
Von der brasilianischen Millionenstadt Fortaleza aus kann man nach Buenos Aires fliegen, nach Lissabon und einmal die Woche sogar nach Frankfurt am Main. Friedrichshafen steht nicht auf dem Flugplan. Bald aber werden sie hier, im äußersten Nordosten Brasiliens, eine Ausnahme machen. Dann wird eine Antonow An-124 landen, das größte in Serie gebaute Frachtflugzeug. Es wird seine riesige Luke öffnen und einen großen Haufen Schrott in seinem Bauch aufnehmen – Rumpf, Tragflächen, Triebwerke und Seitenflosse einer alten Boeing 737. Jener Maschine, die ein wichtiger Teil deutscher Nachkriegsgeschichte ist – und doch seit neun Jahren in Brasilien vor sich hinrottet. Jetzt aber kommt die „Landshut“, oder zumindest das, was von ihr übrig ist, nach Hause. Nach Friedrichshafen.
Am Bodensee ist die Aufregung groß in diesen Tagen. Weil ja monatelang darüber diskutiert wurde, wie man den Schicksalsflieger der Deutschen heimholen kann – vor allem aber, in welcher Stadt er eine neue Heimat finden soll. Zahlreiche Städte hatten Interesse angemeldet.
Friedrichshafen ist ein Standort des Flugzeugbaus
Dass es nun aber Friedrichshafen wird, die Stadt, die sich als Wiege der Luftschifffahrt und bedeutender Standort des Flugzeugbaus bezeichnet, nennen viele hier einen Glücksfall. Manche meinen sogar, es gebe kaum einen besseren Ort, um die Maschine auszustellen, als das Gelände des Dornier-Museums in Friedrichshafen. Im Oktober 1977 wurde die „Landshut“ zum Symbol bundesdeutscher Geschichte, als Mitglieder eines palästinensischen Terrorkommandos die Lufthansa-Maschine entführten. Mit dieser Aktion sollten inhaftierte Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) freigepresst werden. Die Bilder aus Mogadischu, wo der Jet nach einem langen Irrflug schließlich landete, gingen um die Welt: Aus der hinteren Tür wurde die Leiche des Flugkapitäns Jürgen Schumann über eine Notrutsche heruntergelassen. Die Terroristen hatten ihn erschossen. Wenig später fand das Geiseldrama ein Ende, als die deutsche Spezialeinheit GSG 9 die Maschine stürmte und die 82 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder befreite.
Ihre letzten Flüge absolvierte sie als Frachtmaschine
Fast 40 Jahre sind seither vergangen. Jahre, in denen die „Landshut“ viel erlebt hat. Bis 1985 war sie noch im regulären Liniendienst der Lufthansa, dann wechselte sie mehrmals den Eigentümer. Ihre letzten Flüge absolvierte sie 2008 als Frachtmaschine unter brasilianischer Flagge. Seither steht sie auf dem Flugzeug-Friedhof in Fortaleza – die Fenster sind kaputt, die Reifen platt, die Sitze ausgebaut, die Maschine seit Jahren flugunfähig. Jahrelang hat sich in Deutschland kaum jemand Gedanken darüber gemacht. Doch nun, rechtzeitig bevor sich die Befreiung der „Landshut“ zum 40. Mal jährt, soll sie nach Friedrichshafen kommen und anschließend erst einmal restauriert werden.
Vorher aber muss eine Gruppe von Lufthansa-Technikern die „Landshut“ erst einmal verladebereit machen. Die Hauptaufgabe wird sein, die Tragflächen vom Rumpf zu lösen, erklärt der Historiker und Autor Matthias Rupps, von dem die Idee stammt, das Wrack als Erinnerungsort zu retten. „Das ist aber keine schwierige Aufgabe“, sagt er. „Schließlich ist das noch traditioneller Flugzeugbau.“
Für den Transport werden die Tragflächen vom Rumpf gelöst
In der Tat. Die Boeing 737 in der Anfangsversion, von der die Lufthansa 1965 zunächst 21 Stück bestellte, ist nach heutigen Maßstäben kein Hightech-Flieger. Damals wurde in den Jets kaum Elektronik, geschweige denn in der Hülle leichte Kohlefaser verbaut. Aluminiumblech und Stahllegierungen reichten aus. Die Techniker müssen also, vereinfacht gesprochen, nur die Nieten am Flächen-Rumpfübergang lösen, die Steuerseile aus Draht trennen, mit denen Querruder und Klappen der Tragflächen bewegt werden, und die Stahlbolzen herausschlagen, mit denen der Flügelholm am Rumpf befestigt ist. Die Vorbereitung der Arbeit, die mit Hebekran und Haltegurten ablaufen werden, dürfte mehr Zeit in Anspruch nehmen als die eigentliche Demontage. Rund drei Tage sind dafür veranschlagt.
