
Simone Peter war nicht dabei. Als Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre die Grünen entstanden und sich heftige Debatten über ihren Kurs und ihre Ausrichtung lieferten, war die 48-jährige Saarländerin, die seit einem knappen Jahr an der Spitze der Partei steht, noch Schülerin. Und doch übernahm sie am Dienstag in Berlin die politische Verantwortung dafür, dass es in den Gründungsjahren der Partei immer wieder Versuche gab, die Straffreiheit von Sex mit Kindern in den politischen Programmen der Partei auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene zu verankern. „Die damals gefassten Beschlüsse waren nicht akzeptabel“, sagte sie. „Wir bedauern zutiefst, dass es in der frühen Parteigeschichte zu solchen Entscheidungen kommen konnte“ und dass Täter „unsere Beschlüsse als Legitimation ihrer Taten empfunden haben können“.
Es hätten schon viel früher Konsequenzen gezogen werden müssen. „Wir sind den inakzeptablen Forderungen nicht in der nötigen Konsequenz entgegengetreten und haben erst viel zu spät die Verantwortung übernommen“, sagte Peter. Ausdrücklich bat sie im Namen der Partei alle Opfer sexuellen Missbrauchs um Entschuldigung.
Die Struktur der Partei
Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter, der im Mai vergangenen Jahres vom Bundesvorstand der Grünen beauftragt worden war, dieses düstere Kapitel in der Geschichte der Partei zu untersuchen und wissenschaftlich aufzuarbeiten, warf den Grünen vor, in ihren Anfangsjahren den Propagandisten des straffreien Sex' mit Kindern eine Bühne verschafft und deren Ansichten unkritisch übernommen zu haben. „Das Problem war die Struktur der Grünen“, sagte Walter bei der Vorlage seines knapp 300-seitigen Abschlussberichts: Innerhalb der Partei seien die Ansichten etlicher gesellschaftlicher Minderheiten addiert und „ideologisch veredelt“ worden. So habe in den Anfangsjahren praktisch jede Arbeitsgruppe ihre Forderungen ungeprüft in kommunale Partei- oder Wahlprogramme hineinschreiben dürfen. „Das ist oft der Fall bei Neugründungen: Da fließt vieles hinein, was nicht hingehört.“
Achillesferse des Linksliberalismus
Walter verwies darauf, dass Forderungen, Sex zwischen Erwachsenen und Kindern zu legalisieren, viel älter seien als die Grünen. Als das Thema bei der Öko- und Friedenspartei ankam, sei dies nicht der Höhepunkt, sondern bereits „das Finale“ einer Entwicklung gewesen, die in diversen links-libertären Gruppen seit den 60er Jahren offen diskutiert wurde. Pädagogen, Juristen, Wissenschaftler und auch Journalisten hätten sich für eine „befreite Sexualität“ ausgesprochen. Walter verwies darauf, dass bei einer Anhörung des Deutschen Bundestags im Jahre 1970 30 namhafte Professoren aus der Erziehungs- und der Rechtswissenschaft die These vertreten hätten, Sex zwischen Erwachsenen und Kindern führe bei den Betroffenen zu keinen nachhaltigen Folgeschäden, obwohl es dazu keine wissenschaftlichen Untersuchungen gab. Auch in der FDP sei dies damals diskutiert worden. „Das ist die Achillesferse des Linksliberalismus“, so Walter.
Den Grünen warf er aber vor, als Partei, die vom Grundgesetz besonders privilegiert sei, das Thema in den Prozess der politischen Willensbildung getragen zu haben. Erst Mitte der 80er Jahre sei es in der Partei zu einem Perspektivwechsel gekommen.