Sie legt sich mit Autobauern und Internetkonzernen an – und gewinnt immer: Margrethe Vestager (50). Die EU-Wettbewerbskommissarin (seit 2014) aus Dänemark ermittelte auch gegen 23 Mitgliedstaaten wegen dubioser Steuerabsprachen der Regierungen mit Großkonzernen und sorgte dafür, dass Steuernachlässe in Millionenhöhe zurückgezahlt wurden. In diesem Interview zieht sie eine Bilanz ihrer Arbeit.
Margrethe Vestager: Wir haben alle Mitgliedstaaten befragt. Fünf hatten keine derartigen Absprachen. Von den anderen 23 haben wir Beispiele eingefordert, um zu sehen, welchen Weg sie gegangen sind. Es gab ganz unterschiedliche Varianten und wir haben daraus viel gelernt, wie diese Steuerabsprachen gelaufen sind und warum sie getroffen wurden. Vor allem aber haben wir gesehen, dass die meisten EU-Länder einen guten Job gemacht haben. Da gab es zum Beispiel den Handel innerhalb eines Konzerns, aber eben zu Marktpreisen. Dagegen ist ja nichts zu sagen. Wir stellen jetzt gerade unsere Erkenntnisse zusammen – auch, um den Regierungen zu sagen: So dürft ihr es machen. So aber nicht.
Vestager: Nein.
Vestager: Auch die Europäischen Verträge lassen den Steuerwettbewerb beim Werben für den eigenen Standort zu. Tatsächlich kann jedes Land selbst regeln, ob es 12,5, 21 oder 26 Prozent Unternehmenssteuern erhebt. Wichtig ist allerdings, dass diese Sätze dann auch für alle gelten und nicht umgangen werden.
Vestager: Ja, es häuft sich. Sie sitzen in Ihrem Auto – bei den Herstellern der Sitze gab es Kartelle. Sie starten den Wagen mit dem Schlüssel – es gab Absprachen bei den Schließsystemen. Sie schalten die Lichter an – auch dort gab es Kartellbildungen. Es gab viele Auffälligkeiten bis hin zu dem großen Kartell von Lkw-Herstellern. Deshalb haben wir viele Ermittlungen, auch gegen Auto-Hersteller und -Zulieferer in Deutschland, veranlasst. Einige davon laufen noch. Was unsere Untersuchungen ergeben werden, kann ich noch nicht sagen.
Vestager: Beim Diesel-Gate geht es mehr um illegale Praktiken und Betrug. Dazu hat die Europäische Kommission eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet. Denn das Thema hat große Bedeutung.
Vestager: Wenn neue Wirtschaftsbereiche entstehen, stecken sie voller Enthusiasmus nach dem Motto „Lasst uns die Welt verändern“. Sie sind dann noch nicht reguliert. Und genau das müssen wir nachholen und deren spezifische Arbeitsweise so ordnen, dass es einen fairen Wettbewerb gibt. Das ist deswegen so wichtig, weil inzwischen alles digitalisiert wird: die Agrarwirtschaft, der Gesundheitssektor, Transport und Logistik, Verwaltung und so weiter. Also müssen wir uns in allen diesen Bereichen, wo Daten der wichtigste Rohstoff sind, weiterentwickeln, um herauszufinden, wo es marktwirtschaftliche Defizite gibt. Das hat nichts damit zu tun, dass wir Innovationen aufhalten wollen, aber wir wollen alle Branchen marktgerecht haben.
Vestager: Ja, sie ist ein Meilenstein. Zum ersten Mal gibt es gleiche Datenschutz-Regeln für ganz Europa. Die Menschen können wieder über ihre Daten bestimmen. Das „Recht auf Vergessen“ ist eine Errungenschaft. Nun ist es für die Bürger leichter zu sehen, ob die Unternehmen mit den persönlichen Informationen etwas machen, was sie nicht dürfen.
Vestager: Es ist natürlich ein großes Kompliment. Aber es ist noch viel Zeit, bis eine derart wichtige Frage zu beantworten ist.
Vestager: Was mir an ihm besonders imponiert, ist, dass er eine Art politisches Gesetz durchbrochen hat. Vor Macron hatte man geglaubt, man könne Wahlen nur gewinnen, wenn man auf der EU herumhackt. Er hat das Gegenteil bewiesen und etwas Neues angeboten: einen Traum von Europa, der aber nicht extrem ist. Ich sehe ähnliche Ansätze in verschiedenen Bewegungen anderer Mitgliedstaaten, und das ist sehr ermutigend. Mir gefällt seine doppelte Botschaft. Er hat seinen Landsleuten gesagt: Wir tun, was gut für uns ist. Aber wir tun zusammen mit unseren europäischen Partnern, was gut für Europa ist. Das ist etwas Neues.