Im Frühjahr noch hatte es nach einer ganz anderen, kleinen Lösung für die „Landshut“ ausgesehen. Da landete eine Delegation des Bundeskriminalamtes (BKA) in Fortaleza. Sie interessierte sich für einzelne Teile der Boeing wie Türen oder Leitwerk. Die Originalteile sollten dazu dienen, in Deutschland an die erfolgreiche Erstürmung der Maschine und den legendären Einsatz der Spezialeinheit GSG 9 zu erinnern. Von einem Kaufpreis von 25 000 Euro soll damals die Rede gewesen sein. Es kam anders – und günstiger. Das Auswärtige Amt sicherte sich schließlich das ganze Flugzeug zu einem Preis von 75 936 brasilianischen Real – umgerechnet etwa 20 000 Euro. Ein Schnäppchen, denn das entspricht in etwa dem Wert des Schrotts.
Der 40. Jahrestag der Geiselbefreiung ist am 18. Oktober
Doch dabei wird es nicht bleiben. Das Zerlegen der Maschine und die Überführung an den Bodensee dürften viel Geld verschlingen. Nach Angaben der „Bild“-Zeitung, die sich laut Insidern als Sponsor eingebracht und die Kosten zunächst vorgestreckt haben soll, liegen die Kosten bei rund zwei Millionen Euro. Dafür geht jetzt alles ganz schnell: Noch im August soll Außenminister Sigmar Gabriel die „Landshut“ in Friedrichshafen willkommen heißen.
Und bereits zum 40. Jahrestag der Geiselbefreiung am 18. Oktober will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Maschine auf einer Freifläche neben dem Dornier-Museum präsentieren.
Man könnte auch sagen: Das Projekt wurde in Berlin auf dem kleinen Dienstweg umgesetzt. Denn wäre man den offiziellen Weg gegangen, ist von Eingeweihten zu erfahren, hätte man den Auftrag für den Transport der „Landshut“ europaweit ausschreiben müssen. Es hätte die Sache um Monate verzögert. Klar ist aber auch: Das Projekt wird noch viel Geld kosten. Vermutet wird, dass die Lufthansa die Maschine zumindest äußerlich zum alten Kranich-Flieger umspritzt.
Von vier Millionen Euro Kosten ist die Rede
Dann aber muss die „Landshut“ erst zum begehbaren Denkmal umgebaut werden. Und es braucht eine Halle, in der der Flieger untergebracht wird. Von vier Millionen Euro Kosten ist die Rede. Wer das zahlen soll, ist offen. Fest steht nur: Das Dornier-Museum sieht sich dazu nicht in der Lage. Das Auswärtige Amt äußert sich auf Anfrage recht diplomatisch: „Es soll eine Spendensammlung geben, die gemeinsam von der Dornier-Stiftung, der Lufthansa, der 'Bild'-Zeitung und dem Auswärtigen Amt initiiert wird.
“ Die „Landshut“, heißt es weiter, sei „gelebte Geschichte für alle Menschen in Deutschland“. Daher wünsche man sich, dass sie ein „Gemeinschaftsprojekt der Deutschen wird“. Eines, für das die Menschen auch bereit sind, Geld zu spenden. Also eine Art Nationalspende aller Deutschen, damit die „Landshut“ und ihre bewegte Geschichte am Bodensee ausgestellt werden können? So weit will Museumsdirektor David Dornier nicht gehen. Er ist erst einmal froh über die Entscheidung des Außenministeriums. „Diese Attraktion wird viele Besucher in die Stadt Friedrichshafen und an den Bodensee locken.“ Fest steht für ihn auch, dass die „Landshut“ für die Öffentlichkeit zugänglich sein muss. Wie das gehen soll, wie genau aus einem Flugzeugwrack eine Art Museum werden kann, das steht bislang noch nicht fest. Erste Details für ein Museumskonzept will Dornier morgen präsentieren.
