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„Die Politik gewinnt an Einfluss“
Angelika Becker
Angelika Becker-Völker
 |  aktualisiert: 04.03.2015 16:17 Uhr

Er sagt im Hinblick auf TTIP, das geplante Handelsabkommen zwischen EU und USA: „Wir müssen schauen, ob der alte Maßstab des Wachstums noch hinreichend ist.“ Mit Bernd Lange (SPD), dem Vorsitzenden des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, sprachen wir unter anderem über die Rolle von Politik und Bürgern bei den Verhandlungen.

Frage: Verstehen Sie die Angst, das Handelsabkommen (TTIP) stärke die Macht der Wirtschaft und schwäche die Demokratie?

Bernd Lange: Zum Teil. Es gibt keine Garantie, dass das Handelsabkommen gut oder schlecht wird. Es wird ausgehandelt und dabei gilt es klarzumachen, was es gut oder schlecht macht. Zum Beispiel darf es keine außergerichtlichen Schiedsstellen geben.

Diese Schiedsstellen sind ein großer Kritikpunkt und Sie halten sie für vollkommen unnötig…

Lange: EU und USA sind ausgewiesene Rechtssysteme, wo Unternehmen ihre Rechte einklagen können. Mir sind auch beispielsweise gar keine konkreten Fälle bekannt, in denen deutsche Unternehmen in den USA benachteiligt waren. Auch gibt es bisher kein Abkommen zwischen Deutschland und den USA in dieser Hinsicht. Und auch im Handelsabkommen zwischen den USA und Australien kommen Schiedsstellen nicht vor.

Bisher liefen die Verhandlungen geheim. Das beunruhigt Demokraten. Übersetzt auf kommunale Verhältnisse wird das wichtige Abkommen nur zwischen Verwaltungen besprochen. Welchen Einfluss hat die Politik überhaupt?

Lange: Zum einen hatten wir Einfluss auf das von den Mitgliedstaaten erteilte Mandat für die Verhandlungen und die Verhandlungsleitlinien. Zum anderen haben wir dafür gekämpft, dass diese veröffentlicht wurden, was im Oktober auch geschehen ist.

Anderthalb Jahre nach Beginn der Verhandlungen…

Lange: Das ist ein Skandal. Aber wir Politiker hatten immer wieder Einblick in Dokumente, gaben der verhandelnden Europäischen Kommission Input. Demnächst ziehen wir eine Zwischenbilanz. Im Mai gibt es eine Resolution im EU-Parlament. Wir werden dann sehen, was die Verhandlungen bisher gebracht haben und Forderungen formulieren.

Welche Forderungen?

Lange: Es kommt für uns beispielsweise nicht in Frage, dass soziale Dienstleistungen in das Abkommen aufgenommen werden. Demokratische Entscheidungen dürfen nicht unterlaufen werden. Es darf keine außergerichtlichen Schiedsstellen geben. Arbeitnehmerrechte müssen gestärkt werden.

Welches Gewicht hat denn die Politik in der Sache?

Lange: Das Abkommen braucht eine Mehrheit im EU-Parlament. Und nach der ACTA-Schlappe (Das EU-Parlament lehnte 2012 mit dem Abkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie erstmals ein internationales Handelsabkommen ab, d. Red.) haben wir schon Gewicht. Außerdem gehe ich davon aus, dass TTIP ein gemischtes Abkommen werden wird, das heißt, die nationalen Parlamente müssen zustimmen.

Die USA gewähren EU-Regierungsbeamten sehr knappe Einsicht in TTIP-Dokumente. Warum lässt sich die Kommission das bieten?

Lange: Diese eingeschränkte Einsicht in Leseräumen finde ich auch unsäglich. Aber über den Zugang zu Verhandlungsdokumenten entscheiden beide Seiten für sich. Es gibt EU-Dokumente und Verhandlungsdokumente der Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung: Alle müssen möglichst veröffentlicht werden.

Sie waren DGB-Funktionär. Da haben Sie bei TTIP sicher die Sozial- und Umweltstandards im Blick.

Lange: Wenn wir sagen, wir wollen bessere Handelsbedingungen, dann sind hohe Standards bei Arbeitnehmerrechten und Umweltschutz wichtig. Gerade in den Südstaaten der USA sind die kollektiven Arbeitnehmerrechte nicht hinreichend respektiert. Gewerkschafter dort hoffen darauf, dass ein Handelsabkommen die Standards in den USA verbessern kann. Und das ist für mich der entscheidende Punkt.

Das Abkommen zwischen EU und USA soll den größten Wirtschaftsraum der Erde schaffen und Wachstum ankurbeln. Ist das im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung überhaupt noch sinnvoll?

Lange: Wir müssen schauen, ob der alte Maßstab des Wachstums noch hinreichend ist, oder ob nicht die Nachhaltigkeitsindikatoren (1992 im Rahmen der Weltumweltkonferenz in Rio entwickelt, d. Red.) sinnvoller sind. Aber da sind andere politische Mittel notwendig.

TTIP soll den Arbeitsmarkt in der EU und den USA stärken. Nach Studien leiden allerdings Einkommen und Arbeitsmärkte in den übrigen Staaten und der innereuropäische Export.

Lange: Man muss sehr darauf achten, dass Privilegien in dem Handelsraum Drittstaaten nicht benachteiligen. Beim innereuropäischen Export wird es Verschiebungen geben. Ich wage allerdings nicht zu sagen, wer verliert und wer gewinnt. Meine Vermutung: Industrieorientierte Bereiche werden Gewinner sein. Der Agrarbereich wird unter Wettbewerbsdruck geraten.

Ist das nicht bedenklich?

Lange: Das kommt darauf an. Bisher exportiert die EU mehr Agrargüter in die USA als andersherum. Da gibt es natürlich Ausgleichsinteressen. Wir sollten uns aber grundsätzlich fragen, wie wir unsere Lebensmittel herstellen, ob eine starke Exportorientierung überhaupt sinnvoll ist.

Wären nicht einzelne überschaubare und leichter öffentlich diskutierbare Abkommen sinnvoller?

Lange: Ein solches Abkommen braucht politischen Druck. Da hat ein Paket größere Chancen, als wenn nur ein Sektor verhandelt würde. Aber insgesamt gebe ich Ihnen recht. Im Laufe der Zeit wurde die Agenda schon deutlich abgespeckt.

Was will die neue EU-Kommission anders machen?

Lange: Transparenz und Dialog sind deutlich gestiegen. Ich habe das Gefühl, Cecilia Malmström, die TTIP-Verhandlungsführerin für Europa, hat immerhin schon die Seekarte ausgebreitet, nur der Kurs ist noch nicht ganz klar. Aber die Politik gewinnt an Einfluss.

Das ist doch ein Erfolg TTIP-kritischer Bürger...

Lange: Ich finde es klasse, dass offen über Handelspolitik diskutiert wird. Das stärkt die Bestrebungen des EU-Parlaments.

Bernd Lange

Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange (Jahrgang 1955) aus Niedersachsen ist Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-Parlaments. Als junger Mann hat er evangelische Theologie und Politikwissenschaft studiert. Er war und ist vielfältig engagiert als Gewerkschafter, in sozialen, kirchlichen und wirtschaftspolitischen Gremien. Seine Schwerpunkte im EU-Parlament sind Industrie-, Energie und Handelspolitik. FOTO: SPD

 
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