
Auslöser waren gestiegene Eierpreise. Seitdem eskaliert der Ärger über Irans Alltagsmisere immer mehr zum Grundsatzprotest gegen die Herrschaft der Mullahs, die Tyrannei der Islamischen Republik sowie die kostspieligen Interventionen in Syrien, Libanon, Gaza und Irak. „Überlasst Syrien sich selbst, denkt auch mal an uns“ und „Kein Gaza, kein Libanon – unser Leben ist für den Iran“, skandierten die Menschen in Teheran und zwei Dutzend anderen Städten. Tag für Tag fordern die Demonstranten jetzt die Freilassung aller politischen Gefangenen und rufen „Tod dem Diktator“, eine direkte Anspielung auf den Obersten Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei.
Hunderte wurden verhaftet
In Teheran ging die Polizei auch in der Nacht zu Neujahr wieder mit Tränengas gegen die Menge vor. Hunderte wurden verhaftet. Mindestens zehn Menschen kamen ums Leben, bisher ausschließlich in kleineren Provinzorten. Die Unruhen sind die größten Massendemonstrationen seit der „Grünen Bewegung“ im Jahr 2009. Damals gingen Tausende Iraner über sechs Monate auf die Straße, um gegen die manipulierte Wiederwahl des damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zu protestieren.
Dessen Nachfolger Hassan Rowhani verteidigte in einer TV-Botschaft das Recht des Volkes auf Kritik und Protest, ging aber gleichzeitig mit allen scharf ins Gericht, die öffentliche Gebäude wie Kommunalverwaltungen, Polizeistationen und Koranschulen angreifen oder Autos anzünden. Rowhani, gegen den seit vielen Monaten eine wüste Medienkampagne der Hardliner läuft, forderte zudem mehr Transparenz und Fairness in der Berichterstattung von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. „Unser Land steht vor schweren Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit, Inflation, Korruption, Wassermangel, soziale Spaltung und eine ungerechte Verteilung des Staatshaushaltes“, präzisierte Hesamoddin Ashena, einer der Berater des Präsidenten, und fügte hinzu, die Menschen hätten ein Recht darauf, dass ihre Stimme gehört werde.
Ebenfalls um die Gemüter zu beruhigen, gab die Polizeiführung bekannt, man werde nicht mehr mit aller Strenge gegen Frauen vorgehen, die „unanständig gekleidet“ seien. Auf Videos und Fotos der vergangenen Tage waren junge Iranerinnen zu sehen, die sich ohne Kopftuch – was in der Islamischen Republik streng verboten ist – an den Protesten beteiligten.
Um das Ausmaß der Unruhen zu verschleiern und die Koordination zu behindern, sperrte das Regime am Wochenende die einzigen noch zugänglichen sozialen Plattformen Telegram und Instagram. Twitter und Facebook sind bereits seit vielen Jahren blockiert, genauso wie die Websites der meisten internationalen Medien.
Die Staatszeitungen überschlugen sich mit düsteren Verschwörungstheorien und machten amerikanische, britische und israelische Spione für die Unruhen verantwortlich. Örtlichen iranischen Journalisten wurde der Zugang zu Protestkundgebungen verwehrt. Die Revolutionären Garden drohten, man werde mit harten Schlägen antworten, wenn das Ganze nicht aufhöre.
Die Mehrzahl der Demonstranten sind junge Männer zwischen 20 und 30, viele von ihnen frustriert und arbeitslos. Sie sehen keine Zukunft für sich. Für ihre Lebensmisere machen sie die klerikalen Hardliner um Ajatollah Ali Khamenei, aber auch die Regierung des relativ moderaten Präsidenten Hassan Rowhani verantwortlich. Rowhani konnte zwar 2015 durch den Atomvertrag mit den UN-Vetomächten plus Deutschland die internationalen Sanktionen gegen sein Land beenden. Der wirtschaftliche Aufschwung in der Islamischen Republik jedoch lässt weiter auf sich warten. Denn die Korruption stranguliert alle Bereiche.
„Ihr Kapitalisten-Mullahs“
Die Revolutionären Garden kontrollieren mit ihren Industrie-Konglomeraten beträchtliche Teile der Wirtschaft und sträuben sich hartnäckig gegen mehr Wettbewerb. Der iranische Bankensektor ist so verrottet, dass Abertausende Bürger in letzter Zeit ihre Ersparnisse verloren. Mit zu der Empörung in der Bevölkerung trug aber auch Rowhanis Entscheidung bei, seine Landsleute erstmals in der Geschichte der Islamischen Republik über das Ausmaß der finanziellen Selbstbedienung seiner Hardliner-Kontrahenten aufzuklären.
Der Präsident ordnete an, die bisher verschleierten Milliardenüberweisungen aus dem Staatshaushalt für religiöse Stiftungen und obskure klerikale Forschungsinstitute konkret zu beziffern und offenzulegen. Auf diese Weise erfuhr jeder im Iran, welche Unsummen der politische Klerus seit Jahren in die eigenen Taschen schaufelt, während der Alltag der normalen Leute immer härter wird. „Ihr Kapitalisten-Mullahs“, skandierten die Studenten jetzt vor den Toren der Teheraner Universität, „gebt uns unser Geld zurück.“