Der Co-Pilot und die Stewardess von einst sind mit im Boot
Dornier und der Historiker Rupps, die gemeinsam daran gearbeitet haben, die „Landshut“ nach Friedrichshafen zu holen, stehen auch in engem Kontakt zu den damaligen Crew-Mitgliedern, die das Geiseldrama miterlebt haben. Wie Jürgen Vietor, heute 74, damals der Co-Pilot, der die Maschine nach Mogadischu steuern musste, nachdem die Terroristen Flugkapitän Schumann getötet hatten. Oder Gabriele von Lutzau, heute 62, damals Stewardess in der Maschine. Von den Boulevardzeitungen wurde die Frau mit den blonden Locken aufgrund ihrer Courage als „Engel von Mogadischu“ gefeiert. Es gab Zeiten, da wollte von Lutzau nicht mehr über all das reden, was sich im Herbst 1977 an Bord der „Landshut“ abgespielt hat. Sie wollte nicht mehr das Opfer sein, nicht mehr durch TV-Talkshows tingeln, um ihre Geschichte zu erzählen.
Vor ein paar Monaten hat sie ihre Meinung geändert. Gemeinsam mit Vietor ist sie im Frühjahr nach Fortaleza geflogen. Sie hat das Flugzeug, in dem sie fünf Tage lang als Geisel festgehalten wurde, zum ersten Mal wieder betreten. Sie hat gemerkt, wie eng ihre Verbindung zu dieser Maschine ist. Von Lutzau will dabei sein, wenn es soweit ist, wenn die „Landshut“ am Bodensee ankommt. Und sie möchte helfen, aus dem Flugzeugwrack einen Ort der Erinnerung zu machen.
„Die Landshut ist das Symbol für die Nichterpressbarkeit des Staates gegenüber dem Terrorismus. Sie ist ein Symbol dafür, sich dem Terrorismus nicht kampflos zu ergeben“, sagt sie. Und dass das in diesen Tagen wichtiger ist denn je.
Der Deutsche Herbst 1977 und die Entführung der Landshut
Sechs Wochen lang hielt eine Terrorwelle der Roten Armee Fraktion (RAF) die Bundesrepublik im Herbst 1977 in Atem. Diese Zeit ging als „Deutscher Herbst“ in die Geschichte ein.
5. September Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wird in Köln von einem RAF-Kommando entführt. Schleyers Fahrer und drei Leibwächter sterben im Kugelhagel. Die Entführer drohen mit der Ermordung Schleyers, falls nicht elf RAF-Häftlinge freigelassen und an einen Ort ihrer Wahl ausgeflogen würden. Die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt lehnt ab.
13. Oktober Vier palästinensische Terroristen kapern die Lufthansa-Maschine „Landshut“. Die Boeing 737 ist mit 91 Menschen an Bord auf dem Weg von Mallorca nach Frankfurt, als sie entführt wird. Es folgt ein Irrflug durch Europa und Afrika. Die Terroristen fordern die Freilassung von inhaftierten RAF-Mitgliedern und 15 Millionen US-Dollar. Sie drohen mit der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten und aller Passagiere. Der über 9000 Kilometer lange Irrflug endet am 17. Oktober in Mogadischu (Somalia). Am Tag zuvor hatten die Terroristen in Aden (Jemen) den Flugkapitän erschossen.
18. Oktober Die nach dem Olympia-Attentat von München geschaffene Anti-Terror-Einheit GSG 9 stürmt die „Landshut“ in Mogadischu und befreit die Geiseln unversehrt. Bei der Aktion werden drei Terroristen getötet. Wenige Stunden danach töten sich die RAF-Häftlinge Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stuttgart-Stammheim selbst.
19. Oktober Die Leiche von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wird mit mehreren Kopfschüssen im Kofferraum eines Autos in Mülhausen im Elsass gefunden. dpa/az