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Die SPD am Tiefpunkt
Analyse: Die Genossen machen CSU-Chef Horst Seehofer für ihre Wahlschlappe mitverantwortlich und fordern dessen Rücktritt. Warum es aber auch für die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles bald eng werden könnte.
Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 02.04.2019 12:42 Uhr

Das rote Lastenfahrrad wirkt am Morgen nach der bayerischen Landtagswahl wie ein Sinnbild für den fast unglaublichen Niedergang der SPD. Mit platten Reifen steht es vergessen in einem kleinen Lagerraum im Berliner Willy-Brandt-Haus, der Bundeszentrale der Partei, versteckt unter Pappkartons und Plakatständern. Auf der Ladebordwand prangt noch das bärtige Konterfei von Martin Schulz, „Zeit für Martin“ steht auf dem Aufkleber. Auch ein Refugees-Welcome-Sticker und der Spruch „Deutschland heißt Willkommen“ zieren das Transportrad.

Offenbar hat es einmal als originelles Wahlkampfvehikel gedient, nun wirkt es wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Zeiten, in denen Euphorie und Aufbruchstimmung herrschten bei der SPD. Als Martin Schulz mit hundert Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, als viele, heute kaum mehr vorstellbar, ihm ernsthaft zutrauten, Bundeskanzler zu werden. Und das Rad erinnert an Zeiten, als der Zustrom von Flüchtlingen in der SPD-Führung mit einem Maß an Euphorie begrüßt wurde, das nicht alle Wähler teilten – und manche in die Arme der AfD trieb.

Von der Begeisterung und der Hoffnungsfreude, die noch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres bei der ältesten Partei Deutschlands geherrscht haben, sind nicht einmal kleinste Reste geblieben. SPD-Chefin Andrea Nahles, Nachfolgerin des am Ende krachend gescheiterten Martin Schulz, wirkt schmallippig und angegriffen, als sie die Niederlage vom Vorabend kommentiert. Sie dankt knapp der bayerischen Spitzenkandidatin Natascha Kohnen und ruft die Partei zur Geschlossenheit auf: „Als SPD stehen wir zusammen, auch nach so einer Niederlage.“ Und sie räumt ein, dass die Bundespolitik mitverantwortlich sei für die Niederlage. „Das schlechte Bild der Bundesregierung hat auch dazu beigetragen, dass wir nicht durchgedrungen sind mit unseren Themen“, sagt sie. In der Großen Koalition müsse sich der „Stil der Zusammenarbeit ändern“.

Viele in der SPD machen vor allem das ungeliebte Bündnis mit der Union für den Absturz ihrer Partei verantwortlich, der nun in Bayern einen weiteren Tiefpunkt erreicht hat. Auf ein einstelliges Wahlergebnis abgerutscht, nicht einmal die bescheidene Hoffnung der Partei, dass doch im Endergebnis die Zehn vor dem Komma stehen möge, erfüllte sich. 9,7 Prozent, das bedeutet das bundesweit schlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl. Im Vergleich zur letzten Landtagswahl 2013 hat sich das Ergebnis halbiert. Die SPD ist nur noch fünftstärkste politische Kraft in Bayern. Hinter CSU, Grünen, Freien Wählern und AfD.

Nun ist Bayern für die SPD seit Jahrzehnten kein einfaches Pflaster. Doch auch bundesweit sind die Sozialdemokraten in der Wählergunst auf Werte gefallen, die noch deutlich unter dem Bundestagswahlergebnis von 2017 liegen, mit 20,5 Prozent war es das schlechteste in der Geschichte der Partei. Bei der Landtagswahl in Hessen droht schon die nächste Niederlage.

Dass SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel anstelle von CDU-Amtsinhaber Volker Bouffier Ministerpräsident wird, scheint ausgeschlossen. Am Ende könnte es für die SPD zum Juniorpartner in einer Großen Koalition reichen. Keine guten Aussichten, zumal die GroKo in Berlin für wachsende Teile der SPD rotes Tuch und Wurzel allen Übels ist. Parteilinke wie Hilde Matheis oder Juso-Chef Kevin Kühnert reden nach dem Bayern-Debakel umso lauter vom Ausstieg. Das Grummeln der GroKo-Skeptiker wird lauter und lauter.

