Christian Lindner hält seine rechte Handfläche hoch: „Ganz trocken.“ Gerade ist der FDP-Chef gefragt worden, ob er feuchte Hände bekommt, wenn er an die mickrigen Umfragewerte von zwei bis drei Prozent denkt. Mehr als 15 Monate seit dem historischen Rauswurf aus dem Bundestag will Lindner den trüben Ist-Zustand seiner Partei am liebsten einfach wegwischen. An seinem Horizont ist nur ein Ziel wichtig: Allein 2017 zählt, das Jahr der nächsten Bundestagswahl.
Zunächst aber dreht sich der 35-Jährige im Kreis. Auf einer nach allen Seiten offenen Bühne begrüßt Lindner am Sonntag die über 200 Gäste, die zum „Freiheitskonvent“ gekommen sind. So einen Andrang gab es zuletzt vor vielen Jahren, als es im Thomas-Dehler-Haus noch Siege zu feiern gab. Talkmaster Lindner redet seinen Leuten ins Gewissen. Das hier sei keine Versammlung von Trauerklößen. „Niemals“, ruft ein junger Mann in den Saal. Lindner wirft Union und SPD vor, bräsig und selbstverliebt Deutschlands Stärken zu verspielen – etwa mit dem sündhaft teuren Rentenpaket.
Weniger Staatsgläubigkeit, mehr Marktwirtschaft und klare Ansagen: Klingelt da was? Lindner scheint sich immer deutlicher in der Spur von Otto Graf Lambsdorff zu bewegen. Der 2009 gestorbene „Marktgraf“ ist nicht nur in der FDP eine Legende. Mit seinem „Wendepapier“ von 1982 für eine marktwirtschaftliche Erneuerung Deutschlands schrieb der damalige Wirtschaftsminister Geschichte. Davon sind Lambsdorffs liberale Erben derzeit zwar meilenweit entfernt – dennoch könnte der Selbstfindungsprozess unter Lindner nun in eine klare strategische Ausrichtung münden.
Auf diesem Feld dürfte Lindner, der vom mitfühlenden „Säuselliberalismus“ seines Vorgängers Philipp Rösler rein gar nichts mehr wissen will, noch am ehesten Erfolgschancen sehen, weil die Wirtschaft sich durch schwarz-rote Projekte (Mindestlohn, Frauenquote) gegängelt fühlt. So überrascht es nicht, dass Lindner scharf gegen die Fortführung des Steuer-„Soli“ Front macht oder das Mindestlohn-Ja im Bundestag (bei nur fünf Nein-Stimmen) mit Abstimmungsergebnissen wie in der DDR-Volkskammer vergleicht.
Der ruppige Ton zeigt aber auch Lindners Dilemma. Nur schriller und lauter kann sich die FDP außerhalb des Parlaments in den Medien überhaupt Gehör verschaffen. Die politische Konkurrenz versucht längst, liberale Werte und Wähler aufzusaugen. Die Grünen haben sich zur neuen Freiheitspartei ausgerufen. Dazu kommt die Alternative für Deutschland (AfD), die in Wirtschaftskreisen Sympathien genießt.
Bei der FDP aber glauben sie, dass die Partei mit Blick auf die nächsten Wahlen vor allem CDU- und Nichtwähler überzeugen muss. Aber wo bleibt die Machtperspektive? Lindner muss es schaffen, dass in drei Jahren neben Schwarz-Grün, einer Fortsetzung der Großen Koalition oder Rot-Rot-Grün auch die Option Schwarz-Gelb wieder im Schaufenster liegt. Das könnte bürgerlich-konservative Wähler motivieren, zur FDP zurückzukommen.