Während Europa noch betroffen und hektisch an einer Lösung für die Flüchtlingskrise bastelt, wird in den Brüsseler Hinterzimmern bereits eifrig daran gearbeitet, die Vorboten der nächsten Krise möglichst kleinzuhalten. Denn der Fahrplan zur Sanierung Griechenlands ist schon wieder aus dem Ruder gelaufen. Mehr noch: Im Kreis der Geldgeber häufen sich die Auseinandersetzungen mit den Verfechtern einer strikten Linie, wie sie beispielsweise der Internationale Währungsfonds (IWF) vertritt. Schon seit Monaten appellieren dessen Vertreter an die Europäer, die Lage der Hellenen durch einen Schuldenverzicht zu erleichtern. Das Land muss ab 2016 einen Schuldenberg tragen, der das Doppelte der jährlichen Wirtschaftsleistung (200 Prozent) beträgt. 120 Prozent gelten als Grenzmarke.
Christine Lagarde, die Chefin des Washingtoner Fonds, drohte bereits mehrfach damit, aus dem dritten Hilfspaket auszusteigen. Der Alarmruf sorgte im Deutschen Bundestag für heftige Ausschläge. Das Parlament habe nur unter „der Bedingung zugestimmt, dass der IWF dabei ist“, betonte beispielsweise Michael Fuchs, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion. Ob die unverhohlene Drohung mit einem Ausstieg Deutschlands aus dem dritten Hilfspaket über 86 Milliarden Euro politisch ernst gemeint ist, sei dahingestellt.
Rechtlich möglich wäre ein solcher Schritt. Schließlich muss jede einzelne Tranche, bevor die Eurogruppe sie an Athen auszahlen kann, vom Bundestag oder wenigstens dem Haushaltsausschuss genehmigt werden. „Wir wollten den IWF dabeihaben, weil er über das rechtliche Instrumentarium verfügt, eine Haushaltssanierung durchzusetzen, die EU kann nur appellieren“, erklärte der Europa-Politiker Markus Ferber gestern gegenüber der Redaktion.
In Brüssel nimmt die Zahl derer, die die Hellas-Rettung am liebsten ohne den Fonds durchziehen würden, dennoch zu. Dabei wird nicht zuletzt auf die hohen Zinsen verwiesen, die Athen dem IWF zahlen muss: rund 3,5 Prozent, gegenüber 1,5 Prozent, die für Kredite aus dem dauerhaften ESM-Topf der Währungsunion fällig werden.
Wie die Sache ausgeht, ist ungewiss. Eigentlich wollte sich Lagarde bis Ende Oktober entscheiden. Dann hätte die nächste Überprüfung der erreichten Fortschritte von den Experten vorgelegt werden müssen. Doch daraus wird nichts. Der Wahlkampf verzögerte die Reformen. Erst am Wochenende billigte das griechische Parlament die Rente mit 67 inklusive entsprechender Kürzungen. Auch neue Steuern und Strafen für Abgabensünder wurden beschlossen.
Doch bis zum 15. November werden die angesetzten Reformen wie ein Umbau der Altersvorsorge nicht fertig. An diesem Tag sollte Athen die nächste Tranche aus dem Hilfspaket über 15 Milliarden Euro erhalten. Nun heißt es, man habe bis Ende November für den Prüfbericht Zeit – und will trotzdem vorher zahlen.
Keine Finanzspritze
Tatsächlich sorgt der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, inzwischen für Missstimmung in der Eurogruppe. Er dringt darauf, das Geld selbst dann zu überweisen, wenn die Auflagen nicht umgesetzt wurden. Die Finanzmittel seien im Wesentlichen für die Restrukturierung der hellenischen Banken dringend nötig, argumentiert er. Am 1. Januar 2016 greift auch in Griechenland die neue Bankenabwicklungsrichtlinie der EU, nach der Anleger und Gläubiger der Institute im Fall einer Pleite haftbar gemacht werden können. Für eine Finanzspritze der Währungsunion gibt es dann keinen Weg mehr. Doch die Finanzminister bestehen auf der Reihenfolge „Reformen vor Geld“ – zumindest so lange, wie Griechenland die Auflagen zum Umbau des Finanzmarktes nicht umgesetzt hat. Und die stehen vor dem 15. November noch nicht auf der Tagesordnung von Premier Alexis Tsipras.