Chefin Andrea Nahles und ihre Stellvertreterin, die bayerische Landesvorsitzende Natascha Kohnen, lachen viel an diesem strahlend schönen Donnerstagmorgen in München. Sie umarmen sich sogar. „Hallooo Natascha, schön dich zu sehen“, sagt Nahles, als sie am Landtag aus dem Auto steigt. Ihr erster Scherz gilt den vielen Wahlplakaten Kohnens entlang der Straßen. „Du hängst ja hier überall“, sagt Nahles und witzelt: „Allerdings bist du zum Glück froh und munter, obwohl du hängst.“ Kohnen setzt ihr charmantestes Lächeln auf, begleitet Nahles ins Maximilianeum und zeigt ihr erst mal den Blick über die Stadt.
Die SPD-Chefin mag München. Sie mag das Oktoberfest. Die CSU und insbesondere ihren Chef, Innenminister Horst Seehofer, zu dem ihr ansonsten ein ganz passables persönliches Verhältnis nachgesagt wird, mag sie zur Zeit nicht. Ganz und gar nicht.
Und dann auch das noch. Ausgerechnet einen Tag vor dem lange geplanten Treffen der SPD-Fraktionsspitzen im Bundestag und im Bayerischen Landtag ist Kohnen ihrer Parteivorsitzenden mächtig in die Parade gefahren. Es geht um den Fall des wegbeförderten Hans-Georg Maaßen. Sie sei „nicht einverstanden mit der Entscheidung von Andreas Nahles“ in der Causa Maaßen, hatte Kohnen wissen lassen. Die SPD könne nicht sagen, dass Maaßen als Chef des Verfassungsschutzes nicht mehr tragbar sei, dann aber zustimmen, dass er im Innenministerium als Staatssekretär noch mehr Verantwortung übernehme. „Das ist nicht akzeptabel“, sagt Kohnen.
Ein Brief an Nahles kam noch hinterher. Darin fordern Kohnen und ihre Stellvertreterin Johanna Uekermann, dass die Sozialdemokraten im Kabinett Merkel der Personalentscheidung Seehofers nicht zustimmen sollen. Alle – in München wie in Berlin – wissen, was das heißt. Kohnen und Uekermann hätten ihren Genossinnen und Genossen in der Bundesregierung auch schreiben können: Entweder Ihr setzt Euch durch in der Causa Maaßen oder Ihr lasst die Koalition mit Merkel und Seehofer platzen.
Trotzdem lächeln Nahles und Kohnen. Es ist der Versuch von Normalität und gespielter Harmonie. Auch am Mittag bei einer Pressekonferenz, bei der es eigentlich um die Themen des SPD-Treffens, um Förderung des Wohnungsbaus und Gebührenfreiheit für Kindertagesstätten gehen soll. Als wäre es das Normalste der Welt, sagt Kohnen: „Es gibt bei uns unterschiedliche Einschätzungen und unterschiedliche Haltungen.“ Nahles kommt ihr entgegen: „Dass ich die Kritik und das Unverständnis über diese Entscheidung nachvollziehen kann, möchte ich hier auch mal betonen.“
Nahles ist erkennbar in der Defensive. Aber sie verteidigt sich. Sie halte die Entscheidung Seehofers, Maaßen zum Staatssekretär zu befördern, für einen Fehler. Sie habe aber dennoch zugestimmt, weil es eine Entscheidung in seinem Verantwortungsbereich gewesen sei und sie in einer zugespitzten Situation eine „Abwägung“ habe treffen müssen. „Ich hätte klar was machen können, natürlich“, sagt Nahles, aber Seehofer habe Bedingungen gestellt und „er hat das verknüpft mit der offenen Koalitionsfrage, die im Raum stand“. Nach ihrer Darstellung war es der CSU-Chef, der als Erster „entweder oder“ gesagt hat.
in der Defensive
Nahles mag sich verteidigen, nur es hilft ihr wenig. Die Causa Maaßen wächst sich zur bedrohlichen Krise für sie aus, zur größten in ihren fünf Monaten als SPD-Chefin. Sie habe sich von Seehofer austricksen, sich regelrecht über den Tisch ziehen lassen, lautet die einhellige Kritik. Der Landtagsabgeordnete Herbert Woerlein aus Stadtbergen bei Augsburg fordern ihren Rücktritt.
Dabei fühlte sich Nahles, berichten Vertraute, noch als Siegerin, als sie am spätsommerlichen Dienstagabend das Kanzleramt verließ. Vielleicht auch, weil sie sich am Wochenende zuvor extrem weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Getrieben vom Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, der die Causa Maaßen zu einem Symbol im Kampf gegen Rechts und damit zu einer Frage der Haltung der SPD stilisiert hatte, stellte sie der Union eine Art Ultimatum. Der Geheimdienstchef müsse wegen seiner unbelegten Mutmaßungen über die rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz gehen. Und er werde gehen, versprach sie.
Doch ebenso kategorisch hatte Seehofer angekündigt, er werde seinen Vertrauten Maaßen nicht fallenlassen. Dass der CSU-Vorsitzende so kurz vor der Landtagswahl in Bayern einen peinlichen Rückzieher machen würde, schien ausgeschlossen. Eher hätte Seehofer die Koalition platzen lassen. Nahles dagegen war nicht bereit, nicht wegen einer Personalie, nicht wegen des „Präsidenten einer nachgeordneten Behörde“, wie es die Kanzlerin ausgedrückt hatte.
