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ROM
Die „Fünf-Sterne-Bewegung“ könnte bei den Wahlen in Italien zur großen Überraschung werden
Komiker und Politiker: Beppe Grillo vor wenigen Tagen bei einem Wahlkampfauftritt in Bergamo.
Foto: afp | Komiker und Politiker: Beppe Grillo vor wenigen Tagen bei einem Wahlkampfauftritt in Bergamo.
Von unserem Korrespondenten JULIUS MÜLLER-MEININGEN
 |  aktualisiert: 07.01.2016 15:11 Uhr

Die gesamte Familie Franchi aus Rom wird bei den Parlamentswahlen in Italien Beppe Grillo ihre Stimme geben. Mario Franchi, 62, hat früher links gewählt, seine Schwester Maura, 63, dreimal Berlusconi. Beider Mutter Franca, 86, ist katholisch und wird auch für Grillo stimmen. Enkelin Marta, eine politisch unorthodoxe 31-Jährige, ebenso. „Ich habe die Nase voll“, sagt sie.

Der Frust der Franchis ist kein Zufall. Die Anziehungskraft des ehemaligen Komikers Beppe Grillo und seines „Movimento-5-Stelle“ („Fünf-Sterne-Bewegung“) hat alle diejenigen in Italien erfasst, die vom Staat und seinen Vertretern tief enttäuscht sind. Das sind die meisten.

„Derzeit steht Grillo extrem gut da“, sagt der Meinungsforscher Renato Mannheimer. In Italien dürfen zwei Wochen vor der Wahl keine Umfragen mehr veröffentlicht werden, die aktuellen Zahlen liegen unter Verschluss. Doch viele rechnen damit, dass Grillo der eigentliche Wahlsieger sein wird. Auf bis zu 20 Prozent und mehr schätzen einige ihr Stimmenpotenzial. Damit würde die „Fünf-Sterne-Bewegung“ hinter den Sozialdemokraten und noch vor Berlusconis „Volk der Freiheit“ zweitstärkste Partei im Land.

„Tsunami-Tour“ hat der 64 Jahre alte Grillo seine Rundreise genannt, die ihn im Wahlkampf auf Dutzende Plätze in italienischen Städten gebracht hat. Seine Flutwelle soll das politische Establishment mit sich fortreißen. Weit verbreitet ist bei den Wählern das Bild, Italiens Politiker würden sich vor allem um die eigenen Interessen anstatt um das Gemeinwohl kümmern. Das soll sich mit der „Fünf-Sterne-Bewegung“ ändern. In Sizilien etwa verzichten die „Grillini“ nach ihrem Erfolg bei den Regionalwahlen 2012 symbolisch auf den Großteil ihrer Diäten. „Der Staat muss den Bürgern dienen, und nicht umgekehrt“, lautet ihr Credo.

Wo Grillo auftritt, sind die Plätze gefüllt, in Turin waren es am Wochenende erst wieder 20 000 Menschen. Er ist der personifizierte Unmut der orientierungslosen Italiener. Die Linke, so lautet eine weit verbreitete Meinung, kreise um sich selbst und habe Berlusconi nicht in Zaum gehalten, warum sollte sie nun mit einem Kandidaten, der seit 30 Jahren beruflich Politik macht, plötzlich der Regierungsverantwortung gerecht werden? Berlusconi ist für viele Konservative nicht mehr wählbar. Monti, so sagt etwa die Römerin Marta Franchi, wäre eine interessante Option gewesen, aber er verbündete sich mit den Altlasten der italienischen Politik.

Neben der Kürzung der Staatsausgaben und der Bändigung wirtschaftlichen Wildwuchses setzt die „Fünf-Sterne-Bewegung“ auf nachhaltige Energieversorgung und Umweltschutz oder die Einführung eines Arbeitslosengeldes. Ebenso wichtig ist die direkte Beteiligung der Bürger bei politischen Entscheidungen. Grillo verachtet die TV-Salons und sagte gerade erneut ein Fernsehinterview ab. Er spricht zu den Massen auf den Plätzen und wirbt vor allem übers Internet. Sein Blog gehört zu den meistgelesenen Polit-Foren der Welt.

Doch nicht wenige schreckt der grobe Stil des Fauns aus Genua ab. „Leck-mich-am-Arsch-Tag“, nannte er 2007 eine seiner ersten Protestveranstaltungen auf Italiens Plätzen. Der Terrororganisation El Kaida wolle er die Koordinaten des Parlaments in Rom zur Bombardierung geben, dröhnte er jüngst. Auch ausgewogene Kritik gehört nicht zu Grillos Stärken. Sein Tsunami erfasst alle zusammen: Monti, Merkel, Bersani, Berlusconi und den Papst. Grillo, der etwa auch die Zweckmäßigkeit des Euro infrage stellt, bezeichnet sich als das Megafon der Bewegung. Oft wirkt es ein wenig übersteuert.

Auch die Zukunft der „Fünf-Sterne-Bewegung“ ist ungewiss. Grillo, der in absolutistischer Manier bereits Mitglieder hinauswarf, weil sie im Fernsehen auftraten, will künftig im Hintergrund agieren, die Bürger sollen dann selbst die Macht übernehmen. Doch wer die zukünftigen Abgeordneten sind und was sie konkret vorhaben, weiß man nicht. Für den Wahlerfolg scheint die polemische Flutwelle vorerst Programm genug.

 
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