Kaum ein Tag verstreicht, an dem nicht neue Hiobsbotschaften über die Lage in der Atomruine von Fukushima um die Welt gehen. Dabei hatte der frühere Ministerpräsident Yoshihiko Noda das zerstörte Atomkraftwerk schon vor vielen Monaten für „kalt abgeschaltet“ erklärt – also als unter Kontrolle. Lecks an Tanks für gewaltige Mengen verseuchten Wassers sagen aber das Gegenteil. Dieser Tage räumte der Leiter der Atomaufsicht NRA, Shunichi Tanaka, ein, die Lage sei „instabil“.
Zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe verkündete Ministerpräsident Shinzo Abe jetzt das Eingreifen der Regierung. 47 Milliarden Yen (360 Millionen Euro) werden zur Eindämmung des verseuchten Wassers eingeplant. Ein 1,4 Kilometer langer Schutzwall aus gefrorenem Erdreich ist um die beschädigten Reaktoren eins bis vier vorgesehen. Das beispiellose Bauwerk soll verhindern, dass wie zur Zeit täglich 400 Tonnen Grundwasser in die undichten Reaktorgebäude eindringen und sich mit dem Kühlwasser vermischen. Ab Ende 2015 soll es einsatzbereit sein, derzeit läuft eine Machbarkeitsstudie.
Immer noch tödliche Strahlendosis
Momentan pumpt der Betreiberkonzern Tepco täglich Wasser ab und lagert es in Tanks. Aus einem der Tanks – teilweise in der Eile aus Stahlplatten zusammengeschraubt – flossen an einem Leck kürzlich 300 Tonnen verseuchtes Wasser mit einer tödlichen Strahlendosis. Auch an anderen Tanks wurden daraufhin tödliche Strahlenbelastungen gemessen. Die Atomaufsicht räumte ein, dass vorherige Messungen unzulässig gewesen waren. Kritiker nennen die Arbeit Tepcos „Flickschusterei“.
Und auch der neue Plan, einen Schutzwall zu errichten, sehen Kritiker als ein weiteres störanfälliges Provisorium an. Abgesehen von den hohen Baukosten würde ein solcher Schutzwall nicht nur enorm viel Strom verschlingen. Was, wenn es zu Stromausfällen kommt? Ende März hatte eine Ratte einen Kurzschluss ausgelöst und die Kühlsysteme von Abklingbecken lahmgelegt. Und wie lange soll der Wall halten?
Bleibt zudem die Frage, was mit den Hunderttausenden von Tonnen an verseuchtem Wasser in den Tanks geschehen soll. Die halten nicht ewig. Ein weiteres schweres Erdbeben könnte zudem viele leckschlagen. Aus Sicht von Experten wird Japan am Ende wohl nichts anderes übrig bleiben, als das Wasser nach Senkung der Strahlung unter die Grenzwerte ins Meer abzulassen. Dagegen wehren sich jedoch die Fischer der Region. Sie haben weiterhin die Hoffnung, vor der Atomruine eines Tages wieder verzehrbare Fische fangen zu können.
Eindruck der Normalität
Wann und ob das eines Tages wieder möglich sein wird, ist unklar. Derweil lässt die Regierung ganze evakuierte Landstriche mit Unsummen dekontaminieren, damit die geflohenen Bürger wieder in ihre Häuser zurückkehren. Zwar sinkt dadurch die Strahlung, doch schwemmt Regen neue Radioaktivität aus den Bergwäldern wieder heran. Zudem weiß niemand, wohin mit den Massen an radioaktiv verseuchtem Abraum. Doch die Regierung versucht, den Eindruck von Normalität zu wecken.
Schließlich will Ministerpräsident Abe, der sich die Überwindung der Wirtschaftskrise auf die Fahnen geschrieben hat, so bald wie möglich einige der 49 heruntergefahrenen Reaktoren im Lande wieder anschalten – und Olympia nach Japan holen. Ob seine Regierung jedoch die Probleme in Fukushima wirklich bald in den Griff bekommt, ist höchst fraglich.
Besonders medienwirksam hat die Regierung aber nun schon mal ihr Eingreifen verkündet – pünktlich wenige Tage vor der Entscheidung über die Vergabe der Olympischen Spiele 2020. Tokio befürchtet, dass die neue Zuspitzung der Probleme in Fukushima seine Olympia-Chancen gegenüber Madrid und Istanbul schmälern könnten. Abe wird an diesem Samstag beim Treffen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Buenos Aires ein letztes Mal darum werben, dass Tokio den Zuschlag erhält.