Um dennoch ihr Versprechen zu halten, dass der Geheimdienstchef abgelöst wird, musste sie gleich zwei dicke Kröten schlucken: Maaßen wird nicht entlassen, sondern nach oben wegbefördert, zum Staatssekretär im Innenministerium. Samt Gehaltserhöhung um 2580 Euro im Monat. Und für ihn musste ausgerechnet der hoch angesehene Staatssekretär Gunther Adler von der SPD seinen Posten räumen – der Mann, der mit dem Riesenthema Wohnen und Bauen beauftragt ist.
Nahles? Strategie war es, diese allein als Personalangelegenheiten des Innenministers darzustellen. Diese Sprachregelung gab sie an die Bundestagsabgeordneten aus. Doch große Teile ihrer Partei sehen die Sache anders. Nahles? Intimfeind Sigmar Gabriel etwa nennt den Maaßen-Kompromiss „irre“. Juso-Chef Kühnert stellt die Große Koalition infrage. Auch der linke Parteiflügel fordert lauter denn je den Ausstieg aus dem ungeliebten Regierungsbündnis mit CDU und CSU. Und dann auch noch Kohnens Aufruf, gegen die Maaßen-Entscheidung zu stimmen: Das kommt offener Rebellion gleich.
Bayern-SPD hinkt hinterher
Natürlich kommt auch das nicht von ungefähr. Die bayerische SPD dümpelt in den Umfragen hinter den Grünen bei elf Prozent, gleichauf mit der AfD. Kohnen droht als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl ein Debakel. Im Bund sehen die Umfragen nicht viel besser aus. Anfang des Monats hat eine Umfrage die Parteizentrale aufgeschreckt, wonach die SPD auf 16 Prozent abgerutscht ist – noch einmal vier Prozent weniger als bei der desaströsen Bundestagswahl vor einem Jahr.
Und dann ist da so vieles, was bei der SPD wieder hochkommt: der Konflikt über die ungeliebte Große Koalition, die Martin Schulz als damaliger Parteichef zunächst kategorisch ausgeschlossen hatte, der erbitterte Streit an der Basis, dann die Mitgliederbefragung, bei der sich nur 66 Prozent der Basis für ein neuerliches Bündnis mit der Union aussprachen. Die tiefen Gräben in der Partei, zeigt sich jetzt, reißen wieder auf, das mühsam aufgebaute Vertrauen ist binnen Tagen zerstört. Der Neuanfang, für den Nahles stehen sollte, droht ausgerechnet jetzt zu scheitern.
Mäßigende Stimmen sind selten. Und besonders schmerzhaft für Nahles ist es auch, wenn manche zunächst einmal gar nichts sagen. So wie ihr Vertrauter Olaf Scholz, der Finanzminister. Lange schwieg der Vizekanzler, dann äußerte er Verständnis für alle, die über Seehofers Personalie den Kopf schütteln. Entscheidungen, die Nahles mitgetroffen und mitgetragen hat. Die SPD-Chefin, so hat es Seehofer am Mittwoch ausdrücklich betont, wusste Bescheid, dass der Kompromiss den Aufstieg Maaßens und die Entlassung des SPD-Baustaatssekretärs bedeutet.
Seither herrscht im Willy-Brandt-Haus wieder einmal Krisenstimmung, auch wenn Nahles Meldungen dementierte, es gebe bereits eine Austrittswelle empörter Parteimitglieder. Nahles muss sich am Montag zunächst im Parteivorstand und dann in einer Sondersitzung der Fraktion rechtfertigen. Schafft sie es nicht zu überzeugen, könnten ihre Tage an der SPD-Spitze gezählt sein. Dabei hatte sie zumindest zeitweise durchaus die Hoffnung verbreiten können, dass die SPD die Talsohle bald durchschritten habe. Im Koalitionsgeschacher hatte die Partei viel herausgeholt. Im Regierungsprogramm steckt viel sozialdemokratische Politik, am Kabinettstisch sitzen sechs Genossen. Und deren fachliche Arbeit wird überwiegend positiv wahrgenommen.
Im Umfragetief
fDoch in den Umfragen kommt die Partei nicht vom Fleck. Meinungsforscher Manfred Güllner, Chef des Forsa-Instituts sieht dafür hauptsächlich folgenden Grund. „Das Regierungsunwilligkeitsgen sitzt tief in der Partei und im Moment bricht es wieder kräftig durch. Natürlich ist es einfacher, in der Opposition zu sitzen, Papiere zu schreiben und seinen Idealismus zu betonen.“ Güllner, selbst seit Jahrzehnten SPD-Mitglied, sagt, man könne sich selbstverständlich darüber ärgern, „wenn Horst Seehofer Maaßen befördert und einen SPD-Staatssekretär entlässt“. Doch wegen einer solchen vergleichsweise nachrangigen Personalie gleich wieder die ganze Regierung und damit die vom Wähler so dringend gewünschte Stabilität im Land infrage zu stellen, ergebe ein verheerendes Bild. Nur mit einer Strategie habe die SPD die Chance, ihre Krise zu überwinden: „Vernünftig regieren, die echten Probleme der Menschen lösen, in Sachen Wohnungsnot, beim Verkehr und in der Infrastruktur, in der Bildung.“ Das werde vom Wähler dann auch honoriert.