Zorn, Wut und Rufe nach freien Wahlen. In vielen algerischen Städten brodelt es. Das Land erlebt derzeit die größte Protestwelle der letzten Jahre. Seit bekannt wurde, das sich der altersschwache Staatschef Abdelaziz Bouteflika am 18. April zum fünften Mal zum Präsidenten wählen lassen will, geht Algeriens junge Generation auf die Barrikaden. Die Menschen rufen: „Nein zum fünften Mandat!“
Der 81-Jährige schwerkranke Präsident Bouteflika tritt schon seit Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Bei offiziellen Veranstaltungen des Regimes oder der staatstragenden Partei wird üblicherweise nur ein riesiges Bild des Präsidenten präsentiert. Auf dem Foto schaut Bouteflika, der schon gleich nach Algeriens Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1962 als Minister in den Machtapparat aufstieg, väterlich lächelnd auf sein Volk.
Doch der Schein trügt: Bouteflika sitzt seit einem Schlaganfall in 2013 im Rollstuhl. Er kann sich nicht mehr bewegen, offenbar auch nicht mehr sprechen. Es ist unklar, ob er überhaupt noch selbst Entscheidungen trifft. Angeblich zieht im Präsidentenpalast schon länger Bouteflikas jüngerer Bruder Said (61) die Fäden. Zusammen mit den allmächtigen Generälen, welche Bouteflika im Jahr 1999 zum Präsidenten kürten, und die auf diese Weise bis heute ihre Macht in Algerien sicherten.
„20 Jahre sind genug“, skandierten Tausende von Menschen, die auch an diesem Freitag, nach dem Mittagsgebet, wieder durch Algier und andere Städte zogen. Und sie riefen nach „freien und demokratischen Wahlen“. Die Polizei ging am Freitagnachmittag, wie schon an früheren Tagen, mit Tränengas gegen die Demonstranten vor. Starke Polizeikräfte riegelten den Präsidentenpalast, das Parlament und die Regierungsgebäude in Algier ab.
Der Aufruf zur „Mobilisierung im ganzen Land“ am Freitag war über die Sozialen Netzwerke verbreitet worden. Zu den Organisatoren der Proteste gehört die Plattform Mouwatana, zur der sich mehrere Oppositionsparteien und Bürgerrechtler zusammenschlossen. Die Demonstranten wurden aufgerufen, „ruhig und friedlich“ auf die Straße zu gehen und sich nicht von den Sicherheitskräften provozieren zu lassen. „Die Polizisten sind unsere Brüder“, hieß es.
Am Vortag hatten mehr als einhundert Journalisten in Algier gegen „Zensur“ und „Manipulation“ in den staatlichen Medien demonstriert. Etliche Berichterstatter wurden vorübergehend festgenommen und verhört. Der staatliche Rundfunk schweigt weitgehend zu der großen Protestwelle, welche derzeit durch das Land rollt. Algeriens Machtelite sorgt sich offenbar, dass die wachsende Wut außer Kontrolle geraten könnte. Im „arabischen Frühling“ des Jahres 2011 war es auch in Algerien zu Demonstrationen gekommen. Aus ähnlichen Gründen wie heute: Die Menschen protestieren gegen den politischen Stillstand unter dem Bouteflika-Regime und gegen fehlende Perspektiven für Algeriens junge Generation. Damals gelang es der Regierung noch, die Protestbewegung mit einigen sozialen Wohltaten zu besänftigen. Zu jener Zeit war die Staatskasse des nordafrikanischen Öl- und Erdgaslandes, ein wichtiger Lieferant Europas, noch prall gefüllt. Doch seitdem ist der Rohölpreis stark gesunken.
Die Perspektiven der jungen Generation, 70 Prozent der Algerier sind unter 30, sind somit nicht besser geworden. Rund ein Drittel der Jungen im arbeitsfähigen Alter stehen ohne Job auf der Straße. Dies nährt die Frustration – und beflügelt zudem den Traum von der Auswanderung Richtung Europa.