Er sagt im Hinblick auf TTIP, das geplante Handelsabkommen zwischen EU und USA: „Wir müssen schauen, ob der alte Maßstab des Wachstums noch hinreichend ist.“ Mit Bernd Lange (SPD), dem Vorsitzenden des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, sprachen wir unter anderem über die Rolle von Politik und Bürgern bei den Verhandlungen.
Bernd Lange: Zum Teil. Es gibt keine Garantie, dass das Handelsabkommen gut oder schlecht wird. Es wird ausgehandelt und dabei gilt es klarzumachen, was es gut oder schlecht macht. Zum Beispiel darf es keine außergerichtlichen Schiedsstellen geben.
Lange: EU und USA sind ausgewiesene Rechtssysteme, wo Unternehmen ihre Rechte einklagen können. Mir sind auch beispielsweise gar keine konkreten Fälle bekannt, in denen deutsche Unternehmen in den USA benachteiligt waren. Auch gibt es bisher kein Abkommen zwischen Deutschland und den USA in dieser Hinsicht. Und auch im Handelsabkommen zwischen den USA und Australien kommen Schiedsstellen nicht vor.
Lange: Zum einen hatten wir Einfluss auf das von den Mitgliedstaaten erteilte Mandat für die Verhandlungen und die Verhandlungsleitlinien. Zum anderen haben wir dafür gekämpft, dass diese veröffentlicht wurden, was im Oktober auch geschehen ist.
Lange: Das ist ein Skandal. Aber wir Politiker hatten immer wieder Einblick in Dokumente, gaben der verhandelnden Europäischen Kommission Input. Demnächst ziehen wir eine Zwischenbilanz. Im Mai gibt es eine Resolution im EU-Parlament. Wir werden dann sehen, was die Verhandlungen bisher gebracht haben und Forderungen formulieren.
Lange: Es kommt für uns beispielsweise nicht in Frage, dass soziale Dienstleistungen in das Abkommen aufgenommen werden. Demokratische Entscheidungen dürfen nicht unterlaufen werden. Es darf keine außergerichtlichen Schiedsstellen geben. Arbeitnehmerrechte müssen gestärkt werden.
Lange: Das Abkommen braucht eine Mehrheit im EU-Parlament. Und nach der ACTA-Schlappe (Das EU-Parlament lehnte 2012 mit dem Abkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie erstmals ein internationales Handelsabkommen ab, d. Red.) haben wir schon Gewicht. Außerdem gehe ich davon aus, dass TTIP ein gemischtes Abkommen werden wird, das heißt, die nationalen Parlamente müssen zustimmen.
Lange: Diese eingeschränkte Einsicht in Leseräumen finde ich auch unsäglich. Aber über den Zugang zu Verhandlungsdokumenten entscheiden beide Seiten für sich. Es gibt EU-Dokumente und Verhandlungsdokumente der Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung: Alle müssen möglichst veröffentlicht werden.
Lange: Wenn wir sagen, wir wollen bessere Handelsbedingungen, dann sind hohe Standards bei Arbeitnehmerrechten und Umweltschutz wichtig. Gerade in den Südstaaten der USA sind die kollektiven Arbeitnehmerrechte nicht hinreichend respektiert. Gewerkschafter dort hoffen darauf, dass ein Handelsabkommen die Standards in den USA verbessern kann. Und das ist für mich der entscheidende Punkt.
Lange: Wir müssen schauen, ob der alte Maßstab des Wachstums noch hinreichend ist, oder ob nicht die Nachhaltigkeitsindikatoren (1992 im Rahmen der Weltumweltkonferenz in Rio entwickelt, d. Red.) sinnvoller sind. Aber da sind andere politische Mittel notwendig.
Lange: Man muss sehr darauf achten, dass Privilegien in dem Handelsraum Drittstaaten nicht benachteiligen. Beim innereuropäischen Export wird es Verschiebungen geben. Ich wage allerdings nicht zu sagen, wer verliert und wer gewinnt. Meine Vermutung: Industrieorientierte Bereiche werden Gewinner sein. Der Agrarbereich wird unter Wettbewerbsdruck geraten.
Lange: Das kommt darauf an. Bisher exportiert die EU mehr Agrargüter in die USA als andersherum. Da gibt es natürlich Ausgleichsinteressen. Wir sollten uns aber grundsätzlich fragen, wie wir unsere Lebensmittel herstellen, ob eine starke Exportorientierung überhaupt sinnvoll ist.
Lange: Ein solches Abkommen braucht politischen Druck. Da hat ein Paket größere Chancen, als wenn nur ein Sektor verhandelt würde. Aber insgesamt gebe ich Ihnen recht. Im Laufe der Zeit wurde die Agenda schon deutlich abgespeckt.
Lange: Transparenz und Dialog sind deutlich gestiegen. Ich habe das Gefühl, Cecilia Malmström, die TTIP-Verhandlungsführerin für Europa, hat immerhin schon die Seekarte ausgebreitet, nur der Kurs ist noch nicht ganz klar. Aber die Politik gewinnt an Einfluss.
Lange: Ich finde es klasse, dass offen über Handelspolitik diskutiert wird. Das stärkt die Bestrebungen des EU-Parlaments.
Bernd Lange
Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange (Jahrgang 1955) aus Niedersachsen ist Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-Parlaments. Als junger Mann hat er evangelische Theologie und Politikwissenschaft studiert. Er war und ist vielfältig engagiert als Gewerkschafter, in sozialen, kirchlichen und wirtschaftspolitischen Gremien. Seine Schwerpunkte im EU-Parlament sind Industrie-, Energie und Handelspolitik. FOTO: SPD