Nahles, erste Frau an der Spitze der Partei und als Hoffnungsträgerin gestartet, sieht im Moment keinen Grund, den Fortbestand des Bündnisses infrage zu stellen. Rote Linien gegenüber CDU und CSU zu ziehen, davon halte sie nichts. Und auch die Forderung nach einem Rücktritt von CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer will sie sich nicht zu eigen machen.

Derartige Personalentscheidungen seien Sache der CSU. Für viele in der SPD ist Horst Seehofer durch seine unnachgiebige Haltung in der Flüchtlingspolitik aber der Hauptschuldige für das schlechte Bild, dass die Große Koalition und damit auch die SPD abgibt.

So sagte Leni Breymaier, baden-württembergische SPD-Landesvorsitzende, gegenüber dieser Redaktion: „Horst Seehofer muss jetzt endlich zurücktreten. Er macht die gute Regierungsarbeit mit seinem Lautsprechertum kaputt.“ Seehofers „Hardliner-Positionen“ hätten sich noch nicht einmal für die CSU ausgezahlt. Für die SPD sei die Niederlage umso bitterer, die Partei müsse sich nun noch intensiver an die strukturelle und inhaltliche Erneuerung machen. Einen unmittelbaren Anlass, die Große Koalition mit der Union zu verlassen, sieht auch sie nicht. „Die SPD hat in der GroKo vieles durchgesetzt. Aber wir müssen uns jetzt fragen, wie wir darüber hinaus weitere sozialdemokratische Ziele umsetzen können.“ Auch von einer Personaldebatte rät sie ab: „Es bringt uns nicht vorwärts, jedes Vierteljahr die Parteispitze auszuwechseln.“

Die Schonfrist für Andrea Nahles, so heißt es in der Partei, dauert bis zur Hessen-Wahl. Schneidet die SPD auch in knapp zwei Wochen schlecht ab, könnte es eng werden für die Vorsitzende. Nach Meinung vieler Genossen hat sie zuletzt zu oft ein schwaches Bild abgegeben – etwa in der Affäre Maaßen. Dass sie den Kompromiss mittrug, den wegen seiner Aussagen zu den Ausschreitungen von Chemnitz umstrittenen Geheimdienstchef zunächst zu befördern, hat große Teile der Basis entsetzt.

Das Ansehen der SPD habe massiv gelitten, obwohl die SPD-Minister gleichzeitig gute Arbeit ablieferten, klagen hochrangige Genossen. Und mit sozialdemokratisch geprägten Vorhaben wie der Rentenreform habe die SPD auch deshalb kaum punkten können. Der Bundestagsvizepräsident und frühere SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte dieser Redaktion: „Das miserable Erscheinungsbild der Großen Koalition hat dazu geführt, dass viele Menschen in Bayern den Volksparteien ihre Stimme nicht mehr gegeben haben.“

Folgende Ursachen nennt Oppermann für den schlechten Eindruck, den die Regierung hinterlasse: Der Richtungsstreit innerhalb der Union werde als Schwäche der Regierung insgesamt wahrgenommen und schade auch der SPD. „Für mich ist Horst Seehofer als Krawallmacher im Innenministerium eine absolute Fehlbesetzung“, fordert auch Oppermann indirekt dessen Rücktritt. Die gute Arbeit der SPD-Minister werde in der Öffentlichkeit kaum beachtet. Zudem hätten die AfD und die CSU mit Horst Seehofer in der Flüchtlingsfrage „extrem polarisiert und damit alle anderen Themen verdrängt“.

Profitiert hätten davon die Grünen, die sich als fortschrittliche bürgerliche Partei präsentiert hätten. Oppermann glaubt aber auch, „dass die SPD verloren gegangenes Vertrauen nur über gute inhaltliche Arbeit und klare Haltung zurückgewinnen kann“. Der Bundestagsvize weiter: „Die SPD muss die Partei für Arbeitnehmer und ihre Familien sein. Hohe Löhne, gerechte Verteilung, soziale Sicherheit und gute Bildung – das müssen die Kernthemen der SPD sein.“

 
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