Er sieht aus wie der nette Nachbar, den man über den Heckenzaun grüßt. Und sein Kampf gegen so manches überflüssige Kilo Hüftspeck macht ihn noch sympathischer. Bis es Anfang Mai so weit war, schien vielen unvorstellbar, dass dieser harmlose Monsieur Hollande Staatschef von Frankreich werden könnte – in einem Land, in dem jeder Sportvereinsvorsitzende ehrfurchtsvoll mit „Herr Präsident“ angeredet wird, gleicht das einem Gral, den nur außergewöhnliche Menschen erreichen.
François Hollande aber hatte im Wahlkampf aus seiner „Normalität“ ein Markenzeichen gemacht, um sich von Nicolas Sarkozy abzuheben, dem überkandidelten „Bling-Bling-Präsidenten“. Die Rechnung ging auf, trotz der Debatten um seine mangelnde „präsidiale Statur“. Zuvor wählten die Franzosen stets Charismatiker an die Spitze des Staates, die die große Geste beherrschten und die eine Aura des Unberührbaren umgab. Der Rechtsprofessor Maurice Duverger nennt den Präsidenten einen „republikanischen Monarchen“. Seine in Europa einzigartige Machtfülle macht ihn de facto zum Herrscher über Frankreich. Sie geht einher mit juristischer Immunität – manchmal über das Mandat hinaus.
Ermittlungen gegen Sarkozy
Nicht umsonst hat Hollande vorbildliches Verhalten als absolute Neuheit versprochen; alle seine Vorgänger haben ihre Skandale und Affären, abgesehen von Charles de Gaulle, dem Gründer der Fünften Republik, der sogar seinen Elektrizitätsverbrauch im Élysée selbst zahlte. Doch seine Nachfolger leisteten sich so manche Ausrutscher.
So entgingen Jacques Chiracs außereheliche Abenteuer weder der Öffentlichkeit noch seiner Frau Bernadette. „Ich blieb aber immer der Fixpunkt“, erklärte sie in einem Interview-Buch. „Woher soll ich denn wissen, wo mein Mann seine Nächte verbringt?“, erwiderte sie auf die Frage, warum dieser in der Nacht, als Lady Diana tödlich in Paris verunglückte, nicht erreichbar war. Als ebenso legendär gilt Giscard d'Estaings Zusammenstoß mit einem Milchlaster im September 1974 – in „galanter Begleitung“, die nicht seine Frau war, wie die Presse schrieb. Am Steuer eines vom Regisseur Roger Vadim geliehenen Ferrari hatte er einen Milchlaster gerammt. Auch seinen Roman „Die Prinzessin und der Präsident“, in dem er sich eine Romanze mit Prinzessin Diana andichtet, verzieh man ihm.
Auch dass François Mitterrand auf Kosten des Steuerzahlers neben seiner offiziellen Familie eine zweite unterhielt, gilt heute als Kavaliersdelikt – im Wortsinn. Seine Geliebte Anne Pingeot und ihre Tochter Mazarine wurden jahrelang von der Polizei bewacht. Um seine diversen Affären zu verschleiern, ließ er durch eine „Anti-Terror-Einheit“ Tausende Menschen abhören. Sieben seiner ehemaligen Mitarbeiter wurden verurteilt; nicht aber Mitterrand, laut Gericht „Inspirator und Entscheider des Wesentlichen“. Ein Ex-Präsident vor Gericht? Dies galt als unvorstellbar – bis Chirac Ende 2011 wegen Veruntreuung öffentlicher Mittel zwei Jahre Haft auf Bewährung erhielt. Die Vorwürfe reichten in seine Zeit als Bürgermeister von Paris zurück, längst erregte Chirac mehr Mitleid als Empörung.
Doch heute will sich die Justiz nicht Komplizenschaft mit den Mächtigen vorwerfen lassen. Auch gegen Sarkozy laufen Ermittlungen wegen des Verdachts, seinen Wahlkampf 2007 mit illegalen Spenden der L'Oréal-Erbin Liliane Bettencourt finanziert zu haben. Umso sorgfältiger pflegt Hollande sein Saubermann-Image. In die Bredouille brachte ihn jüngst aber ausgerechnet seine Lebensgefährtin Valérie Trierweiler mit ihrer Unterstützungsnachricht vor den Parlamentswahlen im Internetnetzwerk Twitter an den Rivalen von Ségolene Royal, Hollandes Ex-Partnerin. Ein Mann, der nicht einmal seine Freundin im Griff hat, soll Frankreich lenken?, fragten Spötter. Doch das Skandälchen zeigte, dass eben auch der nette Monsieur Hollande seine privaten Kämpfe auszufechten hat. Was schließlich irgendwie normal ist.