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BRÜSSEL/WARSCHAU
Die Nato scheut einen neuen kalten Krieg
Nato-Gipfel in Warschau       -  Nato-Staatenlenker Matteo Renzi, Barack Obama, David Cameron, François Hollande und Angela Merkel zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko als Gast (Zweiter von rechts).
Foto: R. Jensen, dpa | Nato-Staatenlenker Matteo Renzi, Barack Obama, David Cameron, François Hollande und Angela Merkel zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko als Gast (Zweiter von rechts).
Miriam Moll
 |  aktualisiert: 19.07.2016 03:36 Uhr

Es soll keine Drohkulisse sein – und dennoch scheute sich die Nato in ihrer Abschlusserklärung in Warschau nicht, mit dem Finger nach Moskau zu weisen. Ganze 56-mal tauchte Russland in den 139 Punkten des Papiers auf, das nach zwei Gipfeltagen in Polens Hauptstadt entstanden war. Es hagelt Vorwürfe über Vorwürfe. Vier Nato-Bataillone werden ab 2017 in den baltischen Staaten stationiert – mit maßgeblicher Beteiligung von Kanada, Großbritannien, den USA und Deutschland.

„Sie sprechen nur über Verteidigung, aber im Grunde treffen sie Vorbereitungen für Angriffshandlungen.“
Michail Gorbatschow, ehemaliger Sowjetpräsident

Hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor dem Gipfeltreffen noch davor gewarnt, Russland mit „Säbelrasseln“ beeindrucken zu wollen, gab sich der Minister in Richtung der Nato-Partner versöhnlich. Die beschlossenen Maßnahmen „bedrohten“ niemanden, so der SPD-Politiker, der eigentlich auf Dialog setzt.

Und dennoch herrscht Eiszeit in einer Partnerschaft, die ohnehin nie besonders vertrauensvoll war. Eine Beziehung auf Basis von „Respekt für internationales Recht und Engagement“, wie sie sich die noch 28 Nato-Mitglieder mit Russland wünschen, scheint derzeit Wunschdenken.

Der Ukraine-Konflikt kostete inzwischen fast 10 000 Menschen ihr Leben. Moskau denkt nicht daran, die Krim wieder aus ihrer eisernen Umarmung zu lassen und liefert trotz Minsker Abkommen weiter Waffen, Ausrüstung, Personal und Geld in die separatistischen Regionen in der Ostukraine. Auf die Verlängerung der EU-Sanktionen reagierte Russland mit einem weiteren Embargo europäischer Importe. Die Übungseinsätze der Nato werden vom Kreml nicht nur beobachtet, sondern mit Kampfjets aus nächster Nähe überflogen. Die Nato nimmt derlei Nadelstiche hin. Ein Zeichen nach Moskau, dass man eine Eskalation vermeiden will – aber eben auch nicht um jeden Preis.

Dennoch müssen EU und Nato die Sorge der baltischen Staaten ernst nehmen. Nach der Annexion der Krim werden dort alte Ängste wach. Litauens Präsidentin Dalia Grybauskait lobte den Stationierungs-Beschluss: Die Nato habe endlich ihre „Schreibstuben“ verlassen. Die Stationierung von ein paar tausend Soldaten aber könnte den Einmarsch Russlands kaum aufhalten, das Baltikum wäre Experten zufolge binnen 60 Stunden überrollt. Die Bataillone in Estland, Lettland und Litauen sind nicht mehr als Symbolik – und trotzdem eine wichtige Botschaft: Die Allianz schützt ihre Verbündeten.

Wie dies jedoch in Russland wahrgenommen wird, lässt sich aus den Worten des im Westen hoch geschätzten einstigen Sowjetpräsidenten Michail Gorbatschow ablesen: Die Rhetorik der Nato wirke wie eine Kriegserklärung an Russland, kritisierte der 85-Jährige tief enttäuscht. „Sie sprechen nur über Verteidigung, aber im Grunde treffen sie Vorbereitungen für Angriffshandlungen.“ Von einem Kalten Krieg gehe die Nato zu den Vorbereitungen für einen heißen über, warnte der Friedensnobelpreisträger.

In dem Nato-Abschlusspapier werden derlei Ängste klar zurückgewiesen: „Die Allianz sucht keine Konfrontation und stellte keine Bedrohung für Russland dar“, heißt es in dem Abschlusspapier. Dafür fehlt den Bündnispartnern ohnehin das Geld. Nicht umsonst betonte die Allianz einmal mehr, „offen für einen Dialog“ mit Moskau zu sein. Doch die zweite Säule der Nato-Strategie – die Kommunikation – schwächelt. Dabei wäre ein enger Austausch und eine funktionierende Zusammenarbeit wichtiger denn je. Auch um Bedrohungen wie die Terrormiliz Islamischer Staat zu bekämpfen und Syrien zu befrieden. Die Liste der Problemente ist lang: Neben Syrien bleibt die Lage in Afghanistan fragil, die Piraterie vor Somalia eine Gefahr, die Zukunft Libyens ungewiss.

So baut die Nato trotz Drohkulissen auf die Hoffnung, dass Moskau zur Einsicht gelangt, seinerseits das Säbelrasseln aufzugeben. Und sich stattdessen wieder als Partner angesichts vielfältiger globaler Herausforderungen positioniert. Bereits am Mittwoch wird sich zeigen, ob dieser Weg realistisch ist: Dann tagt nach langer Eiszeit wieder der gemeinsame Nato-Russland-Rat in Brüssel.

 
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