Das Wasser wirkt klar, die Strände sind größtenteils sauber, auch Fische gehen wieder ins Netz: Fünf Jahre nach der Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko möchte der britische Ölmulti BP das Kapitel nun langsam schließen. Umweltschützer und Wissenschaftler sind skeptisch: Die größte Ölkatastrophe der Geschichte könnte ihre Konsequenzen erst längerfristig entfalten.
Erst versagte eine Dichtung am Meeresboden, dann scheiterten mehrere Sicherungssysteme: Am 20. April 2010 explodierte über dem Macondo-Ölfeld im Golf von Mexiko die Bohrinsel Deepwater Horizon. Der Feuerball kostete elf Arbeiter das Leben; danach strömte drei Monate lang ein schmutziges Gemisch aus Erdöl und Methan in den Ozean. Erst am 16. Juli konnte die Quelle in eineinhalb Kilometern Tiefe verschlossen werden. Die US-Regierung schätzt, dass bis dahin 4,2 Millionen Barrel ins Meer geflossen waren. Vor Gericht wurde der Konzern für 3,1 Millionen Barrel Öl verantwortlich erklärt, rund 500 Millionen Liter.
Hohe Sterblichkeit bei Delfinen
Für die Zeit unmittelbar nach der Katastrophe stellt BP die ökologischen Auswirkungen nicht in Abrede. In einem Fünf-Jahres-Bericht erklärt das Unternehmen nun aber, die Golfregion habe sich größtenteils erholt. Langzeitfolgen kann der Ölriese nicht erkennen.
Staatliche Schadensprüfer nennen den BP-Befund „sowohl unangemessen als auch verfrüht“. „Wir wissen, dass die Umweltfolgen dieses Ölaustritts wahrscheinlich Generationen andauern werden“, heißt es in einer Stellungnahme des Natural Resources Damage Assessment (NRDA). In dem Gremium sitzen Vertreter der Umweltbehörden, der Ministerien für Inneres und Landwirtschaft sowie der fünf Bundesstaaten Alabama, Florida, Louisiana, Mississippi und Texas. Nach dem Untergang des Öltankers Exxon Valdez vor Alaska 1989 dauerte es vier Jahre, bis die Heringspopulation zusammenbrach. Gerade bei Langzeitprognosen tun Forscher sich deshalb schwer.
Die vorliegenden Berichte verzeichnen bei Delfinen eine bis zum Fünffachen gestiegene Sterblichkeitsrate, die inzwischen wieder sinkt. Ein direkter Zusammenhang zur BP-Katastrophe ist genauso wenig nachgewiesen wie beim Einbruch von Schildkröten- und Vogelpopulationen. Bei Fischen gibt es immer wieder Exemplare mit merkwürdigen Verletzungen und Öl in inneren Organen.
Selbst skeptische Wissenschaftler bescheinigen der Natur eine erstaunliche Widerstandskraft. Sie wissen aber, dass am Meeresgrund und in den Marschen bis heute nicht nur Millionen Liter der Ölflut schlummern, sondern auch Spuren der giftigen Dispersionsmittel, die 2010 ausgebracht wurden, um das Öl zum Sinken zu bringen. Was das langfristig für die Nahrungskette bedeutet, kann niemand sagen.
Patienten mit bizarren Symptomen
BP hat nach eigenen Angaben bis heute 28 Milliarden Dollar für Aufräumarbeiten und Entschädigungen ausgegeben. Strafrechtlich wurde der Konzern zu einer Zahlung von 4,5 Milliarden Dollar verurteilt. Dennoch kann das National Ressources Damage Assessment den Ölmulti zu neuen Leistungen verdonnern.
Nicht alle Betroffenen der Katastrophe haben eine Lobby. „Seit dem Unfall habe ich Patienten mit bizarren Symptomen, die auf keine Behandlung ansprechen“, sagt der Arzt Michael Robichaux, dessen Praxis in Baton Rouge im am stärksten getroffenen Bundesstaat Louisiana liegt.
„Ich habe 1971 meine Ausbildung abgeschlossen und so etwas seither nie gesehen.“ Kopfschmerzen, Gedächtnisverlust, extreme Müdigkeit, Hormonprobleme, Impotenz: Die Symptome, die der Mediziner an seinen Patienten beobachtet, erinnern ihn an Nervengifte. Alle Betroffenen seien während des Unglücks Rohöl oder Dispersionsmitteln ausgesetzt gewesen, sagt Robichaux. „Es gibt eine Liste mit Krankheiten, die entschädigt werden, aber nichts von dem, was meine Patienten haben, steht darauf.“