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PARIS
Die Leidensgenossen
Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 30.12.2016 03:47 Uhr

Ein Lastwagen, der in eine fröhlich und friedlich feiernde Menge rast – der Anschlag in Berlin am Montagabend weckte in Frankreich bittere Erinnerungen an die jüngsten Attentate im eigenen Land. Und vor allem an den 14. Juli in Nizza: Am Abend des französischen Nationalfeiertages, als ein Feuerwerk die Menschen begeistern sollte, war ein Mann am Steuer eines Schwertransporters auf die Strandpromenade der Mittelmeerstadt gerast. Er tötete dabei 86 Menschen und verletzte mehr als 400, bis die Polizei den Täter erschoss. Das Trauma ist nicht überwunden. „Heute Abend ist mein Herz berlinerisch“, reagierte rasch der ehemalige Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi. „Dieselbe Vorgehensweise. Dieselbe blinde Gewalt. Derselbe Hass auf glückliche Menschen“, twitterte Estrosis Nachfolger im Amt, Philippe Pradal.

Die schlimmen Nachrichten aus der deutschen Hauptstadt „öffnen die Wunde neu“, sagt Patrick Amoyel, Psychiater in Nizza, der sich in der Opfervereinigung „Entr'Autres“ engagiert. Viele Menschen hätten künftig Angst – vor Lastwagen, vor dem Besuch von Märkten oder Kirchen, von Feiern im Allgemeinen und traditionellen Festen im Besonderen, die im Visier von Extremisten stehen. Die ständige Präsenz von Tausenden Soldaten in den Straßen, vor touristischen Sehenswürdigkeiten, Schulen und jüdischen Einrichtungen im ganzen Land soll einerseits den Menschen ein Gefühl der Sicherheit geben – andererseits machen diese Maßnahmen aber die Terrorgefahr allgegenwärtig.

„Heute Abend ist mein Herz berlinerisch. Dieselbe Vorgehensweise. Dieselbe blinde Gewalt. Derselbe Hass.“
Christian Estrosi, Ex-Bürgermeister von Nizza

Vor mehr als einem Jahr wurde in Frankreich der Ausnahmezustand verhängt und gerade zum fünften Mal verlängert, bis zum 15. Juli 2017. Das Land erscheint gebeutelt nach den Angriffen auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ sowie einen jüdischen Supermarkt im Januar 2015, den Pariser Terroranschlägen vom 13.

November 2015 und weiteren islamistisch motivierten Attacken auf ein Polizistenpaar und einen katholischen Priester sowie der Gräueltat in Nizza in diesem Jahr.

Dass mit Belgien im Frühjahr und nun eben Deutschland auch andere europäische Länder Ziele von blutigen Anschlägen wurden, erscheint kaum als Trost. Im Gegenteil – die Erschütterung über die Bluttat beim Nachbarn ist groß. „Die Franzosen teilen den Schmerz der Deutschen gegenüber dieser Tragödie, die ganz Europa trifft“, erklärte Staatschef François Hollande. „Der unerbittliche Kampf gegen den Terrorismus darf weder unsere Werte noch die Lebensweise beeinträchtigen.“ Am Mittwoch trug er sich in das Kondolenzbuch der deutschen Botschaft in Paris ein.

Regierungschef Bernard Cazeneuve versicherte, dass ein großes Aufgebot an Einsatzkräften für die Sicherheit der französischen Weihnachtsmärkte sorge; auch jener in Straßburg galt offenbar als Ziel von potenziellen Attentätern.

440 Menschen wurden seit Jahresbeginn wegen Verbindungen zu terroristischen Netzwerken festgenommen und 17 versuchte Attentate verhindert. Frankreichs Innenminister Bruno Le Roux rief die Menschen dazu auf, trotzdem auszugehen und sich zu amüsieren und nicht einem „Klima der Angst“ zu weichen.

 
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